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Voss-Tecklenburg: "Auf Dauer Weltspitze"

Peter Wozny
5. Juni 2019

Die Frauenfußball-WM, die am Wochenende in Frankreich startet, wird das erste große Turnier für Martina Voss-Tecklenburg als Bundestrainerin. Im DW-Interview spricht sie über die WM, ihr Team und sich selbst.

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Auslosung Fußball-WM der Frauen in Frankreich Martina Voss-Tecklenburg
Bild: picture-alliance/dpa/C. Ena

DW: Frau Voss-Tecklenburg, Ihre Vorgängerinnen haben mit ihren Erfolgen die Messlatte für künftige Bundestrainerinnen sehr hoch gelegt. Haben Sie daran auch gedacht, als Sie beim DFB unterschrieben haben? 

Martina Voss-Tecklenburg: Nein. Für mich war relevant, wie ich die Leitlinien des DFB verstehe und wie die Verantwortlichen des Verbandes auf mich zukommen. Wir haben schnell gemerkt, dass wir die gleiche Idee vom Fußball haben. Es gibt viele Synergien und eine klare gemeinsame Vision, was in den nächsten Jahren im Frauenfußball passieren soll. Von daher war für mich die Frage nach dem Druck oder welche Erfolge meine Vorgängerinnen hatten, nicht relevant. 

Wie groß war der Schritt von der Schweiz nach Deutschland? 

Ich habe auch als Schweizer Nationaltrainerin den deutschen Frauenfußball intensiv begleitet. Viele Schweizerinnen spielen in der deutschen Bundesliga. Auf Trainertagungen und Turnieren gab es immer den Austausch mit den deutschen Vereinstrainern. Von daher war ich gar nicht so weit weg, wie es vielleicht den Anschein hatte. 

Was sind Ihre Ziele mit der Nationalmannschaft? 

Wir wollen uns auf Dauer wieder in der Weltspitze etablieren. Das ist eine große Herausforderung. Denn der internationale Frauenfußball hat sich enorm entwickelt. Wir haben heute viel mehr Teams, die auf allerhöchstem Niveau Fußball spielen - vor zwölf Jahren war das noch anders. Dem müssen wir uns stellen, den Prozess müssen wir mitgehen.

Sie sind jetzt zum ersten Mal über einen längeren Zeitraum mit dem Team zusammen, wie stellt man sich darauf ein?

Eigentlich ist die gemeinsame Zeit relativ kurz. Wir hatten Ende Mai nur eine kurze Vorbereitungszeit, und am 8. Juni ist schon das erste WM-Spiel. Wenn das Turnier erst einmal läuft, geht es schnell. Wir spielen jeden dritten oder vierten Tag, und werden jedes Spiel an einem anderen Ort haben. Wir sind also viel unterwegs, und da geht der Tag sehr schnell vorbei. Ich glaube es ist eher so, dass wir nachher denken werden: Wow, jetzt haben wir so lange darauf hingearbeitet und jetzt ist es schon vorbei. 

Schauen Sie bei dem Turnier auch auf die Altersstruktur oder schauen Sie rein auf die Fähigkeiten? 

Wir schauen zunächst auf die Leistungsfähigkeiten, welche Spielerinnen sind aktuell in der besten Form und entsprechen unserer Spielidee. Trotzdem ist es wichtig, erfahrene Spielerinnen dabei zu haben. Du wirst ein Turnier nur dann erfolgreich bestreiten, wenn du in einer schlechten Phase die Erfahrungswerte der älteren Spielerinnen hast. Wir haben Spielerinnen dabei, die ihr erstes Turnier spielen und dann noch eine WM mit den Rahmenbedingungen und dem Wissen, da gucken Millionen zu. Das löst etwas bei einer jungen Spielerin aus. Wir brauchen die Älteren auch, um den jungen Spielerinnen den Respekt vor einem Turnier zu nehmen. 

Sind Ihre letzten Anweisungen vor dem Anpfiff eher taktischer oder motivierender Natur? 

Die taktischen Dinge besprechen wir vorher. Ich glaube, dass es in den Minuten vor dem Spiel dafür keine Aufnahmefähigkeit mehr gibt. Für Standards hängen wir eine Übersicht in der Kabine auf. Die gucken sich die Spielerinnen noch mal kurz an. Wichtiger ist die persönliche Ansprache. Aber auch die mache ich sehr intuitiv. Da versuche ich zu spüren, was in der Kabine los ist.

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Direkte und klare Ansprache: Martina Voss-Tecklenburg im Kreise ihrer SpielerinnenBild: picture-alliance/dpa/T. Eisenhuth

Ich gucke noch mal der einen oder anderen bewusst tief in die Augen. Es sind auch unterschiedliche Dinge, die ich den Spielerinnen sage, da sie auch unterschiedliche Dinge brauchen. Die eine braucht noch einmal richtig Zuspruch, die zweite ein bisschen Sicherheit, die andere muss auch einfach mal nur in den Arm genommen werden. 

