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Blasphemie-Gesetz in der Kritik

Shamil Shams/HS30. Oktober 2014

Immer wieder geraten Angehörige von Minderheiten und Schwächere der Gesellschaft in die Fänge des pakistanischen Blasphemie-Gesetzes. Ein vor kurzem bestätigtes Todesurteil rief massive Kritik, aber auch Lob hervor.

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Asia Bibi, in Pakistan für Blasphemie zum Tode verurteilt (Foto: picture-alliance/dpa/Governor House Handout)
Bild: picture-alliance/dpa/Governor House Handout

Seit vier Jahren sitzt Asia Bibi, eine fünffache Mutter und Christin, in einem Gefängnis in Pakistan. Sie war im November 2010 von einem Gericht in Lahore wegen Blasphemie zum Tode verurteilt worden (Artikelbild). Angeblich hatte sie sich abfällig über den Propheten Mohammed geäußert. Es ist bis heute das erste derartige Urteil gegen eine Frau, seitdem Pakistans Blasphemie-Gesetze in den 80er Jahren unter dem damaligen Militärherrscher Zia-ul-Haq eingeführt wurden.

Vor zwei Wochen (16.10.2014) bestätigte der High Court in Lahore, des oberste Gericht der Provinz Punjab, die Gültigkeit des Urteils von 2010. Bibis Verteidiger hatte gegen das Urteil Berufung eingelegt. Die angeblichen abfälligen Äußerungen sollen im Zuge eines Streites zwischen Bibi und anderen Feldarbeiterinnen gefallen sein, nachdem diese sich geweigert hätten, mit einer Christin Trinkwasser zu teilen.

"Von der Entscheidung des Gerichts enttäuscht"

Laut dem Verteidiger Bibis erschienen zwei angebliche Zeugen des Streits nicht vor Gericht bei der Verhandlung vor zwei Wochen. Stattdessen sei ein Kleriker aufgetreten, der das damalige "Geständnis" Bibis, das sie vor ihm abgelegt habe, bestätigte. "Wir sind sehr enttäuscht über die Entscheidung des Obersten Provinzgerichts in Lahore", sagte Rechtsanwalt Naeem Shakir vor der Presse, und kündigte an, den Fall vor das Verfassungsgericht zu bringen. Über ein Dutzend Kleriker, die bei der Verhandlung anwesend waren, feierten hingegen die Entscheidung des Gerichts als "Sieg für den Islam."

Die Familie von Asia Bibi kurz nach dem Urteil im November 2010
Die Familie von Asia Bibi kurz nach dem Urteil im November 2010Bild: picture alliance/dpa

Unabhängig vom weiteren juristischen Verlauf des Falles sollte die pakistanische Zivilgesellschaft Druck auf Regierung und Justiz des Landes ausüben, fordert Bürgerrechts-Aktivist Imean Nafees Siddiqi aus Islamabad. "Das Blasphemie-Gesetz ist Menschenwerk und nicht göttlichen Ursprungs", sagt Siddiqi gegenüber der DW. "Menschenrechtsgruppen und Medien müssen weiter Freiheit für Bibi fordern. Die öffentliche Meinung kann die Entscheidung des Gerichts beeinflussen. Wir müssen dem extremistischen Diskurs in Pakistan eine Alternative entgegensetzen", fordert der Aktivist. Der Fall sei darüber hinaus bedeutsam als Weichenstellung für die Rechte der Minderheiten in Pakistan.

