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Politik

Berlin baut neue Flüchtlingsheime

Ben Knight ch
3. Juni 2020

Trotz deutlich zurückgehender Asylbewerberzahlen will der Stadtstaat Berlin neue Unterkünfte für Flüchtlinge bauen. Grund sind die Corona-Pandemie und die Wohnungsnot in der Hauptstadt.

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Deutschland Berlin 2018 | Bau modulare Flüchtlingsunterkunft
Bild: picture-alliance/dpa/B. Pedersen

Insgesamt 38 neue Unterkünfte aus vorgefertigten Betonteilen und mit einer garantierten Lebensdauer von 80 Jahren sollen in den kommenden Jahren gebaut werden. Die ersten acht Gebäude für insgesamt 2000 Personen sollen nächsten Sommer fertig sein.

Elke Breitenbach, Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und Soziales, nennt die Gründe für den Neubau: "Es gibt ganz viele Beispiele, wo wir sagen müssen, wir geben nach und nach bestehende Flüchtlingsunterkünfte auf, deshalb brauchen wir neue Flüchtlingsunterkünfte." Vor allem die Notunterkünfte aus der Zeit der Flüchtlingskrise von 2015/16 müssen ersetzt werden. Die meisten bestehen aus Containern, wurden im Umland von Berlin auf der grünen Wiese aufgestellt und waren für höchstens drei Jahre vorgesehen.

Weniger Flüchtlinge, mehr Engpässe

Bei den Plänen hat man sich nach den erwarteten Neuzugängen von Flüchtlingen gerichtet. So wie überall in Deutschland sind auch in Berlin die Zahlen in den vergangenen Jahren immer weiter zurückgegangen. 2019 wurden nach der offiziellen Statistik 6316 Asylbewerber registriert, im Jahr zuvor 7260, in den ersten vier Monaten dieses Jahres 1575 – kein Vergleich zu 2015, als in Berlin rund 55.000 Flüchtlinge eintrafen und die Bezirksverwaltungen angewiesen wurden, zu ihrer Unterbringung Turnhallen zur Verfügung zu stellen. Heute ist die Situation unter Kontrolle. Durch das Verteilsystem innerhalb Deutschlands muss Berlin rund fünf Prozent der jährlich Neuankommenden aufnehmen.

Deutschland Berlin | Elke Breitenbach, Senatorin fuer Integration, Arbeit und Soziales
Elke Breitenbach ist Berlins Senatorin für Integration, Arbeit und SozialesBild: Imago/C. Ditsch

Durch die neuen Gebäude wird wenigstens ein Teil der Familien eine gewisse Privatsphäre haben, weil es auch Wohneinheiten mit eigenen Bädern gibt. Nora Brezger, die Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats, sagt, gerade die Privatheit habe den Flüchtlingen, die vor sexueller Gewalt und Krankheiten geschützt werden müssten, gefehlt. "Eigentlich sind wir gegen Flüchtlingsunterkünfte", sagt sie der DW. "Wir wollen richtige Wohnungen für alle. Aber wenn es nicht ohne Unterkünfte geht, sollten diese wenigstens in Apartments aufgeteilt sein, so dass jede Familie ein eigenes Bad hat. Während der Corona-Pandemie ist das wichtiger denn je."

So wie in Altersheimen und Obdachlosenunterkünften ist es auch in Flüchtlingsheimen schwierig, strikte Hygienmaßnahmen durchzuhalten. In einigen hat man versucht, einen Corona-Ausbruch durch die Einrichtung von Quarantänebereichen zu verhindern und indem man die Bad- und Küchenbenutzung pro Familie geregelt hat.

Deutschland Coronavirus Migration Nora Brezger
Nora Brezger, Sprecherin des Berliner Flüchtlingsrats, will bezahlbare Wohnungen für alleBild: DW/M. Müller

Vergangene Woche meldeten die Behörden im Stadtteil Buch, dass bei einem Corona-Test in einer Flüchtlingsunterkunft 25 von insgesamt 407 Bewohnern positiv getestet worden seien. Zehn der Angesteckten sowie 55 weitere Personen, mit denen sie Kontakt hatten, mussten zur Quarantäne in eine andere Unterkunft verlegt werden. In einer Mitteilung des Senats hieß es, die Beschäftigten der Unterkunft und Sicherheitspersonal sollten im Laufe dieser Woche getestet werden. Aber: "Eine weitere bzw. dauerhafte Entzerrung durch Auszug von weiteren Bewohner/-innen der Unterkunft ist aufgrund nicht vorhandener Plätze im Sozialraum, aber auch fehlender zusammenhängender Plätze im Bezirk in geeigneten Unterkünften nicht möglich." 

Asyl ja, aber keine Bleibe

Berlin steht vor einem weiteren Problem: Mehr als die Hälfte der Bewohner in den Unterkünften hat Asyl erhalten. Das bedeutet, sie können für bis zu drei Jahre in Deutschland leben und arbeiten. Aber sie sollten dann nicht mehr in Flüchtlingsunterkünften wohnen.

Doch der Wohnungsmarkt in der Hauptstadt ist chronisch angespannt, und Flüchtlinge konkurrieren mit vielen anderen Menschen um Wohnungen. "Das sind Studenten, das sind alleinerziehende Mütter, das sind Deutsche, die von Sozialhilfe leben", sagt Nola Brezker vom Flüchtlingsrat. "Die Flüchtlinge stehen ganz unten auf der Liste, wegen mangelnder Sprachkenntnisse, wegen Vorurteilen von Vermietern, weil viele mehr als zwei Kinder haben und Vermieter nicht so viele Kinder wollen. Selbst wenn sie eine Wohnung finden, werden ihnen andere vorgezogen." Vor allem konkurrieren Flüchtlinge natürlich mit Menschen mit Daueraufenthalt in Deutschland.

Flüchtlingsunterkunft Tempelhof Berlin
Lang ist's her: So sah es in der provisorischen Massenunterkunft in Tempelhof 2015 ausBild: Getty Images/AFP/T. Schwarz

Wenn die Flüchtlinge nicht in den Unterkünften leben, "würden sie auf der Straße stehen", fasst Senatorin Elke Breitenbach die Situation zusammen. Für Brezger weist die Frage, wo man die Flüchtlinge unterbringt, auf ein größeres Problem. "Wir fragen immer: Wenn man Flüchtlingsunterkünfte bauen kann, warum kann man dann nicht bezahlbare Wohnungen für alle bauen, für Flüchtlinge, für Deutsche, für andere Europäer, für jeden?"

Die humanitäre Situation ist allerdings anderswo in Europa noch weit schlechter, und die Berliner Senatskoalition aus SPD, Grünen und Linkspartei hat beschlossen, weitere Flüchtlinge aus den chronisch überfüllten Lagern auf Lesbos und anderen griechischen Inseln aufzunehmen. "Wir glauben, das gehört zu einer humanen Flüchtlingspolitik", sagt die Senatorin Elke Breitenbach. "Wir wollen, dass Europa und natürlich Deutschland Verantwortung übernehmen."

Dazu sollen laut der Senatorin einige der provisorischen Container-Unterkünfte wiedereröffnet werden, während die neuen Unterkünfte gebaut werden. Doch es ist nicht sicher, wie viele, und sogar, ob überhaupt Flüchtlinge von den griechischen Inseln nach Deutschland gebracht werden. Die unionsgeführte Bundesregierung hat sich bisher dagegen gewandt, und ob die Bundesländer das einseitig entscheiden könnten, ist eine heikle rechtliche Frage.

Flüchtlinge in Calais