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Das Robert-Koch-Institut (RKI) meldet diese Woche so viele Neuinfektionen in Deutschland wie noch nie. Droht ein zweiter Lockdown? Und was würde ihn von dem im Frühjahr unterscheiden?
Lothar Wieler, der Präsident des Robert-Koch-Instituts, der obersten Seuchenbehörde des Landes, klang am Donnerstag in Berlin gar nicht mal so besorgt, wie es die nackten Zahlen, die er verkündete, eigentlich vermuten ließen: Mehr als 11.000 neue Infektionen mit dem Corona-Virus innerhalb der letzten 24 Stunden musste Wieler verkünden. Ein Wert, der bislang in Deutschland undenkbar schien. Dennoch sagte Wieler: "Derzeit haben wir noch die Chance, die weitere Ausbreitung des Virus zu verlangsamen. Wir sind nicht machtlos."
Jeder Einzelne könne sein Infektionsrisiko durch die Einhaltung der Regeln deutlich verringern, auch dann noch, wenn es in seinem Umfeld Infektionen gebe, betonte Wieler. Es bleibt also dabei: Die wichtigsten Mittel im Kampf gegen die Pandemie bleiben das Tragen von Masken, bleiben Abstand und Hygiene.
Dennoch geistert ein Schreckgespenst durch die aufgeregte Debatte: Kommt es in Deutschland zu einem zweiten Lockdown, zu einem Herunterfahren so gut wie aller gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Aktivitäten, wie im Frühjahr? In anderen Ländern Europas, etwa in Belgien, ist dieser Zustand fast schon erreicht.
Der erste Lockdown in Deutschland im März und April: Das waren leere Straßen, geschlossene Schulen und Kitas, geschlossene Restaurants. Auf den Straßen auch in den großen Städten herrschte eine gespenstige Stille. Die Wirtschaft wurde auf das absolut notwendige Maß beschränkt, der Staat nahm bislang unvorstellbare Milliardenbeträge in die Hand, um die schlimmsten Folgen für die Menschen zu mildern. Hunderttausende von Beschäftigten gingen etwa in Kurzarbeit.
Und jetzt? Es ist erklärtes Ziel der Politik, solche Maßnahmen im Herbst möglichst zu verhindern. Tatsächlich ist das Land weitaus besser auf den enormen Anstieg der Infektionszahlen vorbereitet als noch im Frühjahr. Die Experten kennen das Virus nun besser. Damals war auch die Furcht groß, dass die Infrastruktur für die Intensivbehandlung in den Krankenhäusern schnell an ihre Grenzen geraten könnte. Das erwies sich als unbegründet.
Jetzt kann das Gesundheitssystem auf die damals gemachten Erfahrungen aufbauen. Auch gibt es keinen Engpass mehr etwa bei der Bereitstellung von Atemmasken, was im Frühjahr noch ein erhebliches Problem darstellte. Betriebe und Behörden entwickelten eigene Hygienekonzepte, die jetzt tragen.
Deshalb glaubt etwa Anke Domscheit-Berg, die für die Linkspartei im Bundestag sitzt, nicht daran, dass die Deutschen einen zweiten Lockdown fürchten müssen. Sie sagte der DW: "Der deutsche Lockdown im Frühjahr war im Vergleich zu den Einschränkungen in anderen Ländern noch moderat." Dennoch werde alles dafür getan, eine Wiederholung zu verhindern und die Nebenwirkungen von notwendigen neuen Einschränkungen zu reduzieren.
"Deshalb glaube ich, dass wir bei weiterem Anstieg der Infektionszahlen eher zeitlich und räumlich stark abgegrenzte Teil-Lockdowns erleben werden, wie zum Beispiel zurzeit in Berchtesgaden, und dass anders als im Frühjahr Schulen und Kitas nicht flächendeckend schließen werden", sagte Domscheit-Berg. Im Landkreis Berchtesgadener Land in Bayern, einem beliebten Touristenziel in Deutschland, ist nach hohen Infektionszahlen seit Dienstag das Verlassen der eigenen Wohnung nur noch mit triftigem Grund erlaubt. Hunderte von Touristen mussten den Landkreis verlassen.
Auch wenn Deutschland gut vorbereitet scheint: RKI-Chef Lothar Wieler ist an einem Punkt besonders besorgt. Er warnte, dass sich das Virus in einigen Gebieten mittlerweile unkontrolliert ausbreiten könne, weil eine Nachverfolgung von Infektionsketten nicht mehr vollständig möglich sei. Schon vor Wochen hatten einige Virologen gemutmaßt, dass sich das Virus nicht wie im Frühjahr vor allem in einigen speziellen Gebieten, sondern nun flächendeckend ausbreite.
Die Nachverfolgung von Infektionsketten ist die Aufgabe vor allem der Gesundheitsämter, die jetzt schnell an ihre Grenzen geraten könnten. Darauf verwies auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU): "Wir dürfen die Nachverfolgung nicht aufgeben", erklärte er. Und fügte hinzu: "Ich glaube nicht, dass es ein Corona light in Deutschland gibt."
Es bleibt also zumindest vorerst dabei, dass Restaurants und Einzelhandelsgeschäfte offen bleiben, Schulen und Kitas auch. Je nach Infektionsgeschehen werden die Kontaktmöglichkeiten der Menschen erneut und immer stärker begrenzt. Auffällig viel ist von Eigenverantwortung die Rede.
Die Debatte um einen möglichen Lockdown verunsichert die Bevölkerung schon jetzt: Der Einzelhandel meldet bereits, dass in einigen Geschäften das Toilettenpapier knapp wird. Im Frühjahr waren leere Toilettenpapierregale in den Supermärkten eines der Symbole für den Lockdown. Damals betonten die Supermarktketten vergeblich, dass das Horten des Hygieneartikels wenig Sinn ergebe, weil es keine Liefer-Engpässe gebe. Das ist heute nicht anders.
Der bekannte Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité brachte unterdessen einen zeitlich befristeten Lockdown um die Weihnachtszeit herum ins Spiel. Er twitterte, eine entsprechende Idee aus England sei überlegenswert. Möglich, dass sich die Politik solchen Gedankenspielen annähert. Heikel ist dabei die hohe Bedeutung, die Weihnachten auch für die Deutschen hat. Schon jetzt werden immer mehr Weihnachtsmärkte in Deutschland abgesagt, was erheblich auf die Stimmung drücken dürfte.