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Modernisierungsbremse Beschaffungsamt?

5. Juni 2022

Jahrelang wurde die Bundeswehr heruntergespart. Unter Hochdruck soll die nur bedingt einsatzbereite Armee wieder fit gemacht werden. Ausgerechnet die Behörde, die dabei wesentlich helfen soll, gilt selbst als Problem.

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Soldaten der Enhanced Forward Presence
Bundeswehrsoldaten mit den seltenen und begehrten Nachtsichtgeräten an ihren HelmenBild: Monika Skolimowska/dpa/picture alliance

Auf der Homepage der Bundeswehr ist die Welt der Militärs noch in Ordnung. Dort bringt die Bundeswehr ihr Selbstverständnis in drei Worten plakativ auf den Punkt: "Wir. Dienen. Deutschland.“ Doch das "Dienen für Deutschland" wird alles andere als leicht gemacht. Seit langem leiden Heer, Luftwaffe und Marine unter lückenhafter Ausrüstung. Es fehlt an einsatzfähigen Panzern und Hubschraubern, an Schutzwesten, Rucksäcken sowie Nachsichtgeräten. Sogar warme Unterwäsche für die Truppen an der NATO-Ostflanke ist Mangelware.

Bundeswehr nur bedingt einsatzbereit

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) prangerte die Zustände an: "Wir haben auf dem Papier 350 Schützenpanzer Puma, davon sind tatsächlich 150 einsatzbereit." Beim Kampfhubschrauber Tiger sei es ähnlich - von 51 Maschinen könnten nur neun abheben, sagte Lambrecht bei einer Bundestagsdebatte Ende April, in der es um die russische Ukraine-Invasion und das neu erwachte Sicherheitsbedürfnis Deutschlands ging.

Bundeswehrhubschrauber Sikorsky CH-53G
Viele Hubschrauber der Bundeswehr sind nicht einsatzbereitBild: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Nun will die Bundesregierung die Truppe wieder auf Trab bringen. Für ihre Aus- und Aufrüstung stellt sie ein schuldenfinanziertes Sondervermögen von 100 Milliarden Euro bereit. Am Geld dürfte die Modernisierung der Bundeswehr wohl nicht scheitern. Möglicherweise aber an der Behörde, so meinen Kritiker, die für den Einkauf zuständig ist: dem Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, kurz BAAINBw. Allein an ihrem Hauptsitz in Koblenz gibt es 6500 Stellen. Insgesamt arbeiten beim Beschaffungsamt rund 11.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an 116 Dienstorten. Sie regeln die Anschaffung von Hochtechnologie bis hin zu Socken.

Eine unflexible Mammutbehörde?

Nur: Das BAAINBw gilt seit Jahren als dringend reformbedürftig. Daran sind schon mehrere Verteidigungsminister gescheitert. Es sei ein planwirtschaftlich-orientierter Verwaltungsmoloch, der Prozesse eher verzögere als beschleunige, lautet der Vorwurf. 

"Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt in der Mitte Europas, wir haben 184.000 Soldatinnen und Soldaten, und die haben nicht alles am Mann und an der Frau, was sie brauchen. Das ist ein Skandal", kritisierte die Wehrbeauftragte Eva Högl vor wenigen Tagen. 

Die Fallschirmjäger beispielsweise warteten seit zehn Jahren auf einen neuen Helm, sagte die "Anwältin" der Parlamentsarmee der "tageszeitung". Es hake daran, dass der Helm, der in den USA im Gebrauch ist, "erst nochmal ganz umfänglich getestet wird, ob er auch auf die deutschen Köpfe passt und wirklich so schützt, wie man das nach deutschen Standards erwartet", klagte Högl.

Scholz kündigt 100 Milliarden zusätzlich für Bundeswehr an

Im Zweiten Deutschen Fernsehen berichtete die Wehrbeauftragte auch von einem Besuch bei einem Panzerbataillon, das mit 30 Jahre alten Funkgeräten arbeiten müsse und deshalb im Manöver mit anderen NATO-Verbänden "nicht führungs- und kommunikationsfähig" sei. 

Jahrelanger Rechtsstreit um neues Sturmgewehr

Ein weiterer Problemfall: Das Gezerre um das G36. 2015 war das Ende des aktuellen Sturmgewehrs von der damaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) beschlossen worden. Ab 2017 bemühte man sich um den Nachfolger. "Heute, im Jahr 2022, steckt der ganze Prozess in einem Rechtsstreit, der frühestens im Herbst eine Entscheidung erlaubt. Das ist - für ein relativ simples Produkt wie ein Sturmgewehr - einfach zu lang", schreibt Frank Sauer von der Bundeswehruniversität in München auf Anfrage der DW.

