Vom Wedding nach Israel
24. Mai 2011Am 4. März 2001 besteigt Arye Sharuz Shalicar in Berlin-Schönefeld ein Flugzeug und fliegt nach Israel - für immer. Ein langer Weg liegt hinter ihm.
Seine Eltern sind nicht religiös. Bis er 13 Jahre alt ist, weiß er auch gar nicht, dass er ein Jude ist. Dann zieht die Familie aus einem eher beschaulichen Stadtteil in den Wedding – einen der sozialen Brennpunkt in der Hauptstadt. Fortan ist Shalicar von Türken, Palästinenser, Libanesen umgeben.
Auf Grund seiner schwarzen Haare und seines dunklen Teints wird er für einen Türken oder Araber gehalten. Er stellt sich als Deutsch-Perser vor. Automatisch geht er in seinem Umfeld als Moslem durch. Er widerspricht anfangs nicht.
Doch irgendwann kommt heraus, dass er Jude ist. Viele seiner arabisch- und türkischstämmigen Kumpel beleidigen und bedrohen ihn. Manche schlagen zu. Aber er habe auch Muslime erlebt, die zu ihm gehalten hätten, so Shalicar.
Identitätssuche
In diesen Jahren wird ihm langsam immer deutlicher, dass seine hauptsächliche Identität jüdisch ist. Und erst an zweiter Stelle persisch und deutsch. Shalicar mischt bei unterschiedlichen Gangs im Wedding mit, prügelt sich, besprüht Wände. Er kommt öfter in Konflikt mit dem Gesetz. Trotzdem schafft er das Abitur.
1998 geht Shalicar zur Bundeswehr. Er dient zehn Monate bei den Sanitätern in Schleswig Holstein. Das sei eine gute Zeit gewesen, erinnert er sich. Keiner seiner Kameraden hatte ein Problem damit, dass er Jude ist.
Dennoch steht für Shalicar fest, er will weg, weg aus Deutschland. Nirgends gehört er richtig dazu, überhall ist er immer ein bisschen anders. Er fühlt sich nicht zu Hause, ist auf der Suche nach einer Heimat. Lange weiß er nicht, wohin er gehen möchte. Israel kennt er durch Familienurlaube, die Vereinigten Staaten durch Besuche bei Verwandten in Los Angeles. Irgendwann ist für ihn klar: "Das einzige Land, wo ich als Jude in dem Sinne frei sein kann, wo ich wirklich zugehörig bin, das ist Israel." Er will es in Israel versuchen.
Armeedienst
Die ersten Jahre seien nicht einfach gewesen, sagt Shalicar. Er musste Hebräisch lernen und sich einen neuen Freundeskreis aufbauen. Einige Monate nach seiner Einwanderung macht Shalicar seinen Grundwehrdienst in der israelischen Armee. Er lernt Freunde kennen, verbessert seine Sprachkenntnissse.
Die israelische Armee sei eine ganz große Integrations-Maschine. Durch den Pflichtdienst von allen - Männern und Frauen - würde so etwas wie eine israelische Identität entstehen. Und zwar gleichermaßen für Neu-Einwanderer, Ultra-Orthodoxe und Beduinen.
Heimat
Heute ist er Pressesprecher bei der israelischen Armee. Für ihn ist das nicht nur ein Job, sondern eine Mission. Er stehe für eine Organisation, an die er glaube, die unbedingt notwendig sei, um den Staat Israel zu beschützen und zu verteidigen.
Shalicar ist dort angekommen, wo er hin wollte. Über seinen langen Weg von Berlin-Wedding nach Israel hat er eine Autobiographie geschrieben. Sie trägt den Titel: „Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude - Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde.“
Irgendwie fühlt sich Shalicar aber auch deutsch. Seine Muttersprache sei deutsch, sagt er. Und er komme immer wieder gern nach Deutschland – zu Besuch. Denn seine Heimat habe er in Israel gefunden.
Autorin: Petra Nicklis
Redaktion: Hartmut Lüning
Autobiografie von Arye Sharuz Shalicar "Ein nasser Hund ist besser als ein trockener Jude - Die Geschichte eines Deutsch-Iraners, der Israeli wurde." dtv-Verlag München 2010, knapp 15 Euro.