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Corona: Jugendherbergen in Not

Kay-Alexander Scholz
19. August 2020

Jugendherbergen haben schon Kriege und Krisen überlebt. Aber die Covid-19-Pandemie stellt sie vor ihre bislang vielleicht größte Herausforderung.

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Deutschland Jugendherbergen Hamburg Auf dem Stintfang
Bild: picture-alliance/dpa/U. Perrey

"So ein bisschen geht die Gemeinschaft verloren - den Blickwinkel erweitern, andere Familien und Leute kennenlernen", sagt der junge Vater. Er und seine Familie seien vor einem Jahr schon einmal in der Jugendherberge Lübben gewesen. Ein wenig nostalgisch setzt er hinzu: "Damals war hier bedeutend mehr Leben."

Damit beschreibt der Gast im wasser- und waldreichen Erholungsgebiet Spreewald knapp 100 Kilometer südlich von Berlin, warum die Jugendherbergsidee auch 111 Jahre nach ihrer Geburt in Deutschland noch immer so populär ist: Durch die Kombination von idyllischer Lage und geselligem Miteinander - bei geringen Preisen.

Die Jugendherbergen haben zwei Weltkriege überstanden, Wirtschaftskrisen und Währungsreformen. Jetzt aber bringt die Covid-19-Pandemie diese Institution des Reisens in ernste Gefahr. Abstandhalten, eine Grundregel des neuen Miteinanders, bedeutet das Aus für Gemeinschaftsduschen oder Gruppen-Zimmer mit sechs oder acht Betten. "So ein Zimmer darf jetzt nur mit zwei Personen belegt werden", erläutert der Lübbener Herbergsvater Steffen Regel. "Damit ist das Haus zwar voll, aber lange nicht ausgelastet."

Deutschland Jugendherberge Lübben
Kuschelige Bungalows in schönster Natur: Jugendherberge LübbenBild: DJH Berlin Brandenburg e.V.

Finanzielle Schieflage

Fast 450 Jugendherbergen verteilen sich über ganz Deutschland. Während des Lockdowns hing auch an ihren Eingängen ein "Geschlossen"-Schild. Jetzt seien knapp 300 wieder offen, freut sich Julian Schmitz. Er ist Hauptgeschäftsführer des Deutschen Jugendherbergswerks (DJH). "Doch 10 bis 12 Häuser bleiben dauerhaft geschlossen, weil baulich die Voraussetzungen für Social Distancing nicht gegeben sind."

Trotzdem sieht Schmitz die Lage inzwischen wieder etwas optimistischer als noch im Frühjahr: "Dass es drei Monate lang keinen Gast und keinen Umsatz gab, war vorher unvorstellbar", betont er. "Dazu die große Ungewissheit." In den Hilfspaketen der Politik spielten Jugendherbergen zunächst keine Rolle. Es gab zwar Kurzarbeit für die Mitarbeiter, aber keine Finanzspritzen für die Häuser. Einzig auf Kreditprogramme sei verwiesen worden. "Die passten aber gar nicht ", kritisiert Schmitz.

Deutschland Jugendherberge Berlin Ostkreuz
Zweckmäßige Sachlichkeit: Mehrbettzimmer in der Jugendherberge Berlin OstkreuzBild: picture-alliance/dpa/B. Settnik

So gerieten die Jugendbergen in finanzielle Schieflage. Das DJH startete deshalb einen Aufruf auf der Petitionsplattform "change.org"und forderte einen Rettungsschirm für Jugendherbergen. Über 200.000 Menschen haben schon unterschrieben.

Eine der Ursachen für die finanzielle Not: Das Jugendherbergswerk und die von ihm getragenen Herbergen sind als gemeinnütziger Verein organisiert. Damit aber dürfen sie keine eigenen Rücklagen bilden. Eventuelle Gewinne würden immer, so Schmitz, in einer Art solidarischen Finanzausgleichs von umsatzstarken an umsatzschwache Jugendherbergen verteilt.

Jugendherberge in Xanten
Eine Welt für sich: Jugendherberge XantenBild: Deutsches Jugendherbergswerk

"Wir sind noch nicht über den Berg"

Inzwischen gibt es Geld von einigen Bundesländern, wenn auch nicht von allen. Seit Juli kann jede Jugendherberge zudem von der Bundesregierung maximal 150.000 Euro Zuschuss für die drei Sommermonate beantragen. Der muss nicht zurückgezahlt werden.


