Big Ben hüllt sich in Schweigen
14. August 2017Nein, übersehen kann man ihn nicht - aber überhören demnächst schon: Big Ben verstummt. Die BBC, die traditionell um 18 Uhr den Westminsterschlag live in alle Welt überträgt, muss sich etwas einfallen lassen. Vielleicht wird der altehrwürdige Rundfunksender der Briten wieder auf die sechs Pieptöne des Greenwich-Zeitsignals ausweichen - so wie 2007, als das Glockenspiel schon einmal wegen Renovierungsarbeiten schwieg, damals freilich nur für sieben Wochen.
Wer die Melodie von Big Ben auf seinem Mobiltelefon klingeln lässt oder die einfache Tonfolge als Klavierschüler übt, sitzt in der Regel gleich mehreren Irrtümern auf. Denn weder heißt der Elizabeth-Tower, der ehemalige Uhrturm des Westminster-Palastes, in Wahrheit Big Ben, noch ist dies die korrekte Bezeichnung für den sogenannten Westminster-Schlag, der alle 15 Minuten erklingt.
Big Ben ist vielmehr der Name der größten von insgesamt fünf Glocken. Sie wiegt mit 14 Tonnen so viel wie ein leerer Omnibus. Und sie schlägt lediglich ein tiefes E. Für die anderen vier Töne sind kleinere Glocken zuständig. Big Ben ist mit 118 Dezibel so laut wie eine Kettensäge oder ein Presslufthammer. Zum Vergleich: Die Schmerzgrenze für das menschliche Gehör liegt bei 130 Dezibel, das ist die Lautstärke eines Düsenjets.
334 Stufen muss erklimmen, wer die Glocke sehen möchte - und er hat, so schreibt es das Reglement seit 2010 vor, britischer Staatsbürger zu sein. Dabei hätte es Turm, Uhr und Glocke fast gar nicht gegeben. Denn als der Westminster-Palast nach dem schweren Brand von 1834 wiederaufgebaut wurde, war im Siegerentwurf von Architekt Sir Charles Barry kein Glockenturm vorgesehen. Er wurde erst nachträglich in den Plan eingefügt. Zum diamantenen Thronjubiläum von Königin Elisabeth II. wurde er 2012 in Elizabeth-Tower umgetauft.
Die Glocke, die nun seit beinahe 157 Jahren Dienst tut und am kommenden Montag zum vorerst letzten Mal schlagen wird, ist übrigens ein Ersatzstück. Denn die erste Ausführung ging gleich bei der Generalprobe Mitte des 19. Jahrhunderts zu Bruch - weil der Schlaghammer zu schwer war. Die neue Glocke wurde aus dem Material der alten gegossen. Schon 1859 bekam auch sie einen Riss. Daraufhin wurde sie gedreht. Der nochmals verkleinerte Hammer trifft nun auf eine unbeschädigte Stelle.
Woher die Bezeichnung Big Ben stammt, gehört übrigens bis heute zu den Rätseln um die berühmteste Glocke der Welt. Eine Theorie besagt, sie leite sich ab von Benjamin Hall, der als First Commissioner of Works die Arbeiten beaufsichtigte und dessen Name auch auf der Glocke steht. Eine andere These führt zu Ben Caunt, einem um 1850 aktiven Boxer, der ebenfalls ein Schwergewicht war.
Fest steht jedenfalls: Big Ben ist definitv "The Voice of Britain", wie der Glockenschlag auch im Volksmund heißt. Wenn er nun für vier Jahre verstummt, soll es wenigstens eine Ausnahme geben: Zu Neujahr, so verspricht das britische Parlament, das die Hoheit über "die Stimme Britanniens" hat, sollen die Glocken wie seit eineinhalb Jahrhunderten läuten.
jj/qu (dpa, afp)