Bismarck, Nazis und die Krauts
6. Januar 2010Richard Tres Lambert hat eine besondere Beziehung zu Deutschland. Er wurde in Augsburg geboren, hat in Heidelberg studiert und macht gerne Urlaub in der Bundesrepublik. Das Deutschland von heute kennt der 23 Jahre alte Amerikaner aus der eigenen Erfahrung. Aus dem Geschichtsunterricht kennt er „Bismarck und die Vereinigung Deutschlands 1871 und natürlich den Ersten und Zweiten Weltkrieg."
Drei Geschichtskurse müssen amerikanische Schülerinnen und Schüler belegen, um einen High School Abschluss zu erreichen. Neben amerikanischer Geschichte und Bürgerrechtskunde wird auch Weltgeschichte gelehrt. In diesem Kurs geht es hauptsächlich um die Vergangenheit Europas - vom Wiener Kongress 1815, als die Grenzen auf dem Kontinent neu gezogen wurden, bis zur Gegenwart.
Nazis finden alle interessant
Oft bleibe für die jüngste Vergangenheit nicht mehr viel Zeit, sagt Philip G. Herner, Geschichtslehrer an der Bethesda-Chevy Chase High School in Maryland. Deutschland sei dann vor allem im Zusammenhang mit amerikanischer Geschichte ein Thema. Zum Beispiel wenn es um den ersten Weltkrieg gehe oder die Einwanderung in die USA. Aber auch der Friedensvertrag von Versailles von 1919 und seine Folgen, der Aufstieg Hitlers, die Nazizeit und schließlich die Rolle Deutschlands im Kalten Krieg.
Wer an Herners High School allerdings mit dem Internationalen Baccalaureat abschließen will, der muss sich ausführlicher mit europäischer und damit auch deutscher Geschichte beschäftigen. In diesen Kursen, erklärt Herner, geht er zum Beispiel auf Otto von Bismarck ein. "Er hat das moderne Staatswesen begründet und ist schon deswegen eine interessante Persönlichkeit." Außerdem könne man an ihn viele Themen anknüpfen, die nichts mit Deutschland zu tun haben. Seine Schüler sollen lernen, dass Deutschland schon in der Frühzeit Ausgangspunkt von umwälzenden Bewegungen war: "Ein Beispiel ist die Reformation, die Konfrontation und Umwälzung des Christentums, die Entstehung von bedeutenden Universitäten in Nordeuropa und auch in Deutschland." Es soll eben nicht nur um die beiden Weltkriege gehen.
Deutsche Quellen kann kaum einer lesen
Bücher über die deutsche Geschichte in englischer Sprache gebe es genug, erklärt Herner. Schwieriger zu beschaffen seien die Primärquellen. Kaum einer der Schüler spricht deutsch, also wird die englische Übersetzung benötigt. Der Geschichtsprofessor Andrew Zimmerman hatte für seine ersten Kurse in deutscher Geschichte die Primärliteratur deshalb selbst zusammengestellt. Ende der 90er Jahre lehrte er an der Universität von Kalifornien in San Diego und er hat noch immer das daumendicke Heft mit dem gelben Umschlag.
Es enthält Reden von Bismarck und Hitler ebenso wie die Übersetzung eines Artikels der deutschen Tageszeitung "taz" über die Wiedervereinigung Deutschlands und Auszüge aus Erich Maria Remarques Roman "Im Westen nichts Neues". Durch das Internet ist es inzwischen allerdings wesentlich einfacher geworden, an englische Fassungen der Primärliteratur zu kommen. Das Deutsche Historische Institut in Washington zum Beispiel bietet auf einer Webseite entsprechende Materialien an.
Eigene Geschichte ist wichtiger
Richard Wetzell ist hier wissenschaftlicher Mitarbeiter. In seinen Vorlesungen an der Georgetown Universität stellt auch er fest, dass das Wissen über Deutschland begrenzt ist: "Also ich frag dann oft, was fällt Euch zu Weimar ein, weil ich damit anfange." Dann erwarte er, dass jemand zum Bespiel den Film "Cabaret" erwähnt oder irgendetwas anderes aus der Weimarer Zeit. Aber dann merke er immer „da ist überhaupt nichts da". Was die meisten mit Deutschland in Verbindung bringen und was sie spannend finden, so Wetzell, sei eben doch die Nazizeit. Auch er gibt oft Kurse zu diesem Thema.
Sein Kollege Andrew Zimmerman lehrt an der George Washington Universität und erklärt, das große Interesse an der NS-Zeit bedeute aber nicht, dass für die Amerikaner alle Deutschen Nazis seien. "Sie wissen, dass die Nazis ein wichtiger Teil der deutschen Geschichte sind, aber nicht die ganze Geschichte." Im Januar, wenn sein nächster Kurs beginnt, will Zimmerman die deutsche Sozialdemokratie im 19. Jahrhundert behandeln. Er ist gespannt, ob er damit bei den Studenten auf Interesse stößt.
Autorin: Christina Bergmann
Redaktion: Marlis Schaum