Brautschau auf dem Firmenmarkt
2. Oktober 2002Lange hat die inoffizielle Schonfrist nicht gedauert. Zehn Tage nach den deutschen Bundestagswahlen macht die EU-Kommission einen neuen Anlauf, um ihr umstrittenes Firmen-Übernahmegesetz auf den Weg zu bringen.
Zweiter Versuch
Der erste Entwurf war vor einem Jahr am Widerstand Deutschlands gescheitert, und die überarbeitete Version sollte eigentlich bereits im Juli vorgelegt werden. Doch da stand die deutsche Bundesregierung mitten im Wahlkampf - darauf nahm die EU-Kommission Rücksicht, doch den Inhalt der neuen Verordnung beeinflussen Wahlen in der Regel nicht. Und deshalb sieht die neue Verordnung nicht viel anders aus als die alte.
Die Richtlinie sei ein wichtiger Shritt zur völligen Integration der europäischen Kapitalmärkte, sagte der Niederländer Frits Bolkestein, zuständig für den EU-Binnenmarkt. "Sie soll faire gemeinsame Regeln schaffen, und zwar für alle Beteiligten, das heißt Unternehmen, Aktionäre und auch die Angestellten der betroffenen Unternehmen", erklärt er weiter.
Fair oder nicht fair?
Genau die Fairness der neuen Regelung wird aber von Kritikern bezweifelt. Denn: Bestandteil von Bolkesteins Vorschlag ist die Beibehaltung von Doppel- und Mehrfachstimmrechten, wie sie in Frankreich und Schweden üblich sind. Damit kann ein Aktionär sich gegen eine Übernahme stemmen, auch wenn er nicht über die erforderliche Anzahl von Aktien verfügt. Das so genannte VW-Gesetz fällt nicht unter diese Richtlinie, dennoch plant Brüssel ein Verfahren gegen das Land Niedersachsen einzuleiten, das bei Volkswagen eine Sperrminorität hält.
Und noch in einem zweiten Punkt kann sich Berlin benachteiligt fühlen: Deutschland hat erst vor einem Jahr die so genannten Vorratsbeschlüsse eingeführt, um feindliche Übernahmen zu erschweren. Damit können sich die Vorstände deutscher Unternehmen bei der Aktionärsversammlung eine Vollmacht holen, um Abwehrmaßnahmen zu ergreifen, und zwar noch bevor das Angebot zur Übernahme überhaupt auf dem Tisch liegt.
Diese Möglichkeit soll den deutschen Unternehmen jetzt wieder genommen werden. "Das geschieht deshalb, weil es für uns zu den grundlegenden Prinzipien gehört, dass über die Zukunft eines Unternehmens von den Eigentümern entschieden wird und nicht von den Managern", rechtfertigt sich Bolkestein. Damit werden zumindest theoretisch die Rechte der Aktionäre gestärkt.
Sturm der Entrüstung
Die deutsche Industrie kann den Vorschlägen aus Brüssel gar nichts abgewinnen. Banken- und Industrieverbände kritisierten vor allem, dass es immer noch nicht gelungen sei, einheitliche Abwehrmöglichkeiten für feindliche Übernahmen zu schaffen. Im EU-Parlament ging am Mittwoch die Kritik des Berichterstatters für die Richtlinie, dem CDU-Abgeordnete Klaus-Heiner Lehne, in eine ähnliche Richtung. So werde keine "Waffengleichheit" zwischen den Unternehmen in Europa erreicht, sagte der Abgeordnete.
Allerdings: Noch ist der Vorschlag ja nicht EU-Gesetz. Und nach 25 Jahren an Beratungen, und zwölf Jahren konkreter Verhandlungen über eine neue Übernahmerichtlinie kann es durchaus noch seine Zeit dauern, bevor sie Wirklichkeit wird. Als nächstes müssen nun Ministerrat und EU-Parlament über den Kommissionsvorschlag entscheiden.