"Reform des Blasphemie-Gesetzes nötig"

Unter anderem hat sich der christliche Ökumenische Rat der Kirchen (Weltkirchenrat) zur Bestätigung des Urteils gegen Asia Bibi geäußert. In einer Erklärung von Generalsekretär Olaf Fykse Tveit heißt es, "die Verhängung der Todesstrafe in diesem Fall ist völlig unangemessen. Neben der Religionsfreiheit wurden Asia Bibis Menschenrechte durch die erhobenen Vorwürfe, die Haftdauer und die Drohung der Hinrichtung offensichtlich verletzt", so die Erklärung des Weltkirchenrates. Er fordert alle "Menschen guten Willens, in Pakistan und außerhalb", auf, sich für eine Novellierung des Blasphemie-Gesetzes einzusetzen, damit solche Urteile wie das gegen Asia Bibi gefällte verhindert werden.

Protest gegen Blasphemie-Gesetze in Pakistan (Foto: APMA)
Protest gegen Blasphemie-Gesetze in PakistanBild: APMA

Fareed Ahmad Pracha, ein führendes Mitglied der islamistischen Partei Jamaat-i Islami, sieht das anders. "Nach unserer Meinung geht es allein darum, dass das Gesetz richtig angewendet wird. Wir akzeptieren keinerlei Änderungen an dem Gesetz", bekräftigte Pracha gegenüber der DW. "Jede noch so kleine Änderung würde viele weitere Änderungen nach sich ziehen." Im übrigen habe es noch keine Vollstreckungen von Strafen wegen des Blasphemie-Gesetzes gegeben.

Minderheiten und kritische Politiker im Visier

Tatsächlich hat es bereits Hunderte von Verurteilungen wegen Blasphemie in Pakistan gegeben, aber noch keine Hinrichtung. Die meisten Urteile werden nach ihrer Anfechtung annulliert oder werden nicht letztinstanzlich entschieden. Blasphemie-Anklagen werden nach Beobachtungen von Experten oft bei persönlichen Streitigkeiten und Rachefeldzügen eingesetzt. Sind daran Angehörige von Minderheiten beteiligt, wie Christen, Hindus oder die Anhänger des muslimischen Sekte der Ahmadiyya, werden sie leicht Opfer des Blasphemie-Gesetzes.

Leibwächter Mumtaz Qadri vor seinem Prozess wegen der Ermordung des liberalen Politikers Salman Taseer (Foto: AP)
Leibwächter Mumtaz Qadri vor seinem Prozess 2011 wegen der Ermordung des liberalen Politikers Salman TaseerBild: AP

Wenige Monate nach der Verurteilung von Asia Bibi 2011 wurde Salman Taseer, ein früherer Gouverneur der Provinz Punjab, von seinem Leibwächter Mumtaz Qadri in Islamabad ermordet. Der Grund: Taseer hatte das Blasphemie-Gesetz kritisiert und sich für Asia Bibi eingesetzt. Aus demselben Grund wurde im März 2011 der frühere pakistanische Minister für Minderheitenangelegenheiten, Shabaz Bhatti, von einem Fanatiker ermordet.

Qadri sitzt eine Gefängnisstrafe in Rawalpindi ab. Er wurde damals bei seinem Prozess von weiten Teilen der Bevölkerung, darunter von Rechtsanwälten, als Held gefeiert und mit Rosen überschüttet.

Liberale Kräfte in Pakistan unter Druck

An der Diskriminierung von Minderheiten werde sich nichts ändern in Pakistan, solange die Regierung die Änderung des Blasphemie-Paragraphen nicht anpackt, sagt die Leiterin des Zentrums für Frauenstudien in Islamabad, Farzana Bari, gegenüber der DW. "Es ist höchste Zeit, dass die Regierung das Gesetz reformiert. Es widerspricht dem Geist des Islam und bringt dem Land Schande."

Beobachter in Pakistan registrieren seit Jahren eine Zunahme religiöser Diskriminierung in ihrem Land. Die liberalen Stimmen der Gesellschaft sind über den wachsenden Einfluss religiöser Extremisten besorgt. Bürgerrechtsaktivisten beklagen, dass Islamisten staatliche Förderung genießen, während liberale und progressive Kräfte der Verfolgung durch den Sicherheitsapparat des Staates ausgesetzt seien.