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Bundestag erleichtert Fachkräfte-Zuwanderung

Sabine Kinkartz27. April 2012

Mit der "Blauen Karte EU" wird in Deutschland ein vereinfachtes Aufenthaltsrecht für hochqualifizierte Ausländer eingeführt. Die Gehaltsgrenzen sinken und die Familien können mitziehen.

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George Mutalemwa sitzt in der Hochschule Vechta in einem Büro hinter Fachbüchern. Foto: Friso Gentsch dpa/lni
Bild: picture-alliance/dpa

Die USA haben die "Green Card", Europa versucht es mit der "Blue Card". Die Brüsseler Hochqualifizierten-Richtlinie aus dem Jahr 2009 will Fachkräften aus Nicht-EU-Staaten gleiche Aufenthaltsregeln bieten. Eigentlich sollte die Richtlinie bis Juni 2011 auch in Deutschland umgesetzt sein, doch die Bundesregierung hat sich Zeit gelassen. Wohl auch, weil Einwanderung nach wie vor ein heikles Thema ist. Das wurde auch am Freitag (27.04.2012) bei der Verabschiedung des Gesetzentwurfs zur "Blauen Karte EU" wieder deutlich. Koalition und Opposition lieferten sich im Bundestag einen teils heftigen Schlagabtausch.

Für die Bundesregierung ist es wichtig, die Zuwanderung interessensorientiert zu steuern. Die Blaue Karte soll künftig erhalten, wer einen Hochschulabschluss oder eine "durch mindestens fünfjährige Berufserfahrung nachgewiesene vergleichbare Qualifikation besitzt". Eine weitere Voraussetzung für den neuen Aufenthaltstitel ist, dass Bewerber ein entsprechend dotiertes Arbeitsverhältnis vorweisen können. "Wenn jemand 45.000 Euro als Gehalt geboten bekommt, dann ist das ein klares Zeichen dafür, dass er erstens von einem Arbeitgeber hier gebraucht wird und zweitens, dass er auch leistungsfähig ist, denn sonst würde man ihm dieses Angebot nicht machen", so Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) in der Bundestags-Debatte.

Abgeordnete sitzen im Bundestag in Berlin. Foto: Axel Schmidt/dapd // Eingestellt von wa
Beim Thema Zuwanderung prallen im Deutschen Bundestag unterschiedliche Ansichten aufeinanderBild: dapd

Der Fachkräftemangel zeigt Wirkung

In Berufen, in denen besonders viele Fachkräfte fehlen, soll die Gehaltsschwelle sogar nur noch bei knapp 35.000 Euro liegen. Das bedeute aber nicht, dass dieser Mindestlohn der Preis sei, zu dem Ingenieure und Ärzte nach Deutschland kommen sollten, sondern es sei eine Untergrenze, die die Richtlinie festlege, betont der Bundesinnenminister. Die Opposition sieht das ganz anders. "Die SPD will qualifizierte Zuwanderung, aber sie will kein Lohndumping", kritisiert die Sozialdemokratin Daniela Kolbe. "Diese Gehaltsschwelle ist europarechtswidrig niedrig und auch arbeitsmarktpolitisch zu niedrig!" Selbst für Ingenieure, Physiker und Mathematiker, die erst am Anfang ihres Berufslebens stünden, seien knapp 35.000 Euro Jahresgehalt nicht angemessen. Schon Berufseinsteiger im öffentlichen Dienst in Deutschland würden mindestens 40.000 Euro pro Jahr verdienen.

Laut der EU-Richtlinie muss die Gehaltshöhe dem 1,5- beziehungsweise dem 1,2-fachen des durchschnittlichen Bruttojahresgehalts des betreffenden Mitgliedsstaates entsprechen. Die Bundesregierung habe bei ihren Berechnungen aber nicht nur Vollzeitbeschäftigte herangezogen, so kritisiert der linke Bundestagsabgeordnete Jörn Wunderlich, sondern auch die Löhne von Teilzeit- und geringfügig Beschäftigten berücksichtigt. "Es geht hier um die Beschäftigung von Hochqualifizierten, und Sie berechnen deren Mindestgehalt mit Hilfe der häufig nicht einmal die Existenz sichernden Löhne in prekären Beschäftigungen?", erboste sich Wunderlich im Bundestag. Nach seinen Berechnungen müsste das Mindestgehalt bei 63.150 Euro liegen.

