Bildergeschichten (1)
8. Mai 2012Eine junge Frau trauert. Mit einem Blumenstrauß in der Hand steht sie in der Neuen Wache in Berlin, zu ihren Füßen eine Steinplatte mit der Inschrift "1914-1918". Neben ihr ein gewaltiger Block aus schwarzem schwedischem Granit, auf dem ein Eichenlaubkranz aus Metall liegt. Die Aufnahme entsteht 1931, als dieser Ort offiziell als "Gedenkstätte für die Gefallenen des Weltkriegs" eröffnet wird – und ein langer Streit um das richtige Gedenken an die Toten des Krieges endet. Vorerst jedenfalls.
Mit der Novemberrevolution von 1918 hat die Neue Wache, einst von Karl Friedrich Schinkel entworfen, als Königswache ausgedient. Immerhin bietet das leer stehende Gebäude 1924 drei obdachlosen Familien eine Notunterkunft, ehe es in den Debatten um ein Ehrenmal für die gefallenen Soldaten als Standort genannt wird. Einen entsprechenden Wettbewerb gewinnt Heinrich Tessenow, Professor für Architektur in Berlin, mit seiner Idee eines schlichten, kubischen Innenraums.
Doch stilles Gedenken ist der Gedenkstätte nicht lange beschieden. Wenn man so will, bringt ihr jeder politische Umbruch eine neue Umgestaltung: 1933 lassen die Nationalsozialisten ein großes Holzkreuz im Inneren anbringen (womit sie der Trauer einen ausschließlich christlichen Charakter geben wollen), nach der massiven Beschädigung im Zweiten Weltkrieg gedenkt die DDR hier "Den Opfern des Faschismus und Militarismus", 1969 halten ein großformatiges Staatswappen und eine ewige Flamme Einzug. In zwei Urnen ruhen die Asche eines unbekannten Soldaten und eines unbekannten Widerstandskämpfers sowie Erde von den großen Schlachtfeldern des Weltkriegs und neun Konzentrationslagern.
All das wird 1993 wieder herausgeschafft – jetzt dominiert eine vierfach vergrößerte Nachbildung der Kollwitz-Skulptur "Mutter mit totem Sohn" den Raum. Die etwas sperrige offizielle Bezeichnung lautet nun: "Zentrale Gedenkstätte der Bundesrepublik Deutschland für die Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft“. Die Namen für die Neue Wache mögen sich geändert haben, die Gestaltung auch. Die Trauer um die Toten bleibt – heute ebenso wie 1931.