1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Merkel in Washington

6. Juni 2011

Merkels Besuch in Washington ist Deutschlands Chance, die angeschlagenen deutsch-amerikanischen Beziehungen wieder zu beleben, meint Steven E. Sokol vom 'World Affairs Council of Pittsburgh'.

https://p.dw.com/p/RRuX
Symbolbild
Bild: DW

Am 07. Juni empfangen US-Präsident Barack Obama und die First Lady Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihren Mann im Weißen Haus. Es ist der erste offizielle Staatsbesuch eines Bundeskanzlers oder Bundespräsidenten seit Richard von Weizsäcker 1992,zwei Jahre nach der Wiedervereinigung, vom damaligen US-Präsidenten George Bush empfangen wurde.

Als jemand, der von Ende der 80er bis fast ans Ende der 90er Jahre in Berlin lebte und dadurch das Glück hatte, den Fall der Mauer direkt mitzuerleben und als jemand, der sich seit langem intensiv mit Deutschland, Europa und den transatlantischen Beziehungen beschäftigt, denke ich, dass der Besuch von Bundeskanzlerin Merkel genau zum richtigen Zeitpunkt kommt.

Steven Sokol
Sokol hofft, dass Merkels USA-Besuch die Beziehungen beflügeltBild: Brian Cohen


In den letzten Monaten hat die Politik der konservativ-liberalen Koalition von CDU und FDP bei europäischen sowie anderen Partnern Verwirrung gestiftet. Ich denke dabei besonders an deren Entscheidung im März, sich bei der Abstimmung im UN-Sicherheitsrat über die Einrichtung einer Flugverbotszone über Libyen und anderer Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung - genau wie Brasilien, China, Indien und Russland - zu enthalten und damit ihre NATO-Partner vor den Kopf zu stoßen.

Auf europäischer Ebene hat sich Deutschland wenig bereit gezeigt, den Ländern der Eurozone zu helfen, die tief in der Schuldenkrise stecken. Zunächst verlangte Deutschland strenge Auflagen für etwaige Hilfsprogramme, doch als der Euro selbst unter Druck geriet, lenkte Deutschland ein und setzte alles daran, eine umfassende Lösung für die Eurozone auszuarbeiten. Manche Wirtschaftsexperten in den Vereinigten Staaten fürchten, dass sich die Eurokrise negativ auf die wirtschaftliche Erholung in den USA auswirken könnte.

Auch der jüngste Beschluss der Bundesregierung zum Atomausstieg bis 2022 hat einige Nachbarländer überrascht. Nach dem Erdbeben und Tsunami in Japan am 12. März und der darauffolgenden Atomkrise - die schlimmste seit Tschernobyl - machte Bundeskanzlerin Merkel eine Kehrtwende in der Atompolitik und ordnete ein dreimonatiges Moratorium für die sieben ältesten Atomkraftwerke an sowie eine Sicherheitsprüfung aller 17 Atommeiler. Dann beschloss die Regierung, innerhalb der nächsten 10 Jahre ganz auf Nuklearenergie zu verzichten.

Natürlich sind einige dieser Entscheidungen, zumindest zum Teil, innenpolitisch motiviert: In sieben Bundesländern wird oder wurde dieses Jahr gewählt und die Beliebtheit der CDU unter Merkel und der Regierungskoalition allgemein hat in letzter Zeit stark gelitten. Trotzdem sind Deutschlands Partner konsterniert über diese Entscheidungen, insbesondere bezüglich Deutschlands Auslands -und Sicherheitspolitik sowie des, wie es mir scheint, geopolitischen Vakuums im Herzen Europas.

An Gesprächsstoff wird es Obama und Merkel während ihres Besuchs in Washington sicher nicht mangeln, so kurz nach dem G8-Gipfel im französischen Deauville, wo die Regierungschefs der acht großen Industrieländer über Sicherheitspolitik, die Eurokrise und die daraus resultierenden Spannungen innerhalb Europas sprachen. Wie das Weiße Haus mitteilte, stehen eine Reihe von Themen auf dem Programm, vom Zustand der Weltwirtschaft über Afghanistan, Nahostpolitik sowie die Beziehungen zum Iran. Die pro-israelische Haltung der Bundeskanzlerin und die Tatsache, dass Berlins Politik im israelisch-palästinensische Konflikt oft eng mit den USA abgesprochen ist, deuten darauf hin, dass die jüngsten Ereignisse in diesem Konflikt auch auf der Tagesordnung stehen.

Die Agenda ist ehrgeizig und die Themen entscheidend für beide Länder. Allerdings reichen eine gemeinsame außenpolitische Ausrichtung und gemeinsame Werte weder aus, um die besondere Beziehung, die seit mehr als 50 Jahren zwischen den USA und Deutschland besteht, zu erhalten, noch reichen sie, um sich den vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu stellen.

Pragmatismus und entschiedenes Handeln sind jetzt gefragt. Seit seinem Amtsantritt hat US-Präsident Obama gezeigt, dass er weltweit nach entschlossenen Partnern sucht, um mit ihnen pragmatische Lösungen für eine Reihe von Problemen zu entwickeln. Die Beziehungen zwischen Deutschland, und übrigens auch Europa, und den USA lassen sich nicht mehr bloß über bilaterale Themen definieren. Viel wichtiger ist, wie wir zusammen arbeiten, und globale Probleme angehen. Der Besuch der Kanzlerin in Washington kann diesem Dialog nur zugute kommen.

Wir sollten nicht vergessen, dass Merkel während ihrer ersten Legislaturperiode, zu Zeiten der Großen Koalition von 2005 bis 2009, erheblich zur Außenpolitik Deutschlands und Europas beitrug und den damaligen Außenminister Frank-Walter Steinmeier oft in den Schatten stellte. Nachdem ihr Vorgänger Gerhard Schröder sich gegen die Invasion des Iraks gestellt hatte, gelang es Merkel, den Riss in den Beziehungen zu den USA zu kitten. Seit ihrer Wiederwahl scheint sich die Bundeskanzlerin allerdings weniger für Außenpolitik zu interessieren und der amtierende Außenminister Guido Westerwelle gilt als der am wenigsten erfolgreiche und zugleich unpopulärste Außenminister seit mehr als 60 Jahren.

Vor dem Hintergrund der Umwälzungen in zahlreichen arabischen Ländern und der potentiellen Rolle, die Europa dabei spielen könnte, ist es jetzt wichtig, dass Europa eine starke Führung hat. Man kann nur hoffen, dass der bevorstehende Besuch der Kanzlerin das internationales Engagement, das wir von ihr kannten, wieder zurück bringt.

Steven E. Sokol ist Präsident des 'World Affairs Council of Pittsburgh'. Außerdem war er als Vizepräsident und Programmdirektor für das 'American Council on Germany' tätig.

Übersetzung: Nicole Goebel

Redaktion: Kristin Zeier