Kennzeichen im Sommerloch
22. August 2012Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer hat in diesem Sommer mit einem Vorschlag für Wirbel gesorgt: In Zukunft soll es auch kleinen Städten und Gemeinden möglich sein, eigene Nummernschilder zu führen. Bisher ist das so: Städte und große Landkreise haben eigene Kennzeichen. B für Berlin, HH für die Hansestadt Hamburg, oder auch DO für Dortmund. Der Rhein-Siegkreis hat das Zeichen SU. Das steht für Siegburg, eine kleine Kreisstadt zwischen Köln und Bonn. Alle Gemeinden in diesem Kreis tragen das Kürzel SU, auch die vergleichsweise große Nachbarstadt Troisdorf. Das könnte sich nun ändern. Troisdorf könnte ein eigenes Kürzel bekommen und jeder patriotische Troisdorfer könnte stolz den Beweis seiner Herkunft mit sich herumfahren.
Ja, warum denn nicht, bitteschön? Der Deutsche weiß eben gerne, wo er hingehört und möchte seine Zugehörigkeit und Identität auch gerne dem Rest der Welt mitteilen. Und wo wäre da der bessere Platz als am eigenen Auto? Was haben wir nicht schon alles für Aufkleber gesehen: Atomkraft - Nein danke!, die Umrisse der Insel Sylt oder der Nürburgring-Nordschleife. Das sind Klassiker, genauso wie die Vereinsembleme von Fußballclubs, Symbole fürs geliebte Hobby, Schriftzüge der Lieblingsband. Der Deutsche will damit sagen: Seht her, das bin ich!
Das Auto als Litfaßsäule
Unter den Aufklebern prangt in der Regel das Nummernschild. Das deutsche Autokennzeichen besteht aus einem Kürzel für die Stadt oder den Landkreis, in dem das Fahrzeug angemeldet ist. Dann folgt eine ein- oder zweistellige Buchstabenkombination, danach eine ein- bis vierstellige Zahlenkombination. Letztere sind frei wählbar. Klingt kompliziert, kann aber zum Beispiel so aussehen: M-DM 0607. Das Auto kommt aus München, der Halter heißt Dieter Müller und hat am 6. Juli Geburtstag. Oder K-FC 1978. Hier fährt ein bekennender Fan des 1. FC Köln, der im Jahr 1978 zum letzten Mal in seiner Geschichte Deutscher Fußballmeister gewesen ist.
Überhaupt tragen viele Kölner mit einem gewissen Stolz ihr Nummernschild vor und hinter sich her und stöhnen genervt auf, wenn ein Fahrer mit getuntem Golf und BM-Kennzeichen an jeder Ampel Gummi in den Asphalt drückt: "Ja klar, Bergheim, Erftkreis," denkt er sich dann, "BM steht ja für 'bereifte Mörder'".
Fährt im Gegensatz dazu jemand mit den Buchstaben FFB orientierungslos durch Berlin, dann haben die meisten Berliner Verständnis für ihn, da er aus dem bayerischen Fürstenfeldbruck kommt und sich in der Hauptstadt offensichtlich nicht auskennt. Der Berliner weiß ja auch nicht, dass die Münchener ihre Nachbarn gerne mit "Fahrer fährt besoffen" betiteln.
Ein hochbrisantes Thema fürs Sommerloch
Liest man zurzeit die deutschen Tageszeitungen, scheinen sich mittlerweile Heerscharen von Forschern, Experten, Politikern und anderen Geistesgrößen mit den Auswirkungen des Ramsauerschen Vorstoßes zu beschäftigen.
"Nummernschilder sind ein extrem öffentliches Statement", sagt ein Semiotik-Experte, einer der sich mit der Bedeutung von Zeichen beschäftigt, "Regionale Identitätsbindung, das brauchen die Menschen, daran klammern sie sich." Andere stellen sich die Frage, ob denn in Zukunft Kombinationen wie "SE-XY" entstehen könnten und was solches im Straßenbild anrichten könnte, lassen dabei allerdings außer Acht, dass es schon jetzt Stuttgarter Autos mit "S-EX" – Kennzeichen gibt oder so mancher Siegburger sich gerne dem "SU-FF" hingibt und ein Aachener Fahrer gerne Musik von "AC-DC" hört.
Sorgen machen sich manche auch über lange Urlaubsreisen mit gelangweilten Kindern. Das Kennzeichen-Raten würde erschwert werden, wenn so viele neue dazu kämen. Auch diese Sorge ist nicht ganz nachvollziehbar. Welcher normale Mensch außerhalb von Rheinland-Pfalz weiß, was AZ bedeutet? Es steht für den Landkreis Alzey-Worms. So manch einer brauchte auch lange, um zu begreifen, dass HRO das Kürzel für die Hansestadt Rostock ist.
Solange es keine Herzchen sind…
In dieser ganzen Diskussion fehlt übrigens auch der Hinweis, dass viele unserer europäischen Nachbarn überhaupt kein Problem mit ihrer Kennzeichen-Identität haben. In den Niederlanden können noch nicht mal Experten bestimmen, woher die Autos stammen, gleiches gilt unter anderem für Belgien, Schweden, Finnland und Dänemerk. Die Briten haben komplizierte Herkunfts- und Jahrescodes. Auch die Franzosen haben nüchterne Buchstaben- und Zahlenfolgen. Aber die haben nach der letzten Kennzeichenreform durchgedrückt, dass immerhin die Nummer ihres Départements noch zu sehen ist. Da schwang wohl doch ein wenig Lokalpatriotismus mit. Ein Blick in die USA zeigt aber, dass weder Franzosen noch Deutsche in Zukunft das toppen können: Hier ist es möglich, sein Hobby auf seinem Nummernschild zu manifestieren. In Kalifornien sind sogar Sonderzeichen möglich, also Herzchen oder Sternchen.
Wozu also die Aufregung? Das einzige, was an diesem Thema wirklich aufregend ist, sind zusätzliche Kosten für diejenigen, deren Heimatgemeinde tatsächlich von der Möglichkeit Gebrauch macht. Denn dann kassiert die Kommune natürlich ordentlich Geld. Ein neues Nummernschild sowie ein neuer Eintrag im Fahrzeugschein, das bringt Verwaltungsgebühren. Und das wiederum tut den Deutschen weh. Aber auch das ist eben typisch deutsch.