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Bildungsstreik Berlin

17. November 2011

Die deutschen Hochschulen ächzen unter dem Ansturm doppelter Abiturjahrgänge. Gleichzeitig fehlt das Geld für wichtige Bildungsprojekte. Kein Wunder, dass Schüler und Studierende sich Sorgen machen - mit Vehemenz.

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Schüler und Studenten demonstrieren für bessere Bildungschancen in Berlin (Foto: Heiner Kiesel)
Schüler und Studenten in Berlin demonstrieren für bessere BildungschancenBild: DW

Die Stimme aus dem Lautsprecherwagen überschlägt sich. Der Mann am Mikrofon wettert gegen Eliteschulen, Jugendoffiziere der Bundeswehr, teure Schulbücher und Studiengebühren. Dazu skandieren etwa 3.000 Schüler und Studenten "Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Bildung klaut!" Trillerpfeifen hallen zwischen den Neoklassizistischen Fassaden des Berliner Prachtboulevards "Unter den Linden" wieder. In Berlin wie in rund vierzig weiteren deutschen Städten wird gegen Missstände im Bildungssystem demonstriert und Schulen und Universitäten bestreikt. 350 Polizisten sichern den Protestzug ab.

Bundesweit gehen Schüler und Studierende auf die Straße (Foto: Heiner Kiesel)
Bundesweit gehen Schüler und Studierende auf die StraßeBild: DW

"Ich finde es toll, dass so viele Schüler mitmachen", sagt Susanne Frick von der Initiative "Bildungsblockaden einreißen", die den Berliner Schulstreik mitorganisiert hat. Die Schülerin mit dem Fransenpony knetet ihre Hände in den roten Strickhandschuhen. In Berlin steht der Winter vor der Tür, die feuchte Kälte zieht den Demonstranten in die Glieder. Frick geht in die 12. Klasse und wirft der Politik und den Verantwortlichen in den Bildungsbehörden vor, miserable Bedingungen für ihre Zukunft geschaffen zu haben. "Es drängen zwei Abiturjahrgänge gleichzeitig an die Unis, die Wehrpflicht ist abgeschafft und viel mehr junge Leute wollen studieren oder suchen einen Ausbildungsplatz", beschreibt sie die Lage.

Susanne Frick von der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen" und Studierende auf die Straße (Foto: Heiner Kiesel)
Susanne Frick von der Schülerinitiative "Bildungsblockaden einreißen"Bild: DW

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft hat errechnet, dass im laufenden Wintersemester 50.000 Studienplätze fehlen. Zahlen, die Susanne Frick und ihren Mitschülern Angst machen - Angst, nach dem Abitur auf der Straße zu stehen. "Wir demonstrieren im Grunde für die gleichen Ziele wie letztes Jahr", sagt Susanne Frick, "es hat sich seither überhaupt nichts getan."

Der Geist der Occupy-Bewegung

Das mag stimmen, was die Bildungspolitik angeht. Aber die Demonstranten erfüllt offenbar ein neuer Geist. "Ich demonstriere das erste Mal sei langem wieder", sagt Christina Rost, die Lehramt für Englisch und Deutsch studiert, "aber ich habe die Hoffnung, dass endlich mal was passiert, wegen der Occupy-Bewegung." Sie ist auf die Straße gegangen, um für mehr soziale Gerechtigkeit im Bildungswesen zu kämpfen.

Wie viele andere in dem Demonstrationszug findet Christina Rost die globale Protestbewegung gegen Banken und die Macht der Finanzmärkte motivierend. "Wir wollen doch eigentlich das Gleiche", meint Rost, "und das hat die Aufmerksamkeit darauf gelenkt, dass man sich wehren muss und das Geld für andere Dinge ausgegeben werden muss, als für die Rettung von Banken."

Vorbild der Demonstranten: die Occupy-Bewegung rund um den Globus (Foto: Heiner Kiesel)
Vorbild der Demonstranten: die Occupy-Bewegung rund um den GlobusBild: DW

Ein paar Schritte weiter hält die 22jährige Julia - ihren Nachnamen möchte sie nicht im Internet lesen – ein Schild in die Höhe, auf dem "Ich bin wütend" steht. Warum? "Weil alles ökonomischen Zwängen untergeordnet wird und kein Platz mehr ist für persönliche Entwicklung und Selbstentfaltung."

Besetzung der Freien Universität verhindert

Die Occupy-Bewegung verändert die Stimmung der Bildungsproteste in Deutschland, vermuten die Demonstranten. Am Abend vor der Demo hat eine Gruppe von Studenten versucht, ein Gebäude der Freien Universität zu Berlin (FU) zu besetzen. "Wir wollten einfach nach unserer Vollversammlung weiter über unsere Forderungen reden", sagt ein hochgewachsener Student, "aber die Uni-Leitung hat knallhart reagiert." Die etwa 80 Besetzer wurden von 140 Polizeibeamten vor die Tür gesetzt. "Das ist eine ganz neue Qualität des Umgangs mit solchen Protesten", sagt der Student, "vor zwei Jahren hätte man das bestimmt noch erlaubt." Für ihn wirkt das so, als ob da weiteren Protesten vorgebeugt werden sollte.

Autor: Heiner Kiesel

Redaktion: Svenja Üing