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Bundesversammlung wählt neuen Präsidenten

30. Juni 2010

Die Regierungskoalition geht mit einer klaren Mehrheit in die Wahl des neuen Staatsoberhaupts. Aber die Opposition hat einen Kandidaten aus dem Hut gezaubert, der es noch spannend macht.

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Außenansicht von Schloss Bellevue (Foto: DPA)
Wulff oder Gauck - wer wird neuer Hausherr im Schloss Bellevue?Bild: AP

In helle Aufregung hatte Horst Köhler die Deutschen versetzt, als er am 31. Mai zurücktrat. Doch schon wenige Tage später war er fast vergessen. Zu spannend war mittlerweile der Kampf um Köhlers Nachfolge, zu überraschend die Kandidaten, die von den Parteien ins Rennen geschickt wurden.

Das Regierungslager aus CDU/CSU und FDP nominierte nicht etwa Sozialministerin Ursula von der Leyen, wie viele Medien zunächst zu wissen meinten, sondern Christian Wulff. Als stellvertretender CDU-Vorsitzender hatte dieser stets loyal mit Parteichefin Angela Merkel zusammengearbeitet, als niedersächsischer Ministerpräsident war er für seinen bayerischen Amtskollegen, CSU-Chef Horst Seehofer, ein verlässlicher Partner, und auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle lobte bei der Präsentation des gemeinsamen Kandidaten die gute Zusammenarbeit mit Christian Wulff. Dieser führt nämlich in Niedersachsen seit sieben Jahren eine harmonische Koalition mit den Liberalen.

Wulff als Signal für die zerstrittene Koalition

Merkel und Wulff nebeneinander in der Reichstagskuppel (Foto: AP)
Soll nach Merkels Willen Bundespräsident werden: Christian WulffBild: AP

Auf Bundesebene dagegen war die Koalition zwischen Union und FDP seit Monaten alles andere als harmonisch. Vor diesem Hintergrund ist die Nominierung von Christian Wulff zu verstehen: als Signal der Koalitionspartner für neue Einigkeit. Für dieses Signal nach innen nahm Bundeskanzlerin Merkel auch die erwartbare öffentliche Kritik an Wulff als einem blassen, konturenlosen Kandidaten in Kauf.

Diese Kritik hat die Opposition geschickt befördert, indem sie einen farbigen, konturenreichen Kandidaten ins Rennen schickte, den zuvor niemand auf der Rechnung hatte: Joachim Gauck, einst in der DDR oppositioneller protestantischer Pfarrer, nach der Wiedervereinigung Leiter der Behörde zur Aufarbeitung der Unterlagen des DDR-Geheimdienstes. Seine Nominierung durch Sozialdemokraten und Grüne war ein Coup, den SPD-Parteichef Sigmar Gabriel mit den Worten auskostete: "Joachim Gauck bringt ein Leben mit in seine Kandidatur und in sein Amt, und der Kandidat der Koalition bringt eine politische Laufbahn mit."

Viel Parteitaktik um Joachim Gauck

Joachim Gauck, hinter ihm Sigmar Gabriel und Frank-Walter Steinmeier, SPD, sowie Cem Özdemir und Jürgen Trittin, Grüne (Foto: DPA)
Die Führung von SPD und Grünen steht hinter Joachim GauckBild: picture-alliance/dpa

Gauck steht geistig eher Angela Merkel nahe, konservative und liberale Mitglieder der Bundesversammlung vor allem aus Ostdeutschland haben dem einstigen DDR-Oppositionellen seither ihre Sympathie bekundet oder gar ihre Stimme zugesagt. Gabriel hatte der Kanzlerin zunächst Gauck als gemeinsamen Kandidaten vorgeschlagen - und dies später auch an die Presse durchsickern lassen.

Eine solche Kandidatur außerhalb des Parteienstreits wäre zweifellos populär gewesen, aber sie hätte Merkel angesichts der Krise der Koalition so ausgelegt werden können, als strebe sie nach anderen Ufern. Außerdem war es nach dem Schock des Köhler-Rücktritts kein attraktiver Gedanke für die Kanzlerin, wieder einen Nicht-Politiker ins höchste Staatsamt zu entsenden.

Für Sozialdemokraten und Grüne war die Nominierung des Anti-Kommunisten Gauck auch ein Zeichen der Abgrenzung zur ungeliebten Linkspartei. Die Antwort von Linken-Fraktionschef Gregor Gysi kam prompt: "Für uns sind beide anderen Kandidaten nicht wählbar. Deshalb sind wir froh, eine eigene Kandidatin zu haben, die wir immer wählen können." Und zwar die westdeutsche ehemalige Fernsehjournalistin und Bundestagsabgeordnete Luc Jochimsen - mit ihr hatte auch niemand gerechnet.

Wahrscheinlich wird es Wulff - aber nicht sicher

Eine Chance, an diesem Mittwoch (30.06.2010) zur Bundespräsidentin gewählt zu werden, hat Jochimsen nicht. Aber solange die Linken an ihr festhalten, hat Joachim Gauck ebenfalls kaum eine Chance. Das weiß dieser selbst, fügt aber, auf den Untergang der DDR anspielend, an: "Ich habe in meinem Leben Ereignisse erlebt, die lange als unwahrscheinlich galten."

Eine Überraschung wäre möglich, wenn Wulff in den ersten beiden Wahlgängen der Bundesversammlung keine Mehrheit bekommt. Denn im dritten Wahlgang ist nicht mehr die Mehrheit aller Mitglieder der Bundesversammlung erforderlich. Dann nämlich ist gewählt, wer einfach die meisten Stimmen hat. Sollten die Linken dann ihre Kandidatin zurückziehen und ihren Wahlleuten empfehlen, für Gauck zu stimmen, könnte dessen Chance noch kommen.

Autor: Peter Stützle
Redaktion: Kay-Alexander Scholz