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Demos Russland

10. Dezember 2011

Am 10. Dezember gab es in vielen Städten Russlands Protestveranstaltungen gegen die angeblichen Wahlfälschungen. Die Kundgebung in Moskau war die größte seit mehr als zehn Jahren. Eine Einschätzung von Ingo Mannteufel.

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Symbolbild Kommentar (Grafik: DW)
Bild: DW

Die Protestkundgebung auf dem Bolotnaja-Platz in der Nähe des Kremls war unbestritten die größte Demonstration in der russischen Hauptstadt seit dem Wladimir Putin als Präsident oder Ministerpräsident die Geschicke Russlands lenkt.

Historisches Ereignis

Unabhängig davon, ob es nun 25.000 Teilnehmer waren, wie offizielle Stellen behaupten, oder weit mehr als 50.000 wie es aus Kreisen der Veranstalter hieß, stellen diese Zahlen eine neue Dimension russischer Protestkultur dar. Denn in den letzten Jahren kamen meist nur einige Hundert oder wenige Tausend zu oppositionellen Demonstrationen. Und deshalb wird die Protestveranstaltung auf dem Bolotnaja-Platz unzweifelhaft ihren Platz in der modernen Geschichte Russlands finden.

Die große Anzahl der Teilnehmer hat nicht nur viele der Demonstranten überrascht. Auch die Staatsmacht dürfte etwas verwundert gewesen sein: Denn sie hatte eine Demonstration von bis zu 30.000 Menschen erlaubt und dafür ein massives Aufgebot von 50.000 Polizisten und Sicherheitskräften in das Moskauer Zentrum beordert. Die große Anzahl von Teilnehmern hat vermutlich auch zum friedlichen Verlauf der Veranstaltung beigetragen. Gegen kleinere Kundgebungen ist die Polizei jedenfalls bislang stets hart vorgegangen. Angesichts der großen Menschenmenge wären die Folgen eines brutalen Polizeieinsatzes fürchterlich gewesen.

Bürgergesellschaft und Internet

Porträt von Ingo Mannteufel (Foto: DW/Per Henriksen)
Ingo Mannteufel, Leiter der Russischen Redaktion der Deutschen WelleBild: DW

Auch wenn die größte Protestkundgebung unter Putin keine russische Revolution darstellt, so sind doch einige Schlüsse klar festzuhalten: Zum ersten Mal seit mehr als einem Jahrzehnt waren viele Tausend Menschen in Moskau und einige weitere Tausend im ganzen Land bereit, für ihre Rechte und ihre politischen Überzeugungen auf die Straße zu gehen. Zu den Protesten sind nicht nur die üblichen Oppositionellen gekommen, sondern auch das, was man künftig die russische Zivilgesellschaft nennen wird.

Zweitens, hat sich gezeigt, dass das Internet ein wirksames Mittel zur Mobilisierung dieser russischen Bürgergesellschaft ist. Das Internet als relativ freier Kommunikations- und Informationsraum überwindet die vom Staat verordnete Wirklichkeit der klassischen elektronischen Medien. Mehr noch: Das Internet zwingt die staatlichen TV-Sender über die Proteste zu berichten, wenn diese TV-Sender und die dort beschäftigten Journalisten nicht ihre letzte Glaubwürdigkeit verlieren wollen. Die alte These vom Internet als Instrument der Freiheit und der Demokratie erhält in allgemeiner Form eine weitere Bestätigung.

Und drittens offenbart die Wucht der Proteste im Internet und auf der Straße die Ratlosigkeit des Regimes. Die etwas unkoordinierte und auch widersprüchliche Informationspolitik des Kremls in den letzten Tagen lässt vermuten, dass er auf diese Entwicklung nach den Duma-Wahlen nicht vorbereitet war. Glücklicherweise ist der Kreml vor einem massiven Gewalteinsatz gegen die Proteste auf dem Bolotnaja-Platz zurückgeschreckt, was für die Zukunft hoffen lässt.

Was weiter?

Welche weiteren Folgen die Proteste eine Woche nach den Duma-Wahlen haben werden, ist noch unklar: Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Kreml-Führung ernsthaft über Neuwahlen nachdenkt. Wieso auch? So bedeutend die Proteste waren, so ist es noch lange keine Massenbewegung erkennbar, die die Putin-Führung im Mark erschrecken müsste. Bislang sind auch keine Risse in der regierenden Elite zu erkennen. Und die systemkritische Opposition ist inhaltlich sehr zerstritten und ihre weitere Strategie offen. Das alles lässt erwarten, dass der Kreml weitermacht wie bisher und Putin weiterhin seine Wahl zum Präsidenten Russlands am 4. März 2012 anstrebt. Doch Russland steht am Scheideweg. Die heutigen Proteste haben einen Vorgeschmack auf die nächsten Monate gegeben. Zwischen jetzt, dem 4. März und der geplanten Amtseinführung des neuen Präsidenten im Mai 2012 kann noch viel passieren.

Autor: Ingo Mannteufel
Redaktion: Sonila Sand