Einen Flansch kontrollieren der Zerspaner Karsten Wölk (l) und der indische Produktionsdirektor Surjit Singh Sethi im Flanschenwerk Bebitz (Salzlandkreis, Sachsen-Anhalt). Foto: Peter Endig dpa/lah
Die Qualifikation entscheidetBild: picture-alliance/dpa

Deutschkenntnisse werden prämiert

Doch es gibt noch weitere Punkte in dem neuen Aufenthaltsrecht für Hochqualifizierte, die von der Opposition kritisiert werden. Da ist zum einen die Befristung des Aufenthaltsrechts. Wer einen Arbeitsplatz sucht, kann sich dafür bis zu sechs Monate lang in Deutschland aufhalten. Findet er eine entsprechend dotierte  Stelle, erhält er ein Bleibrecht für zunächst drei Jahre. Besteht dann immer noch ein Arbeitsverhältnis, wird ein Daueraufenthaltsrecht erteilt. Wer allerdings gute Sprachkenntnisse in Deutsch nachweisen kann, erhält schon nach zwei Jahren eine Niederlassungserlaubnis.

Das sei der eigentliche Paradigmenwechsel im Aufenthaltsrecht, betont der Unionspolitiker Reinhard Grindel. "Wir prämieren es, wenn man Deutsch lernt. Wer Ja sagt zu unserem Land, wer sich selbst um die Integration bemüht, der bekommt auch schneller einen verfestigten Aufenthaltsstatus – das ist kluge Integrationspolitik." Der Grüne Abgeordnete Memet Kilic ist da ganz anderer Meinung. Ein Informatiker, für dessen Tätigkeit die englische Sprache entscheidend ist sei, sollte nicht aufgrund fehlender Deutschkenntnisse ausgeschlossen werden. "Ansonsten kann Deutschland nur noch auf die klugen Köpfe aus Österreich und der deutschsprachigen Schweiz hoffen", so Kilic. Das Gesetz zur Blauen Karte EU sei im Vergleich zum bisherigen Aufenthaltsrecht für Hochqualifizierte in einigen Bereichen sogar ein Rückschritt. Schließlich hätten Fachkräfte aus dem Ausland bislang ein sofortiges Bleiberecht erhalten. "Glaubt die Bundesregierung ernsthaft, dass die klugen Köpfe mit einer Befristung ihre Zukunft in Deutschland planen werden?", fragte Kilic in der Debatte in Richtung Regierungsbank.

Sind Ausländer in Deutschland willkommen?

SPD und Linksfraktion verwiesen zudem auf eine mangelnde Willkommenskultur in Deutschland. Dies halte ausländische Fachkräfte weiter davon ab, ins Land zu kommen. "Zugewanderte müssen wissen und es muss gelebte Realität sein, dass sie in deutschen Unternehmen, Behörden und auf der Strasse erwünscht, willkommen und wertgeschätzt werden", so die SPD-Abgeordnete Daniela Kolbe. "Bis wir diese Haltung wirklich durchgesetzt haben, ist es noch ein weiter Weg."

Nach eineinhalbstündiger Debatte wurde das Gesetz zur Umsetzung der EU-Hochqualifizierten-Richtlinie mit den Stimmen der CDU, CSU und FDP verabschiedet. SPD und Grüne enthielten sich, die Linksfraktion stimmte mit Nein. Die Bundesregierung betonte, sie habe mit der "Blauen Karte EU" den rechtlichen Rahmen geschaffen, um mehr qualifizierte Fachkräfte nach Deutschland zu holen. Nun müssten die Arbeitgeber aktiv werden. Es sei nun Aufgabe der Wirtschaft, aus dem Gesetz etwas zu machen.