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Politik

Belarus: Journalisten als Zielscheibe

Mikhail Bushuev
29. Januar 2021

Seit Monaten protestieren Hunderttausende gegen den belarussischen Machthaber Alexander Lukaschenko. Seine Strategie: Aussitzen, die Sicherheitskräfte prügeln lassen - und die Presse verfolgen.

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Eine Protestaktion in Minsk gegen Verfolgung von Journalisten. Auf dem Bild: Leute halten Plakate "Freiheit für Journalisten", "Presse ist heilig". Foto vom 3.9.2020
Protestaktion in Minsk gegen die Verfolgung von Journalisten (im September)Bild: DW/A.Boguslawskaja

Julia Slutskaja sitzt seit einem Monat in Untersuchungshaft. Die bekannte belarussische Medienmacherin und Gründerin des "Presseklubs Belarus" verschwand am 22. Dezember 2020, am Flughafen von Minsk. Das Sicherheitspersonal hatte sie gebeten, durch den "roten" Zollkorridor zu gehen.

24 Stunden habe man nichts über ihren Aufenthaltsort in Erfahrung bringen können, sagte später ihre Tochter Alexandra Slutskaja. "Es stellte sich heraus: Sie saß die ganze Nacht bei Kriminalbeamten, die mit ihr 'freundliche Gespräche' führten", berichtet sie im DW-Interview. Ohne dass ein Anwalt dabei war, hatten die Ermittler Julia Slutskaja kurz in ihre Wohnung gebracht, zum vermeintlichen "Tatort". Die Anklage lautet: Steuerhinterziehung.

Strafverfolgung in Belarus als politisches Druckmittel

Die Ermittler haben auch vermeintliche Komplizen ausgemacht: Slutskajas Kollegen vom "Presseklub Belarus" - einer unabhängigen Medienorganisation, die sich für Fort- und Weiterbildung von Journalisten engagiert. Die Europäische Union unterstützt die Arbeit mit Fördergeldern. Eine Kollegin von Slutkaja wurde ebenfalls festgenommen: Ksenija Luzkina.

Julia Slutskaja, Chefin des "Presseklubs Belarus" sitzt seit einem Monat in Untersuchungshaft in Minsk, Belarus. Foto aus dem Archiv
"Presseklub Belarus" Gründerin Julia Slutskaja wird seit einem Monat festgehalten Bild: Yulia Slutskaya

Seit einem Monat habe sie keine Post von ihrer Mutter bekommen, beklagt Alexandra Slutskaja. Nur über ihren Anwalt erhalte sie noch Nachrichten. "In der Zelle sitzen acht Personen. Es gibt kaum Tageslicht. Fast alle Insassinnen rauchen. Es ist fast immer zu kalt. Und Mutter braucht ständig ihre Allergie-Tabletten", schildert Alexandra Slutskaja den Gefängnisalltag der belarussischen Presseklub-Chefin. Nach Angaben ihrer Tochter haben die Ermittler keine Dokumente präsentiert, die Julia Slutskaja belasten. 

Belarussische Menschenrechtler sind überzeugt: Die Verfolgung ist politisch motiviert: "Es ist nichts über die juristische Grundlage für das Strafverfahren und den Druck auf den Presseklub bekannt. In Belarus sind Vorwürfe von Wirtschaftsstraftaten als Druckmittel aber nichts Neues", sagte der stellvertretende Vorsitzende des belarussischen Journalistenverbands, Boris Gorezkij, der DW.

Journalisten verschwinden in Belarus - immer öfter

Am 12. Januar verschwand der bekannte belarussische Journalist Andrej Alexandrow. Erst einen Tag später erfuhr sein Anwalt von der Festnahme. Zunächst wurde Alexandrow "grobe Verletzung der öffentlichen Ordnung in Minsk" vorgeworfen. Wie im Fall von Slutskaja haben die Ermittler keine belastenden Fakten mitgeteilt. Später wurde neu Anklage erhoben: Die "Finanzierung" von Teilnehmern an den Massenunruhen und Protesten.

