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Politik

Europaparlament in der Zwickmühle

Barbara Wesel
9. März 2021

Das Europaparlament konnte kaum anders als die Immunität von Carles Puigdemont und zwei weiterer katalanischer Abgeordneter aufzuheben. Es ist keine politische Entscheidung, sondern eine formaljuristische.

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Bildkombo Toni Comin / Carles Puigdemont / Clara Ponsati
Den drei katalanischen EP-Abgeordneten Toni Comin, Carles Puigdemont und Clara Ponsati wurde die Immunität entzogen

Die Reihenfolge der Ereignisse spielt in diesem Fall eine entscheidende Rolle. 2017 gehörten der frühere katalanische Regionalpräsident Carles Puigdemont, sein Ex-Gesundheitsminister Antoni Cumin sowie Schulministerin Clara Ponsati zu den katalanischen Politikern, die gegen den Willen Madrids ein Referendum über die Unabhängigkeit der Region veranstalteten. Sie gewannen es damals, wenn auch bei geringer Wahlbeteiligung; viele Bürger der Region hatten das Referendum nicht als rechtmäßig angesehen und waren der Abstimmung deshalb ferngeblieben.

Carles Puigdemont Akkreditierung EU-Parlament
Carles Puigdemont mit seinem neuen Abgeordnetenausweis vor dem Europaparlament Bild: picture-alliance/AP Photo/F. Seco

Es kam im Umfeld des Referendums zu einem von Gewalt begleiteten Polizeieinsatz; Madrid ging mit voller juristischer Härte gegen die "Rebellion" vor. Mehrere Anführer wurden nach spanischem Recht wegen "Aufwiegelung und Rebellion" zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Puigdemont und andere flüchteten vor der Strafverfolgung und leben seitdem unter anderem in Belgien. 2019 dann wurden drei aus dieser Gruppe zu Europaabgeordneten gewählt.

Immunität schützt Arbeit der Abgeordneten

Der Rechtsausschuss des Europaparlaments konnte gar nicht anders, als die Aufhebung der Immunität der drei Abgeordneten zu empfehlen. Er stellte fest, dass es nicht Aufgabe des Europaparlamentes sei, die strafrechtlichen Vorwürfe zu bewerten. Es gehe stattdessen allein darum, ob die Abgeordneten nicht durch Strafverfolgung in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert werden sollten. Das aber ist unmöglich, weil die Beteiligten 2017 noch gar keine Abgeordneten waren und eine Immunität nicht rückwirkend verliehen werden kann.

Formal also war die Entscheidung klar und einfach. Dass trotzdem das Abstimmungsergebnis mit 400 Stimmen für den Antrag, 248 Gegenstimmen und 45 Enthaltungen endete, zeigt, dass viele Abgeordnete bei dem Fall politische Bauchschmerzen haben. Es gibt bei Grünen, Linken und einigen anderen Sympathien für die katalanischen Unabhängigkeitskämpfer oder zumindest den Eindruck, dass die spanische Justiz hier unangemessen hart reagierte und die entsprechenden Gesetze nicht demokratischen Grundsätzen entsprechen.

Frankreich Straßurg Europatag Flaggen Europaparlament Gebäude
Die EU will Einigkeit und separatistische Bewegungen nicht ermutigen Bild: picture-alliance/dpa/P. von Ditfurth

Carles Puigdemont erklärte nach der Entscheidung:  "Dies ist ein trauriger Tag für das Europäische Parlament. Wir haben unsere Immunität verloren, aber für das Parlament und damit auch die Europäische Demokratie ist es ein weit größerer Verlust". Hier gehe es um einen klaren Fall von politischer Verfolgung, so Puigdemont, und nicht um eine innere Angelegenheit, wie die spanische Außenministerin den Sachverhalt bezeichnete. Er und seine Kollegen wollten jetzt den europäischen Gerichtshof anrufen. 

Die EU will das Problem nicht an sich ziehen

Von Anfang an hatten viele separatistische Katalanen Unterstützung in Brüssel gesucht. Und von Anfang an hatte die EU versucht, den Fall so weit wie möglich von sich fern zu halten. Es kann nicht in Brüssels Interesse sein, regionale Unabhängigkeitsbewegungen zu ermutigen, die EU-Mitgliedsländer in politischen Aufruhr versetzen und eine Serie weiterer Kleinstaaten hervorbringen würden.

Andererseits muss sie sich für die Wahrung demokratischer Grundsätze und des Selbstbestimmungsrechtes der Bürger einsetzen. Allerdings hat sich die politische Situation in der Region seit 2017 nicht verändert. Zwar gab es bei den letzten Wahlen erneut eine Mehrheit für separatistische Parteien, doch die Wahlbeteiligung lag erneut nur bei knapp über 50 Prozent und in Umfragen ergibt sich nach wie vor keine klare Mehrheit für eine Abspaltung. Dass eine echte Mehrheit der Bürger sie unterstützen würde, war zu keinem Zeitpunkt erwiesen.

Belgien Brüssel Carles Puigdemont im Justizpalast
Die belgische Justiz hat bisher die Flüchtlinge vor der spanischen Justiz geschützt Bild: Getty Images/AFP/K. Tribouillard

Anders als seine Vorgänger versucht Spaniens Premier Pedro Sanchez zudem, die Katalanen mit mehr Rechten und Kompetenzen zu locken. Die Regierung in Madrid sucht eine gütliche Einigung mit gemäßigteren Vertretern der Bewegung. Ein weiterer Grund für die EU, die Klärung des Konfliktes nach Spanien zu verweisen, was Spaniens Außenministerin Gonzalez Laya am Dienstag bekräftigte: "Die Probleme Kataloniens werden in Spanien gelöst, nicht in Europa". 

Belgische Justiz schützt Puigdemont

Bei alldem laufen zumindest die Katalanen, die sich wie der frühere Regionalpräsident Puigdemont nach Belgien geflüchtet hatten, kaum Gefahr,  ausgeliefert zu werden. Denn die belgische Justiz weigert sich bislang aus verschiedenen Gründen, den spanischen Anträgen nachzukommen. Teilweise, weil es im belgischen Recht den Tatbestand des Aufruhrs oder der Aufwieglung zur Abspaltung nicht gibt, teilweise aus formalen Gründen, wie etwa einer mangelnden Zuständigkeit des Gerichtes in Spanien.

Auch wurde in verschiedenen Verfahren anerkannt, dass Puigdemont und seine Mitstreiter bei einem Verfahren in Spanien möglicherweise keinen fairen Prozess bekommen würden. Belgische Richter gingen davon aus, die Unschuldsvermutung sei außer Kraft gesetzt, weil die spanische Justiz die Beschuldigten quasi vorverurteilt hätte.

Allerdings bedeutet das erzwungene Exil der Katalanen inzwischen, dass zu Hause der politische Zug ohne sie weiterrollt. Das gilt insbesondere für Carles Puigdemont, der seinen Einfluss auf die Ereignisse in Barcelona längst verloren hat. Der neue Anführer der Bewegung, Pere Aragonès von der Partei ERC (Katalanische Republikanische Linke) bereitet sich unterdessen auf eine neue Runde im Machtkampf mit Madrid vor und lehnt jede Zusammenarbeit mit den Sozialdemokraten ab, deren Kandidat bei den vergangenen Wahlen den größten Block von Stimmen auf sich vereinigen konnte.