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Atomkraft boomt weiter in Asien

Thomas Latschan11. März 2016

Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima setzen Indien und China weiterhin auf Atomkraft. Auch andere Staaten der Region wollen weitere Meiler bauen – auch in Gebieten mit hoher Erdbeben- und Tsunamigefahr.

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Zeremonie zur Eröffnung eines AKWs in Südkorea (Foto: picture alliance/Yonhap)
Bild: picture alliance/Yonhap

Kurz vor dem Beginn der diesjährigen Sitzung des Nationalen Volkskongresses hat Peking bekräftigt, dass es an seinem expansiven Kurs bei der Atomkraft festhalten will. Sun Qin, Präsident der "China National Nuclear Corporation" (CNNC), einer der beiden großen chinesischen Atomkonzerne, gab auf einer chinesischen Regierungswebseite große Pläne bekannt: 30 zusätzliche Atomkraftwerke will seine Gesellschaft bauen, zusätzlich zu den 31 Reaktoren, die laut IAEA derzeit in China in Betrieb und den 24, die in Bau sind.

Die neuen Meiler sollen nicht nur in China, sondern auch in den Anrainerstaaten entlang der so genannten "Neuen Seidenstraße" durch Zentralasien und Pakistan entstehen. Sechs Atomreaktoren hat die CNNC bereits ins Ausland exportiert, doch die Chinesen wollen weiter expandieren. Auf einem Markt, der "international heiß umkämpft ist", wie Sun Qin meint. "Länder wie Russland, Südkorea, Japan und die USA sondieren alle aggressiv den globalen Nuklearmarkt." Fünf Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima und dreißig Jahre nach Tschernobyl sehen vor allem die Chinesen die Atomindustrie wieder im Aufwind.

Infostand der China National Nuclear Corporation in Moskau (Foto: picture-alliance/dpa)
Chinas Atomindustrie will expandieren - auch im AuslandBild: picture-alliance/dpa

China: Auf dem Weg zur nuklearen Nummer 1

Nach der Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima 1, bei der vier der sechs Reaktoren zerstört wurden, hatte Chinas Regierung den Bau weiterer Atomkraftwerke vorerst ausgesetzt. Gleichzeitig wurden umfassendere Sicherheitsrichtlinien verabschiedet. Doch schon im Herbst 2012 hob die Führung in Peking den Baustopp wieder auf und verfolgt seitdem ein umso ehrgeizigeres Nuklearprogramm für die Zukunft. China muss seinen Energiesektor umbauen. Denn derzeit produziert das Land noch rund zwei Drittel seiner Energie in zum Teil veralteten Kohlekraftwerken. Doch die Chinesen leiden unter Dauersmog, Luftverschmutzung und anderen Umweltschäden. Daher will die Regierung in Peking rund 1000 Kohlekraftwerke noch in diesem Jahr schließen.

Atomkraft hingegen gilt als vergleichsweise "saubere" Alternative. Auf dem derzeit tagenden Volkskongress berät die KP-Führung über Pläne für einen massiven Ausbau der Kernenergie. Bis 2030 sollen demnach insgesamt rund 110 Atomkraftwerke in Betrieb sein. Damit würde China die USA als Land mit den meisten Atomkraftwerken am Netz überholen. Greenpeace-Atomexperte Heinz Smital sieht vor allem in der Geschwindigkeit, mit der die Meiler hochgezogen werden sollen, ein Problem: "Die chinesische Sicherheitsbehörde hat gar nicht die Kapazitäten, die Bauten richtig zu prüfen", so Smital. "Man wird sie eher durchwinken, alles abnicken und sich mit den staatlichen Baukonsortien nicht anlegen. Da ist ein großes Sicherheitsrisiko enthalten."

Infografik DW Atomkraft in Asien
Ausbau von Atomkraftwerken in Asien

Indien: Ungestillter Energiehunger

Um rund sechs Prozent wächst Indiens Wirtschaft pro Jahr. Doch die marode Energieversorgung hemmt die ökonomische Entwicklung. Große Teile Indiens leiden unter Stromausfällen und veralteter Infrastruktur. Wie in China sollen auch in Indien erneuerbare Energien verstärkt ausgebaut werden. Doch die politischen Eliten des Landes sind parteiübergreifend davon überzeugt, dass Indien alle Möglichkeiten der Stromerzeugung ausschöpfen müsse.