Deutschland Koalition und Union einig bei Sondervermögen für Bundeswehr
Bundeswehrsoldaten mit dem Sturmgewehr vom Typ G36, das eigentlich seit Jahren abgelöst sein sollteBild: Philipp Schulze/dpa/picture alliance

Ist das Beschaffungswesen also die Ursache allen Ausrüstungsübels, weil es deutsche Regulierungs- und Qualitätsansprüche bis zum Exzess treibt? Hat das BAAINBw eine Mitschuld daran, dass die Bundeswehr "mehr oder weniger blank" dasteht, wie Heeresinspekteur Alfons Mais beim russischen Einmarsch in die Ukraine überraschend offen im Netzwerk LinkedIn schrieb? "Natürlich ist die deutsche Verteidigungsbürokratie absolut monströs", urteilt Sauer. "Aber allein dem BAAINBw den Schwarzen Peter zuzuschieben bringt uns nicht wirklich weiter." Das Beschaffungsamt könne nur im Rahmen geltenden Rechts operieren, mit wenig Spielraum.

Abhängig von Vorgaben der Politik

Denn die Behörde muss sich ebenso an EU-Regeln zu Ausschreibungen halten wie an politische Entscheidungen. "Viele Probleme liegen außerhalb des Beschaffungsamts, weil es im Wesentlichen das macht, was ihm gesagt wird", sagt Christian Mölling von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik, DGAP, im DW-Gespräch. Veränderten sich der Rechtsrahmen und die politischen Vorgaben, könnten Abläufe vereinfacht und beschleunigt werden.

Beschaffungsamt der Bundeswehr in Koblenz
Das Beschaffungsamt der Bundeswehr (hier die Zentrale in Koblenz) ist als Bundesoberbehörde dem Verteidigungsministerium unterstelltBild: imago images

Eine andere, aber schwierigere Möglichkeit wäre, an die Grenze des rechtlich Machbaren zu gehen, erklärt Mölling. "Die Erfahrung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist aber, wenn Sie diesen Spielraum nutzen und es geht etwas schief, kriegen sie keine Deckung aus der Politik. Wenn da mal was vor die Wand fährt, landen sie im Zweifelsfall vor Gericht und niemand hält ihnen den Rücken frei." 

Zu bequem in Friedenszeiten eingerichtet

Die Ursachen des Ausrüstungsdebakels gründen auch in der jüngeren deutschen Vergangenheit. Nach dem Ende des Kalten Krieges verordnete die Politik den Streitkräften einen Sparkurs, der Verteidigungsetat schrumpfte. Viele Waffen und Waffensysteme veralteten. Die Ausrüstung wurde vernachlässigt, wohingegen sich die Verwaltung immer mehr aufblähte. "Wir haben uns insgesamt in Deutschland sehr bequem in Friedenszeiten eingerichtet und in diesem Zuge vieles komplett über-bürokratisiert. Das spüren wir jetzt schmerzlich", urteilt Frank Sauer von der Bundeswehruniversität.

Mali | Soldaten aus Deutschland
Die Bundeswehr ist an friedenssichernden Missionen beteiligt wie im afrikanischen Mali Bild: Michael Kappeler/dpa/picture alliance

Erste Reformschritte sind getan. Die Bundesregierung hob die Grenze für Direktaufträge von 1000 auf 5000 Euro an. Bis zu dieser Summe sollen Aufträge künftig ohne Ausschreibung vergeben werden können. Außerdem soll das EU-Vergaberecht weniger einschränkend ausgelegt werden.  

Aber das reicht nicht, findet Sauer. Es mangele an besseren Prozessen und klarer Verantwortungsübernahme. "Ohne schlankere und schnellere Verfahren wird insbesondere die Beschaffung des Großgeräts wieder zu lange dauern." 

Sauer fordert einen grundsätzlichen Mentalitäts- und Strukturwandel.  Die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende bedeute auch, "endlich umzudenken, flexibler und agiler zu werden - so wie es die sicherheitspolitischen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts verlangen. Das muss im Verteidigungsministerium beginnen."

Alles richtig und doch falsch

Christian Mölling von der DGAP blickt ebenfalls pessimistisch in die Zukunft. Er sieht die Projekte, die über das einhundert Milliarden Euro schwere Sondervermögen finanziert werden sollen, als gewaltige logistische Herausforderung. "Vor uns liegt ein Beschaffungsberg, der unglaublich viel Augenmerk, Kontrolle und Feinsteuerung bedarf, worauf der Apparat offenbar nicht vorbereitet ist." Es gebe deshalb ein großes Fehlerpotential. "Wir werden über viele Jahre unschöne Entwicklungen erleben", sagt Mölling voraus.

Ihn besorgt, dass nicht die Qualität des Beschaffungswesens im Vordergrund stehen könnte, sondern weiterhin die Befolgung vorgeschriebener Prozeduren. "Am Ende ist es dann so: Alle Vorschriften sind eingehalten worden und wir stellen in der Summe fest, dass die Bundeswehr nicht verteidigungs- und einsatzfähig ist."

Ralf Bosen, Redakteur
Ralf Bosen Autor und Redakteur