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Politik

Soll der öffentliche Raum schärfer überwacht werden?

Alexander Drechsel
28. Dezember 2016

Darf der Staat die Daten seiner Bürger auslesen, um die Sicherheit zu schützen? Und dürfen Bürger dies erschweren, indem sie Emails oder Kurznachrichten verschlüsseln? Europas größtes Hackertreffen debattiert darüber.

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Symbolbild Cyber Security
Bild: picture-alliance/dpa/A. Marchi

Im Innern des Hamburger Kongresszentrums ist es dieser Tage ungewöhnlich dunkel. Dort, wo normalerweise tausende Lampen die verschachtelten Ebenen erhellen, ist das Licht auf ein Minimum reduziert. Die 12.000 Besucher des 33. Chaos Communicaton Congress - die meisten von ihnen eingefleischte Computerfreaks - fühlen sich im Schummerlicht offensichtlich wohl. Die Hacker aus zahlreichen Ländern treffen sich einmal im Jahr, um Erfahrungen und neue Ideen auszutauschen.

Die Sicherheit von Daten auf der einen Seite und die Anstrengung von Staaten, Computer und Handies ihrer Bürger auszuspähen, ist ein Thema, das die Szene seit Jahren bewegt. In diesem Jahr werden die Diskussionen durch die jüngsten Anschläge in Berlin bestimmt: Der Terroranschlag mit einem Lastwagens auf den Berliner Weihnachtsmarkt und der mutmaßliche Mordversuch von einer Gruppe Jugendlicher auf einen Obdachlosen haben die Debatte über eine schärfere Überwachung angefacht.

Wie können die Behörden potentielle Attentäter stoppen?

Die Koalitionspartei CSU will etwa, dass schon 14-Jährige bei begründetem Verdacht überwacht und belauscht werden dürfen, um potenzielle Attentate stoppen zu können. Viel Zustimmung bekommt die CSU auch für den Vorstoß, Ausländer in Haft zu nehmen und abzuschieben, wenn sie bereit sind, Gewalttaten gegen den Staat zu begehen - selbst wenn sie noch keine Straftat begangen haben. Um herauszufinden, wer potentielle Straftaten plant, soll die Überwachung von Telefongesprächen, Emails und Kurznachrichten ausgeweitet werden. 

Automatische Überwachung gescheitert

Symbolbild für Abhören von Handys
Handies sind begehrt - Geheimdienste wollen mithören.Bild: DW/A. Drechsel

Beim Hackertreffen in Hamburg sehen viele Besucher diese Pläne mit Skepsis. Frank Rieger ist ein Sprecher der Organisatoren. Für ihn steht - trotz der aktuellen Ereignisse - fest: "Die Automatisierung der Überwachung ist gescheitert", so Rieger. Videoüberwachung verhindere keine Straftaten. Stattdessen verlagere sich Kriminalität an nicht überwachte Orte. Täter vermummten sich. Mehr Sicherheit gebe es nur, wenn mehr Sicherheitspersonal "auf die Straße geschickt" werde.

FBI hackt sich weltweit in Computer

Auch die Frage, ob sich Strafverfolger in ihrer Arbeit an die ihnen gesetzten Grenzen halten, beschäftigt die Hackerszene. Der Journalist Joseph Cox etwa ist überzeugt, dass es zur Überschreitung von Befugnissen kommt. Cox zeigte auf dem Hamburger Kongress, wie die US-Bundespolizei FBI beim Ausheben eines virtuellen Kinderpornos-Rings die zulässigen Grenzen überschritt.

Vor etwa zwei Jahren kamen die Beamten dem Betreiber der Kinderporno-Plattform "Playpen" auf die Spur und übernahmen im Februar 2015 den Server. Von einem Richter ließ sich das FBI genehmigen, über die Server einen Trojaner auf die Computer der Plattformbesucher zu spielen. So wollten sie die Orte ermitteln, von wo aus die Pädophilen auf "Playpen" zugriffen. Die Erlaubnis habe der Richter nur für einen bestimmten Distrikt in den USA gegeben, sagt Cox in Hamburg. Das FBI aber habe etwa 8700 Standorte in 120 Ländern ermittelt und die Ergebnisse an andere Polizeien weitergegeben. "Kinderpornografie ist eines der widerlichsten Verbrechen und muss verfolgt werden", sagte Cox. "Wer völlig zu recht Gesetze durchsetzen will, muss sich auch an die Gesetze halten". Für diese Forderung bekam Cox in seinem Vortrag viel Applaus.

Kongress des Chaos Computer Clubs in Hamburg
Zwei Besucher beim Chaos Communication CongressBild: Patrick Lux/Getty Images

Smartphones im Visier

Wie weit reichen die Gesetze? Und dürfen Unternehmen von den Behörden zur Mitarbeit verpflichtet werden? Kurt Opsahl, Vize-Vorsitzender der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation, ging in Hamburg auf dieses Thema ein. Als Beispiel nannte er den heiß diskutierten Fall zwischen FBI und Apple, bei dem die Bundespolizei in einem Gerichtsverfahren den Handyhersteller zwingen wollten, die Verschlüsselung der eigenen Mobiltelefone zu knacken. Hintergrund war ein Verfahren gegen einen mutmaßlichen Attentäter.

Handy als Tür zur Seele

Für Opsahl zeigt das Beispiel zwei wesentliche Entwicklungen: Zum einen, dass die Verschlüsselungstechnologie und andere Sicherheitsmechanismen immer besser werden und sich Bürger vor dem Zugriff von Behörden schützen können. Und dass Geheimdienste andererseits genau aus diesem Grund die Technik für private Anwender verbieten und Strafverfolgern die Möglichkeiten geben wollen, Zugang zu gespeicherten Daten zu bekommen. "Alles ist heutzutage auf einem Handy gespeichert – wer da rein schauen kann, schaut in die Seele seines Besitzers", sagt Opsahl. Benutzer sollten deswegen nicht nur die Daten auf dem Handy, sondern auch auf ihrem Computer  und in ihrer Email-Kommunikation verschlüsseln. 

Tipps für die eigene Datensicherheit

Kurt Opsahl Vize-Chef der US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation
Rät den Bürgern, ihre Daten zu verschlüsseln - Kurt Opsahl.Bild: DW/A. Drechsel

Aber: Wer plötzlich alles verschlüsselt, kann dadurch die Aufmerksamkeit von Geheimdiensten auf sich ziehen. Opsahls Organisation hat deshalb den Leitfaden „Surveillance Self Defense“ entwickelt. Er berät jeden einzelnen dabei, seine Daten den eigenen Bedürfnissen entsprechend effektiv zu schützen. 

Opsahl ist davon überzeugt, dass der gewählte US-Präsident Donald Trump den Druck auf Unternehmen erhöhen und sie zur Mitarbeit mit Polizei und Geheimdiensten verpflichten wird. Dem sieht er mit Sorge entgegen. Mit großen Erwartungen blickt er deswegen auf die deutsche Regierung. "Ich würde es begrüßen, wenn Deutschland als  wichtige Wirtschaftsmacht in der EU sich für starke Verschlüsselungstechnologien einsetzen würde."