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Atomkraft in Schweden und Finnland

Alexander Budde16. Juli 2008

Der Bau eines Druckwasserreaktors im Südwesten Finnlands wird von der Industrie als Vorzeigeprojekt gefeiert, aber Umweltschützer kritisieren den Neubau.

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Olkiluoto 3 Druckwasserreaktor in Finnland und Dominique de Villepin, der von Journalisten interviewt wird
Am Bau vom Druckwasserreaktor Olkiluoto 3 in FinnlandBild: AP

Der Druckwasserreaktor Olkiluoto 3 ist der erste Neubau eines Kernkraftwerks in einem westlichen Industrieland seit der Katastrophe von Tschernobyl vor über 20 Jahren. Die Konzerne Areva und Siemens, die den Meiler errichten, müssen enorme Verluste befürchten, da Sicherheitsmängel und Probleme mit fehlerhaften Bauteilen den Betriebsstart verzögert haben. Dennoch setzt die Industrie größte Hoffnungen in das Vorzeigeprojekt.

Bunte Werbefilme auf der Baustelle

Das finnische Vorbild soll das weltweite Geschäft mit den Kernreaktoren wieder anschieben, die Märkte erobern und somit das Überleben der Branche sichern. Auch die finnische Regierung wirbt für den Bau neuer Reaktoren und empfiehlt ihre Energiepolitik als Modell für ganz Europa. Auf den Klimaschutz beruft sich die Atomlobby auch im Nachbarland Schweden und stützt sich auf Umfragen, nach denen inzwischen eine Mehrheit der Bevölkerung den vor bald 30 Jahren beschlossenen Atomausstieg in Zweifel zieht, denn mittlerweile sind Laufzeitverlängerungen von 20 bis 30 Jahren geplant.

Auf der Halbinsel Olkiluoto an der Südwestküste Finnlands stehen die beiden alten Kernkraftwerke Olkiluoto 1 und 2 , in deren Schatten derzeit ein weiteres Monument aus Eisen und Stahlbeton emporwächst. Ein deutsch-französisches Konsortium errichtet hier den neuartigen Druckwasserreaktor Olkiluoto 3 zum Festpreis von drei Milliarden Euro. Eigentlich sollte die Anlage bereits im nächsten Jahr ans Netz gehen. Nun ist von frühestens 2011 und Mehrkosten bis zu 1, 5 Milliarden Euro die Rede. Im Besucherzentrum können Gäste Olkiluoto 3 in bunten Schaubildern bestaunen. Die Reaktoren der dritten Generation sollen größer, sparsamer und vor allem sicherer als die vorherigen Baureihen sein, wie der Hersteller AREVA in einem Werbefilm betont.

Umweltschützer haben Zweifel

Loviisa, Atomkraftwerk im Süden Finnlands (05.10.1999/AP)
Weiteres Atomkraft im Süden Finnlands: LoviisaBild: AP

Bislang gibt es vier Atomkraftwerke, die das nordische Fünf-Millionen-Volk mit Strom versorgen: Wenn Olkiluoto 3 ans Netz geht, wird sich der Anteil des Atomstroms um zehn auf dann rund 35 Prozent steigern. Diese zusätzliche Energie wird dringend gebraucht, denn in Finnland steigt der Strombedarf um ein bis zwei Prozentpunkte pro Jahr und auch die energieintensive Papier- und Metallindustrie ist auf stabile und günstige Preise angewiesen, um weiter wachsen zu können. Außerdem könnte Finnland durch den nicht länger aus Stromimporten aus dem Ausland angewiesen sein.

Harri Lammi, Energieexperte von Greenpeace, zeigt sich von den Werbemaßnahmen unbeeindruckt. Die Umweltorganisation bemängelt, dass der Bauantrag für den neuen Meiler viel zu schnell genehmigt worden sei. Vor dem Votum des finnischen Parlaments im Mai 2002 habe es unentwegte Lobbyarbeit, aber keine gründliche Einschätzung der Risiken und Kosten gegeben. Laut Harri Lamm wiesen die Aufsichtsbehörden in ihren Berichten zahlreiche Sicherheitsmängel nach. Unter anderem gab es Probleme bei der Fertigstellung der wichtigsten Komponenten und es kamen Subunternehmen zum Einsatz, die keine Erfahrung hatten, wodurch sich Konstruktionsfehler einschleichen könnten, die dann Jahre später zum Störfall führten.

Aufrüstung der großen Energieversorger

Schwedisches Atomkraftwerk Forsmark 1 (dpa)
Schwedisches Atomkraftwerk Forsmark 1Bild: picture-alliance/ dpa

Was das bedeutet habe man im Juli 2006 im Nachbarland Schweden erlebt, so der Energieexperte. Wochenlang blieben dort vier Kernreaktoren abgeschaltet, nachdem ein Kurzschluss in einer Umspannstation des Atomkraftwerks Forsmark den schwersten Störfall in der Geschichte des Landes auslöste. Doch Proteste gab es kaum, anders als 1980 bei der Volksbefragung zum Atomausstieg, als sich eine Mehrheit der Schweden gegen den weiteren Ausbau des Reaktorenparks entschied.

Bald drei Jahrzehnte später ist Ernüchterung eingekehrt: Zwar wurden die beiden Reaktoren im südschwedischen Barsebäck tatsächlich vom Netz genommen, doch zugleich rüsten die großen Energieversorger Eon, Fortum und Vattenfall ihre Kernkraftwerke nach. Dank milliardenschwerer Investitionen produzieren die zehn verbliebenen Meiler heute mehr Strom als früher die zwölf. Die Branche wittert Morgenluft, denn drei Parteien der bürgerlichen Regierungskoalition sind dem Bau weiterer Meiler nicht abgeneigt.

Ein 28 Jahre altes Referendum könne bald nicht mehr die Grundlage für die schwedische Energiepolitik sein, meint Jan Björklund, Vizechef der liberalen Volkspartei. Denn bei der Abstimmung 1980 wussten die Schweden noch nichts vom Phänomen der globalen Erwärmung und von der Wirkung der Treibhausgase. Zudem habe rund die Hälfte der heute lebenden Bevölkerung damals noch kein Wahlrecht gehabt und die Bedrohung durch die Erderwärmung sei nicht so präsent gewesen.