Daher plant auch Delhi einen weitreichenden Ausbau der Atomkraft. Premierminister Narendra Modi will in den nächsten 15 Jahren Dutzende neue Reaktoren bauen. Das technische Know-how dafür kommt aus aller Welt. So hat Indien in den vergangenen zehn Jahren zivile Atomabkommen unter anderem mit den USA, Kanada, Frankreich und Russland geschlossen. 21 Atomkraftwerke sind bereits in Betrieb. Zwei davon stehen in Kudankulam und Kalpakkam, zwei Orten an der Südostküste des Landes, die als tsunamigefährdet eingestuft werden. Im Ort Kalpakkam hatte der Tsunami vom 26.12.2004 großflächige Schäden verursacht, dem Betreiber zufolge aber nicht das AKW beschädigt.

Reaktorblock Atomkraftwerk Kudankulam vom Meer aus gesehen (Foto: picture alliance/AP)
Im indischen Atomkraftwerk Kudankulam an der Südostküste soll demnächst der zweite Reaktorblock ans Netz gehen, der erste macht durch häufige Probleme von sich reden.Bild: picture alliance/AP Photo

Pakistan: Meiler im Erdbeben- und Hochwassergebiet

Mit Stromausfällen und veralteter Infrastruktur hat auch Indiens Nachbarstaat zu kämpfen. Pakistan hat derzeit drei kleinere Reaktoren in Betrieb. Die Anlage westlich von Karatschi gehört zu den ältesten Atomkraftwerken der Welt und liegt in einem hochwassergefährdeten Landstrich. Die beiden anderen Reaktoren stehen rund 300 km südlich von Islamabad in einem erdbebengefährdeten Gebiet. An beiden Standorten plant die Regierung den Bau von zwei weiteren Meilern. Insgesamt sollen der pakistanischen Atomenergiekommission zufolge – vor allem mit chinesischer Hilfe – bis 2030 sieben neue Reaktoren entstehen.

Südkorea: Ausbau trotz Skandal

Südkorea ist nur ungefähr so groß wie die ehemalige DDR, dennoch besitzt das Land derzeit 25 laufende Atomkraftwerke. Drei sind in Bau, zwei weitere sollen bis 2029 hinzukommen. Der Anteil der Atomkraft an der gesamten Stromerzeugung soll von derzeit 30 auf 40 Prozent gesteigert werden. Doch die Bevölkerung ist zunehmend skeptisch – nicht nur wegen des Reaktorunfalls in Fukushima 2011. In den Jahren 2012 und 2013 erschütterte ein Skandal um gefälschte Sicherheitszertifikate die südkoreanische Atomlobby. Die staatliche Korea Hydro and Nuclear Power (KHNP) hatte tausende kleinerer Bauteile mit falschen Zertifikaten in die Atomkraftwerke des Landes einbauen lassen. Es kam heraus, dass zuvor haufenweise Schmiergelder zwischen KHNP-Angestellten, Baufirmen und Politikern geflossen waren. Koreanische Medien sprachen von einer "Nuklearmafia". Das alles ließ die Zustimmungswerte der Bevölkerung für die Atomkraft in den Keller rauschen – von 70 Prozent vor der Katastrophe in Fukushima auf nur noch 35 Prozent. Dennoch hält die Regierung bislang am weiteren Ausbau der Atomenergie in ihrem Land fest.

Greenpeace-Protest gegen Atomkraftwerk Kori in Südkorea (Foto: picture-alliance/dpa/Yonhap)
Trotz Protesten ist in Südkorea noch kein Abschied von der Atomkraft in SichtBild: picture-alliance/dpa/Yonhap

Südostasien: Nuklearpläne in der Schublade

In anderen Ländern Südostasiens wird der Einstieg in die Atomkraft heiß diskutiert. Vietnam will mit russischer Hilfe acht Kernkraftwerke bauen. Jedoch ist die endgültige Entscheidung darüber in der Vergangenheit immer wieder verschoben worden. Thailand plant den Bau von fünf Reaktoren. Malaysia und die Philippinen wollen je einen Meiler ans Netz nehmen. Ob diese Pläne jemals realisiert werden, ist jedoch unklar. "Hier wird es sehr schwer werden, tatsächlich Investoren zu finden, die bereit sind, Milliarden zu investieren, auch mit der Unsicherheit, ob es nicht doch irgendwo auf der Welt zu einem weiteren Unfall kommt", glaubt Greenpeace-Atomexperte Smital. "Die Kostenschraube bei den Atomkraftwerken kann nur nach oben gehen, während sie bei den erneuerbaren Energien nach unten geht. Deswegen lassen sich auf dem freien Markt Atomkraftwerke kaum noch finanzieren."