Mit großer Sorge blickt DJH-Geschäftsführer Schmitz aber auf die Herbstmonate. Die sind die Hauptsaison für Klassenfahrten, ein wesentlicher Umsatzbringer. Klassenfahrten aber hat die Politik wegen der Pandemie bis Jahresende untersagt. Dass Familien ihren Urlaub in den Jugendherbergen verbringen und damit wenigstens für ein bisschen Geld in der Kasse sorgen, dürfte nach den Sommerferien deutlich abnehmen. Die Herbst-Einnahmen aber seien wichtig, betont Schmitz, um über den Winter zu kommen. In dem werde noch weniger gereist. "Wir sind noch nicht über den Berg", resümiert Schmitz.

Jugendherberge Konstanz
Schöner wohnen am Bodensee: Jugendherberge KonstanzBild: DJH

Bewegte Geschichte

Ihren ersten Boom erlebten die Jugendherbergen nach dem Ersten Weltkrieg (1914-18), blickt Barbara Stambolis zurück. Die Historikerin ist Mitherausgebern eines Standard-Werks zur Geschichte der Jugendherbergen. "Gemeinschaft zu pflegen, die Heimat kennenzulernen und günstig zu übernachten - das fand große Zustimmung."

Noch unter dem Einfluss des Ersten Weltkriegs habe dann auch der Gedanke des "Wanderns von Volk zu Volk" an Bedeutung gewonnen. "Davon angeregt organisierte ein französischer Pazifist europäische Jugendbegegnungen und gründete die erste Jugendherberge in Frankreich", führt die Historikerin aus.

damals: Die erste Jugendherberge

Überall auf der Welt fand die Bewegung aus Deutschland Nachahmer. Heutzutage gibt es unter der Dachmarke "Hostelling International" Jugendherbergen in 90 Ländern. Zum Selbstverständnis gehöre es laut Stambolis, "Orte der Begegnung sein zu wollen".
Dass die Jugendherbergen in ihrer über hundertjährigen Geschichte selbst Kriege und Krisen überlebten, hat für Stambolis einen klaren Grund: "Ein Teil der Überlebensstrategie war Flexibilität."

Das bedeutete im negativen Fall politische Vereinnahmung im Nationalsozialismus oder in der ehemaligen DDR.

Positive Weiterentwicklungen hätten sich durch veränderte Freizeitbedürfnisse ergeben. Als zum Beispiel in den 1960er-Jahren weniger Jugendliche die Schlafsäle füllten, öffneten sich die Häuser vermehrt für Klassenfahrten, Lehrgänge und Tagungen. "Anpassungen waren immer wieder erforderlich", schlussfolgert Stambolis.

Deutschland Geschichte Jugendherberge Bacharach Burg Stahleck
Gemeinsamkeit 1929 hoch über dem Rhein: Jugendherberge BacharachBild: ullstein bild - A. & E. Frankl

"Gemeinwohlorientierung bewahren"

Jugendherbergen, auf diese Feststellung legt DJH-Geschäftsführer Schmitz großen Wert, seien heute mehr als nur Hostels - nämlich ein "zivilgesellschaftlichen Akteur". Vor Corona hätten in deutschen Jugendherbergen schließlich 3000 unterschiedliche Programme stattgefunden - Demokratie-Seminare, Medienkompetenz-Schulungen, Inklusionsprojekte.

Aber gerade diese Seminar- und Begegnungskultur wird durch die Pandemie bedroht, weil die Veranstaltungen nicht stattfinden können. Die "Gemeinwohlorientierung" müsse unbedingt bewahrt werden, fordert Schmitz. Mit seinem Team entwickelt er bereits Zukunftsszenarien: "Ich möchte uns mehr als Ort für Familien positionieren, als Ort für Seminare für junge Menschen. Als eine Art kommunaler Anker für Auszubildende, Unternehmen vor Ort, Bildungseinrichtungen und sozialarbeitende Initiativen."

Flexibilität war ja schon immer ein Trumpf der Jugendherbergen.