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"Es gibt eine Grenze"

Das Interview führte Andreas Leixnering8. März 2007

Auf ihrer Nahost-Reise haben deutsche Bischöfe Zustände im Westjordanland mit dem Warschauer Ghetto im Zweiten Weltkrieg verglichen. Ulrich Pöner von der Deutschen Bischofskonferenz nimmt gegenüber DW-WORLD Stellung.

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Ulrich Pöner
Ulrich PönerBild: privat

DW-WORLD.DE: Während des Besuchs von 27 Bischöfen im Heiligen Land hat der Eichstätter Bischof Gregor Maria Hanke Vergleiche zwischen der Nazi-Politik und Israels Vorgehen in den Palästinensergebieten gezogen. Der Augsburger Bischof Walter Mixa soll von einer "Ghettoisierung" mit beinahe rassistischen Zügen gesprochen haben. Wie kam es zu diesen Äußerungen?

Ulrich Pöner: Ich glaube, man muss zunächst zur Kenntnis nehmen, dass einige Bischöfe zum ersten Mal in Bethlehem und Ramallah mit dem Leiden der Palästinenser in unmittelbare Tuchfüllung gekommen sind. Das hat verständliche emotionale Ausbrüche von verschiedener Seite, auch von anderen Bischöfen, hervorgerufen. Und in dem Zusammenhang sind einige harsche Bemerkungen gefallen.

Grundsätzlich wird man meines Erachtens sagen dürfen, dass in solch einer besonderen Situation auch harte, kritische, emotionale Worte fallen dürfen. Denn das ist etwas anderes, als eine umfassend angelegte politische Bewertung, wie sie der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz an verschiedenen Stellen in Israel und Palästina vorgenommen hat, und der alle Bischöfe auch beipflichten. Allerdings gibt es eine Grenze. Und die Grenze ist immer da, wo ein bestimmtes Wort sozusagen ein bestimmtes Maß verliert und wo die Sensibilität nicht mehr da ist, sowohl für die Situation als auch für die Gefühle und die Leidensgeschichte anderer. In diesem Zusammenhang ist es natürlich unabhängig von der Situation nicht angängig, irgendwelche Bezüge herzustellen zwischen der nationalsozialistischen Politik gegenüber den Juden und der heutigen israelischen Politik gegenüber den Palästinensern. Der von Ihnen zitierte Bischof Hanke hat inzwischen selbstkritisch darauf hingewiesen, dass solche Vergleiche in keiner Weise statthaft sind.

DW-WORLD.DE: Wie bewerten Sie die Reaktionen? Der deutsche Zentralrat der Juden sprach immerhin von Äußerungen antisemitischen Charakters.

Avi Primor, der frühere israelische Botschafter in Deutschland, hat in einem Interview zum Thema klar festgestellt: Er kenne die deutschen Bischöfe gut genug, um zu wissen, dass es keinerlei Antisemitismus auf deren Seite gibt. Ich glaube, dass man die Äußerungen, die gefallen sind, nicht in den Zusammenhang von Antisemitismus rücken darf. So waren sie nicht gemeint, und man darf sie auch in keiner Weise so verstehen. Was den Duktus der Reaktionen insgesamt betrifft, so war er in der Tat heftig. Allerdings ist auch von Seiten des deutschen Zentralrats der Juden und des israelischen Botschafters darauf hingewiesen worden, dass man natürlich wisse, dass Kritik an den Verhältnissen in den palästinensischen Gebieten - und damit Kritik an der Politik des Staates Israel - erlaubt sein muss. Und diese Kritik ist auch von Seiten der deutschen Bischöfe geäußert worden. Hier ist immer die Frage von Form und Maß.

Aber grundsätzlich ist zu akzeptieren - auch von denen, die mit einigem Recht bestimmte Äußerungen von Bischöfen kritisiert haben -, dass das nicht bedeuten darf, Bischöfe sollen zu den Verhältnissen in Palästina schweigen. Das können sie nicht, das dürfen sie nicht, das werden sie nicht tun. Genauso sprechen unsere Bischöfe immer wieder - gerade gegenüber den Palästinensern - das Existenzrecht des Staate Israels und die Bedrohung der Israelis durch den Terrorismus an.

DW-WORLD.DE: Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Karl Lehmann, hat sich in einem offenen Brief an den Vorsitzenden der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem in Israel entschuldigt. Ist die Sache damit erledigt?

Ich glaube, dass das, was Kardinal Lehmann an Bedauern über bestimmte Vorfälle an der israelisch-palästinensischen Grenze zum Ausdruck gebracht hat, geeignet ist, um bei all denjenigen, die wirklich mit uns sprechen wollen, diese Angelegenheit aus der Welt zu räumen. In dem Zusammenhang ist sicher auch zu erwähnen, dass sowohl international gegenüber den Organisationen der Juden, aber auch hier in Deutschland - ich denke an den Zentralrat oder an die Rabbiner-Konferenz und die Kontakte zum israelischen Botschafter -, durch die regelmäßigen Kontakte doch eine Beziehungsebene und auch eine Ebene des Vertrauens geschaffen worden ist über die Jahre, die diesen Vorfall aushält. Und ich denke, auch aushalten muss.

DW-WORLD.DE: Könnte das Verhältnis zwischen Deutschen und Israelis durch den NS-Vergleich längerfristig belastet werden?

Nein, das glaube ich nicht. Es ist nicht so, dass die deutschen Bischöfe nur anlässlich eines solchen Vorfalls mit den israelischen Behörden und dem Botschafter in Kontakt sind. Es gibt regelmäßige Kontakte, auch zur politischen Seite. Und die hat es auch während dieser Reise ins Heilige Land gegeben. Die Bischöfe haben etwa mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Shimon Peres sehr interessante Gespräche geführt. Und auch mit anderen Offiziellen. Das alles zeigt: Es gibt eine gute Ebene von Verständigung, von Dialog und Austausch. Da werden auch kritische Punkte angesprochen und zwar beidseitig. Und das muss auch so sein. Aber dass jetzt durch ein falsches Wort an einem bestimmten Ort grundsätzlich die sehr konstruktiven Beziehungen, die wir auch kirchlicherseits zu israelischen Behörden unterhalten, unterminiert werden können, das glaube ich nicht. Dazu sind sie in den letzten Jahren in zu starkem Maße positiv entwickelt worden.

Ulrich Pöner leitet die internationale Abteilung im Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz.