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Politik

Teure Hilfe für Flüchtlinge

8. November 2018

Tausende Menschen in Deutschland bürgten in den vergangenen Jahren für Flüchtlinge - im festen Glauben, nur bis zur Anerkennung als Asylberechtigter für deren Lebensunterhalt verantwortlich zu sein. Ein Irrtum?

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Zahlreiche Bürger in Berlin helfen syrischen Flüchtlingen
Bild: DW/S. Ouchtou

Seine Frau hatte ihn noch gewarnt. Aber was sollte schon passieren? Christian Osterhaus war schließlich felsenfest davon überzeugt, das Richtige zu tun. Und hatte das Ausländeramt ihm und seinen Mitstreitern von der Bonner Flüchtlingshilfe Syrien nicht versichert, dass die Bürgen nur bis zur offiziellen Anerkennung als Flüchtling zahlen müssten?

Osterhaus unterschrieb gleich zwei Verpflichtungserklärungen - für ein syrisches Kind und eine Jugendliche. "Wir haben die Flüge bezahlt, Wohnungen besorgt, und uns darum gekümmert, dass die Menschen hier etwas zu essen bekommen", sagt er.

Allein in Bonn bürgten 450 Menschen. Bundesweit sind es über 7000 Flüchtlingsbürgen, die in den vergangenen Monaten unangenehme Post von Jobcentern sowie Stadt- und Gemeindeverwaltungen erhielten. Oder wie es der 61-jährige Osterhaus es ausdrückt: "Die kalte Dusche. Man kann auch sagen: Absolut absurd!"

Bürgschaften für Flüchtlinge
"Bürgschaften haben einen zweifelhaften Ruf. Wie ich jetzt merke, zu Recht" - Bürge Christian OsterhausBild: DW/Oliver Pieper

Osterhaus, der Zeit seines Lebens zivilgesellschaftlich und dabei auch in der Entwicklungszusammenarbeit tätig war, holt einen grauen Ordner hervor, in dem er alle Unterlagen im Bürgschaftsstreit akkurat in Klarsichtfolien abgeheftet hat. Das neueste Dokument ist vom 20. Juni 2018, Absender: das Bonner Jobcenter. 7239 Euro und 84 Cent will das Amt von Osterhaus, mit dem Verweis, dass es durchaus noch mehr Geld werden könnte.

Unklare Gesetzeslage

Grundlage für den Bescheid des Bonner Jobcenters ist eine Gesetzesänderung aus dem Jahr 2016: Damals verschärfte die Große Koalition die Regeln für den Zuzug nach Deutschland: "Eine Verpflichtungserklärung erlischt nicht durch eine Änderung des Aufenthaltsstatus", heißt es dort in Paragraf 68 des Aufenthaltsgesetzes. Verpflichtungen, die vor dem 6. August 2016 eingegangen wurden, enden nach drei, die anderen nach fünf Jahren.

Im Januar 2017 wurde diese Regelung vom Bundesverwaltungsgericht in Leipzig bestätigt. Im April 2018 erklärte jedoch das Bundesarbeitsministerium, dass Bürgen von Flüchtlingen bis zu einer endgültigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes keine Rückzahlungen an staatliche Stellen leisten müssten. Zwar würden die Jobcenter auch weiter Zahlungsbescheide verschicken, doch das Geld bis auf weiteres nicht einziehen.

Würde Osterhaus mit dem Wissen von heute anders entscheiden und keine Verpflichtungserklärung mehr unterschreiben? "Doch, letztlich bin ich stolz darauf, was wir alle von der Flüchtlingshilfe Syrien gemacht haben. Wir haben ja einen Teil zur Integration beigetragen." Nur den Glauben an die deutsche Justiz, den hat Christian Osterhaus zum Teil verloren: "Ich wurde eines Besseren belehrt, dass sich Gesetze und Verordnungen im Nachhinein ändern lassen. Da geht es schon um die Rechtssicherheit in diesem Land."