Bei der Weltmeisterschaft in Frankreich sind 24 Teams am Start. Droht bei einem so breiten Teilnehmerfeld auch Langeweile? 

Ich bin fest davon überzeugt, dass es die spannendste WM geben wird, die wir je hatten. In den Ergebnissen, in den Leistungsfaktoren, wenn zwei Teams aufeinandertreffen. Das spiegelt genau diese positive Entwicklung wider, die wir im Frauenfußball in den letzten 20 Jahren auf allen Ebenen hatten. 

Gibt es denn trotzdem einen Favoriten für Sie bei dieser WM? 

Es spielen in einem Turnierverlauf so viele Faktoren eine Rolle, da ist es für mich unmöglich, auf ein Team als Weltmeister zu setzen. Es gibt sicher in jeder Gruppe Favoriten. Dazu gehören natürlich Frankreich, England und die USA. Die Japanerinnen haben immer wieder bewiesen, wie sehr sie sich in Turnieren steigern können. Die Skandinavierinnen und wir als Deutsche werden immer genannt, die Niederländerinnen sind Europameister. Auch Australien hat sich enorm entwickelt. Wir werden kein Spiel mehr bei der WM gewinnen, in dem wir nicht die beste Leistung abrufen.

Sie sitzen auch im Aufsichtsrat von Fortuna Düsseldorf. Inwiefern hat das Einfluss auf Ihre Arbeit als Trainerin? 

Ich sehe sehr viele Spiele. Diese Spiele schaue ich dann auch mit dem Trainerauge und versuche, Dinge für mich herauszuziehen. Wenn ich eine coole Spieleröffnung sehe oder einen tollen Standard, dann nehme ich das mit. Außerdem kann ich hinter die Kulissen eines Vereins schauen. Da gibt es viele spannende Themenfelder, die mich bereichern und klüger machen. 

Gibt es denn einen Verein, bei dem sie sich besonders viel Inspiration holen? 

Ich schaue ganzheitlich, und da gibt es bei jedem Verein, bei jedem Team, bei jedem Trainer bestimmte Erkenntnisse, die man für sich positiv herausnehmen kann. Ich fahre auch gerne zu Trainings von Profiklubs, stelle mich einfach an den Rand und schaue zu. Da sehe ich ganz häufig tolle Übungen, die ich adaptieren kann.

Topklubs wie Bayern München oder Olympique Lyon investieren immer mehr Geld in den Frauenfußball. Kleinere können nicht mehr mithalten. Wie sehen Sie diese Entwicklung? 

Der Vorteil von großen Klubs ist, dass du dort schon eine Infrastruktur hast und diese im Frauenbereich einfach mitnutzen kannst. Ich glaube trotzdem noch daran, dass es ein reiner Frauenfußballverein auch schaffen kann. Dem muss aber der eigene Wert und die eigene DNA bewusst sein.

Sie kommen aus der ersten Generation von Nationalspielerinnen. Was zeichnet diese Generation aus? 

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Martina Voss (2.v.l.) mit dem EM-Pokal 1997Bild: picture-alliance/dpa

Wir haben unter sehr schwierigen Bedingungen viel geleistet und einen großen Teil dazu beigetragen, dass Spielerinnen heute so viele Möglichkeiten haben. Als ich 1989 die Chance hatte, nach Italien zu gehen, war das schon irgendwie sensationell. Heute können Fußballerinnen wählen, in welches Fußballland sie gehen wollen. Unsere Generation kann zurecht stolz auf das Geleistete sein. Wenn ich heute in ein Stadion gehe und die Bedingungen sehe, denke ich mir auch: Martina, jetzt wärst du schon gerne noch mal 30 Jahre jünger und würdest Fußball spielen. 

Als Spielerin bestritt Martina Voss-Tecklenburg zwischen 1984 und 2000 insgesamt 125 Länderspiele, bei denen sie 27 Tore erzielte. Viermal wurde sie Europameisterin, einmal Vizeweltmeisterin. Als Trainerin arbeitete sie sechs Jahre lang in der Schweiz und führte das Nationalteam des Landes 2015 erstmals in eine WM. Im November 2018 wurde sie offiziell als neue Bundestrainerin des DFB-Frauen-Teams vorgestellt. Sie übernahm den Posten von Horst Hrubesch, der nach der Entlassung von Steffi Jones übergangsweise eingesprungen war. Die 51-Jährige ist seit 2009 mit Hermann Tecklenburg verheiratet und hat eine Tochter aus einer früheren Beziehung. Seit Februar 2018 sitzt sie auch im Aufsichtsrat des Bundesligisten Fortuna Düsseldorf.

Das Interview führte Peter Wozny.