Sitzt auch seit Monaten: eine der führenden Oppositionsaktivistinnen Maria Koslnikowa (rechts). Auf dem Bild: Kolesnikowa auf der Demo von Frauen gegen Polizeigewalt in Minsk. am 29. August 2020
Ebenfalls seit Monaten in Haft: Oppositionsaktivistin Maria Koslnikowa (rechts)Bild: Reuters/BelaPAN

Alexandrows angebliches Vergehen hat viel mit einer Besonderheit des belarussischen Justizsystems zu tun: Wer in Untersuchungshaft sitzt, muss für jeden Tag im Gefängnis bezahlen. Dieses Geld für Protestierende bezahlt zu haben, die in Untersuchungshaft gelandet sind, wird Alexandrow nun vorgeworfen.

Die Stiftung, die das Geld zur Verfügung gestellt hatte, und seine Freunde nennen die Anklage "absurd" und "lächerlich". Im Rahmen des Verfahrens wurden auch Räume der privaten Nachrichtenagentur "Belapan" durchsucht, für die Alexandrow gearbeitet hat. Zudem wurde bei "Belapan" Technik konfisziert.

Hunderte Reporter betroffen

Julija Slutskaja und Andrej Alexandrow sind nur zwei von neun Journalistinnen und Journalisten, die derzeit in Haft sitzen und auf einen Strafprozess warten. Hunderte weiterer Journalisten haben in den vergangenen Monaten von staatlicher Seite Gewalt, Drohungen, Repressalien, Verfolgung und Druck jeglicher Art  erfahren: "Allein am Wahltag, dem 9. August, wurden 363 Medienvertreter festgenommen; 78 saßen eine administrative Haftstrafe ab", schreibt die Zeit-Reporterin Alice Bota unter Verweis auf Zahlen der Vereinigung unabhängiger belarussischer Journalisten.

Bereits seit 26 Jahren an der Macht hatte sich Alexander Lukaschenko am 9. August 2020 erneut zur Wahl als Präsident gestellt - und zum Sieger erklärt. Die Wahl wird international weder als frei noch als fair bewertet. Es bestehen erhebliche Zweifel an den Ergebnissen der Wahlkommission.

Aus Protest gehen seit Anfang August regelmäßig Hunderttausende Belarussen auf die Straßen. Bislang hat Lukaschenko vor allem wegen der ihm loyalen Sicherheitskräfte und ihrem brutalen Vorgehen die monatelangen Proteste relativ unbeschadet überstanden. Im Kampf um den Erhalt seiner Macht, stellen Beobachter fest, geht der belarussische Alleinherrscher gezielt gegen unabhängige Journalisten und Blogger vor. 

Journalisten "schnell und unbürokratisch unterstützen"

Die Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) hat am 20. Januar die deutsche Bundesregierung aufgerufen, "verfolgte Medienschaffende in Belarus schnell und unbürokratisch zu unterstützen". Für ROG ist Belarus derzeit das gefährlichste Land für Journalisten in Europa.

Belarus - Hilfe für Regimegegner

Die Bundesregierung hat den Verlauf der Wahlen im Land mehrfach kritisiert und die gewaltsame Niederschlagung der Proteste verurteilt. Deutschland beteiligte sich auch an den EU-Sanktionen gegen das Lukaschenko-Regime. Mitte Januar hat zudem das Auswärtige Amt angekündigt, 21 Millionen Euro für die Unterstützung der belarussischen Zivilgesellschaft zur Verfügung zu stellen, "in Anbetracht der großen Opfer", die diese aktuell erbringen müsse.

Doch angesichts der Unterstützung aus Moskau scheint der internationale Druck - auch aus Deutschland - den belarussischen Machthaber bislang nicht sonderlich zu beeindrucken.