Gerichtsurteile fallen je nach Bundesland verschieden aus

Für viele Betroffene wie Osterhaus ist deshalb Lothar Mahlberg so etwas wie die letzte Hoffnung. Der Bonner Rechtsanwalt vertritt gleich 20 Flüchtlingsbürgen und hat jüngst vor dem Kölner Verwaltungsgericht in vier Fällen einen Achtungserfolg erzielt. Köln entschied als erstes Gericht in Deutschland für die Bürgen - und gegen die Stadt Bonn.

"Ein erster Lichtblick ist das", atmet Mahlberg auf, "aber ob der Alptraum wirklich zu Ende ist, weiß man nicht." Im Gegensatz zu den Gerichten in Hannover und Minden verwies das Gericht darauf, dass das Ausländeramt als zuständige Behörde die Zahlungsfähigkeit der Bürgen nur unzureichend geprüft habe. Und dass die Bürgen unzureichend beraten wurden. Mahlberg ist optimistisch, dass das Urteil von Köln Signalcharakter auch für andere Bundesländer hat. Und damit Tausende Bürgen von der Zahlungspflicht befreit.

Bürgschaften für Flüchtlinge
Mit ihrer Unterschrift bürgen Paten für Flüchtlinge - doch wie lange?Bild: DW/Oliver Pieper

Sein Ratschlag: "Wenn es machbar ist, sollte man Zeugen benennen, die bei der Abgabe der Verpflichtungserklärung dabei waren". Vor allem aber "müssen diese Zeugen bestätigen können, dass die Behörde definitiv etwas anderes erklärt hat als das, was jetzt in den Bescheiden steht, oder aber dass der Bürge bei der Unterschrift deutlich gemacht hat, dass seine Haftung bei der Anerkennung des Asyls endet."

Lothar Mahlberg hat wenig Verständnis dafür, dass Menschen, die anpacken und helfen, für ihr Engagement am Ende sogar noch bestraft werden. Das Fazit des Rechtsanwalts: "Hier haben sich Leute ehrenamtlich und mit eigenem Risiko dafür eingesetzt, dass Bürgerkriegsflüchtlinge auf legale Weise und nicht über die gefährliche Mittelmeerroute in Deutschland auf sicheren Boden gelangen. Dass sie nun noch jahrelang finanziell haften sollen, sorgt für viel Verbitterung und Frustration."

Ist der Ehrliche der Dumme?

So wie bei Farid Hassan. Der Syrer lebt seit mehr als 20 Jahren in Deutschland und hat als Bürge seine Eltern und seine beiden Geschwister samt Familien nach Deutschland geholt. "Ich bin am Ende, ich kann nicht mehr", sagt der 53-Jährige heute und zieht die Bescheide der Stadt mit Zahlungsanforderungen von 85.000 Euro aus der Tasche. "Ich kann das nicht bezahlen, woher soll ich das Geld denn nehmen?" fragt Hassan verzweifelt.

Farid Hassan bürgt für seine syrische Familie
"Ich bin Deutschland sehr dankbar für alles. Aber man muss zu seinem Wort stehen" - Bürge Farid HassanBild: DW/O. Pieper

In Syrien hat Hassan englische Literatur und Musik studiert, hier in Deutschland arbeitet er in einem Drogeriemarkt. Sein Nettoverdienst: 2000 Euro. Davon gehen 800 Euro für die Miete ab. Bleiben 1200 Euro für seine vierköpfige Familie plus die Verwandten. "Es bricht mir das Herz, wenn ich meinen Kindern schon bei Kleinigkeiten immer sagen muss, nein, das können wir uns nicht leisten. Weil der Onkel vielleicht das Geld braucht. Wie sollen meine Kinder das verstehen?"

Hassan sagt, dass viele Familien, die gebürgt haben, schon an dieser Situation zerbrochen seien. Er selbst kämpft dagegen an, war schon überall vorstellig, den früheren NRW-Innenminister Ralf Jäger hat Hassan sogar schon persönlich getroffen: "Er hat mir gesagt, ich versuche alles, um ihnen zu helfen." Bislang erfolglos. Der Syrer ist sauer: "Wäre meine Familie mit Schleppern über die Balkanroute gekommen, wäre ich fein raus. Doch weil ich Idiot den offiziellen Weg gewählt habe, soll ich blechen."

Porträt eines blonden Manns im schwarzen Hemd
Oliver Pieper DW-Reporter und Redakteur