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Politik

"Wir wagen nicht, um Vergebung zu bitten"

22. Oktober 2018

Australiens Regierung und Opposition haben sich zum Versagen des Staates im Missbrauchsskandal bekannt. In einer emotionalen Rede versprach Premierminister Morrison, die Aufarbeitung sei mit dem "Sorry" nicht vorbei.

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Australien Parlament Scott Morrison Entschuldigung Missbrauchsopfer
Bild: Getty Images/AFP/S. Davey

"Wir haben als Nation versagt, das müssen wir uns heute eingestehen", sagte Scott Morrison (Artikelbild) vor dem Parlament in der australischen Hauptstadt Canberra. Mehrmals brach ihm die Stimme, als er sich direkt an die im Besucherbereich sitzenden rund 800 anwesenden Missbrauchsopfer und deren Familien wandte. "Wir haben nicht zugehört, wir haben den Schilderungen nicht geglaubt, wir haben viel zu lange weggesehen und wir haben die Täter nicht zur Rechenschaft gezogen - dafür entschuldigen wir uns." Dies werde "für immer eine Schande" bleiben.

Im Anschluss an die Rede erhoben sich die Abgeordneten für eine Schweigeminute.

Oppositionsführer Bill Shorten schloss sich dem Premierminister in seiner Rede an. "Wir entschuldigen uns für jede gestohlene Kindheit, für jedes verlorene Leben. Wir entschuldigen uns für jeden Vertrauensbruch und für jeden Machtmissbrauch", sagte der Labour-Politiker.

Anwesend war auch die ehemalige Premierministerin Julia Gillard, die 2013 die Kommission zur Untersuchung des Umgangs mit Missbrauchsfällen in kirchlichen und weltlichen Institutionen eingesetzt hatte.

Aufarbeitung geht weiter

Mit der offiziellen Entschuldigung kam die Politik einer Empfehlung aus dem Abschlussbericht der staatlichen Missbrauchskommission von Ende 2017 nach. Morrison kündigte an, die Regierung wolle ein Museum und ein Forschungscenter einrichten. So sollten einerseits das Bewusstsein und die Achtsamkeit in der Bevölkerung erhöht und andererseits die Folgen des Kindesmissbrauchs untersucht werden. Außerdem sollen Betroffene dort Rat und Hilfe bekommen.

In Australien waren über Jahrzehnte hinweg Kinder und Jugendliche in kirchlichen und weltlichen Einrichtungen sexuell missbraucht worden. Die zur Aufarbeitung eingesetzte Kommission hat fünf Jahre lang Beweise zusammengetragen und mit rund 8000 Opfern gesprochen. Schätzungen zufolge sind aber vermutlich bis zu 60.000 Kinder und Jugendliche  in Schulen, Heimen, Sportvereinen und Kirchen missbraucht worden.

Die Regierung hat schon mehr als 100 Empfehlungen der Kommission akzeptiert, darunter Entschädigungszahlungen an Missbrauchsopfer in Höhe von umgerechnet bis zu 92.000 Euro. Außerdem wurde ein Ministerium für Kindessicherheit eingerichtet, das direkt dem Premierminister unterstellt ist.

Opfer mit gemischten Reaktionen

Unter Missbrauchsopfern stieß das "Sorry" der Regierung auf geteiltes Echo. Betroffene aus dem katholischen Bistum Ballarat boykottierten die Parlamentssitzung. Die Entschuldigung sei "hohl", solange es keine landesweit einheitliche Gesetzgebung gebe, die jeden zur polizeilichen Anzeige von sexuellem Kindesmissbrauch verpflichte, sagten Vertreter von Missbrauchsopfern gegenüber australischen Medien. Ballarat ist einer der zentralen Orte im Missbrauchskandal in Australien.

Missbrauchsopfer Peter Gogarty zeigte sich skeptisch über den Wert der Entschuldigung. Es habe in den vergangenen Jahren schon viele "Sorrys" gegeben, ohne dass wirklich Taten gefolgt seien, sagte er dem Sender ABC. Gogarty war in den 1970er Jahren als Junge im Bistum Newcastle missbraucht werden. Sein Fall hatte in diesem Jahr zur Verurteilung von Erzbischof Philip Wilson wegen der Vertuschung von Missbrauchsfällen geführt.

mak/se (ape, dpa, afpe, rtre, kna)