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Schöne verkehrte Welt: Deutsche arbeiten in Polen

29. April 2010

Die Arbeitslosenzahl in Deutschland ist im April um 162.000 auf rund 3,4 Millionen gesunken. Im östlichen Bundesland Brandenburg ist es aber nach wie vor schwer, einen Job zu finden. Der polnische Nachbar kann da helfen.

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Praktikant Markus Lößner mit Gärtnereibesitzer Zdzisław Brudło in einem Gewächshaus. (Foto: Ewa Zielinska vom Landratsamt Wolsztyn, Polen)
Gelungenes Experiment: Zdzisław Brudło mit Markus Lößner (rechts)Bild: Ewa Zielinska vom Landratsamt Wolsztyn

Ein dunkler Flur, etwas brummt laut und unangenehm: Schritt für Schritt schiebt eine junge Frau einen Staubsauger über einen beigen Teppichboden, auf dem Weg zum Hotelzimmer Nummer zehn. Nicole Kretschmer trägt eine schwarze Jogginghose und ein weites grünes Sweatshirt, praktische Arbeitskleidung für ein Zimmermädchen. Staubsaugen ist eine der täglichen Aufgaben von Nicole, neben Betten beziehen und Bad saubermachen. Seit März ist sie Praktikantin im Hotel Kaukaska, am Ortseingang von Wolsztyn. Eigentlich ist Nicole Hauswirtschaftshelferin, hat aber nach ihrer Ausbildung in Brandenburg keinen Job gefunden. "Das ist ganz, ganz schlimm, wenn man nichts zu tun hat", sagt die eigentlich schüchterne 22-Jährige mit Nachdruck. Den ganzen Tag zu Hause rumhängen - ihr sei die Decke auf den Kopf gefallen. Und wenn man dann endlich Arbeit bekomme, sei es schwierig, sich nach so langer Pause in den Arbeitsalltag einzufinden.

Pausen-Plausch geht nicht

Um wieder in die Arbeitswelt reinzukommen, hat sie zugesagt, als sie über das Arbeitsamt von einem Praktikum in Polen erfahren hat. Obwohl sie noch nie von zu Hause weg, geschweige denn im Ausland war und das Nachbarland nur vom Tanken an der Grenze kannte. Zwei Monate lang hat Nicole einen Vorbereitungskurs besucht, etwas über polnische Kultur und vor allem ein bisschen Polnisch gelernt. Trotzdem klappt die Verständigung vor Ort meist nur mit Händen und Füßen.

Praktikantin Nicole Kretschmer macht mit ihrer Kollegin Basia Betten im Hotel Kaukaska, Polen. (Foto: Anna Corves)
Nicole Kretschmer - Betten machen auf Polnisch geht schon, nur reden nichtBild: Anna Corves

Kollegin Basia, mit der Nicole gerade Zimmer zehn aufräumt, bedauert das. Bei der Arbeit sei die Sprache zwar kein Problem, sie würde Nicole einfach zeigen, wie man am besten die Zimmer reinigt. "Nur unterhält man sich eigentlich ja auch gerne mal mit seiner Kollegin. Das geht bei uns leider nicht so gut." Nicole zuckt bedauernd mit den Schultern. Die Sprachprobleme, das Einarbeiten - einfach ist das Praktikum nicht: "Aber auch wenn es schwer fällt, ich bin froh, dass ich’s gemacht habe und die Erfahrung sammeln kann." Sie sei selbständiger geworden. Es fühle sich gut an, mal zu Hause raus zu kommen und sich alleine durchzuboxen.

Mit Polnisch eine Perspektive

Heike Dingfeld nickt. Die 35-Jährige leitet das Praktikumsprogramm, schaut regelmäßig in Wolsztyn nach dem Rechten. Sie hofft, dass Nicole und die anderen vom neuen Selbstbewusstsein profitieren, wenn sie aus Polen zurückkehren. Zu Hause erwartet sie ein weiteres, einmonatiges Praktikum in einem deutschen Betrieb. Im Idealfall werden sie danach übernommen. Wenn nicht, müssen sich die Praktikanten wieder auf Jobsuche machen.

Für die berufliche Zukunft ihrer Projektteilnehmer gibt sich Heike Dingfeld optimistisch: Immerhin könnten Deutsche schon jetzt in Polen arbeiten, ab 2011 auch die Polen uneingeschränkt in Deutschland. Das sei eine Chance: "Gerade in Brandenburg werden schon viele Stellen ausgeschrieben, bei denen Polnischkenntnisse gefragt sind. Für unsere Leute ist das eine Perspektive, weil sie nach dem Praktikum die praktische Erfahrung und ein bißchen Polnisch vorweisen können."

Umgedrehte Verhältnisse

Ein Pilzsammler geht durch das Naturschutzgebiet der Reicherskreutzer Heide nahe dem brandenburgischen Henzendorf. (Foto: dpa)
Schöne Natur, aber wenig Jobs: BrandenburgBild: dpa - Report

Ortswechsel: Zehn Autominuten von Nicoles Arbeitsplatz im Hotel Kaukaska entfernt, kniet Markus Lößner in einem hellen Gewächshaus. Eilig schiebt er schwarze Plastikkisten mit gelben Stiefmütterchen zusammen. Der 23-Jährige ist Gärtner, hat seit seinem Abschluss 115 Bewerbungen geschrieben, vergeblich. Als er das Praktikum in der Gärtnerei von Zdzisław Brudło bekam, hat er sich gefreut, endlich wieder arbeiten zu können. Gut gehe es ihm hier, sagt er, er könne nicht klagen. "Es klappt alles, der Chef ist auch zufrieden." Zwar würde er gerne mehr im Verkauf mithelfen, aber dafür könne er eben zu wenig Polnisch.

Sein Chef, Zdzisław Brudło, ist ein rundlicher Mann mit Lachfältchen in den Augenwinkeln. Er sitzt in einer türkis gestrichenen Mini-Küche hinter dem Gewächshaus, trinkt eine Tasse dampfenden Tee. Mit Markus hat er eine kostenlose Arbeitskraft bekommen, aber das ist nicht der Hauptgrund, warum er bei dem Programm mitmacht. "Ich bin neugierig gewesen, sonst ist es doch immer umgekehrt: Polen fahren nach Deutschland zum Arbeiten." Es sei eine gute Sache, Markus hier zu haben. Nicht nur sei der schnell aufgeblüht, lebendiger geworden, auch die Atmosphäre in der Gärtnerei habe sich verändert, zum Vorteil: Seine Mitarbeiter würden zu Hause ihre Wörterbücher raussuchen, um sich mit Markus verständigen zu können. Und das Experiment sei geglückt: "Wir wollten mal sehen, wie ein Deutscher in Polen so arbeitet." Zdzisław Brudło lässt sich Zeit für die Pointe und sagt dann: "Wenn er will, arbeitet er wie ein Pole!"

Autor: Anna Corves
Redaktion: Jutta Wasserrab