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"Asymmetrie im gegenseitigen Verhältnis korrigieren"

8. November 2004

- Porträt der Koordinatorin Berlins für deutsch-polnische Beziehungen

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Berlin, 8.11.2004, DW-RADIO, Nina Werkhäuser

Dass zwischen zwei Ländern "ausgezeichnete Beziehungen" bestehen, wie oft schon routinemäßig von den jeweiligen Regierungschefs betont wird, heißt noch lange nicht, dass die Beziehungen nicht noch stark verbesserungsfähig wären. So zum Beispiel beim deutsch-polnischen Verhältnis, das immer noch von der Vergangenheit des Zweiten Weltkrieges überschattet ist. Die jüngsten hitzigen Debatten über gegenseitige Entschädigungsforderungen haben das einmal mehr gezeigt. Aber auch schlichtes Desinteresse am anderen Land stehen wirklich "ausgezeichneten Beziehungen" im Wege, und gerade hier sieht die neue Koordinatorin für die deutsch-polnischen Beziehungen, Gesine Schwan, einen künftigen Aufgabenschwerpunkt. Nina Werkhäuser berichtet:

Gesine Schwan gilt nicht nur als ausgewiesene Polen-Kennerin, sie engagiert sich auch schon seit langem für gute deutsch-polnische Beziehungen. Die 61-jährige Professorin der Politikwissenschaften spricht fließend Polnisch - nach Studienaufenthalten in Warschau und Krakau hat sie über den polnischen Philosophen Leszek Kolakowski promoviert. Die Berlinerin Schwan reist oft ins Nachbarland und arbeitet in der Grenzstadt Frankfurt an der Oder - dort ist sie die Präsidentin der Europa-Universität Viadrina, an der ein Drittel der Studenten Polen sind. Ihrer Ansicht nach werden sich Deutsche und Polen nur dann besser verstehen, wenn die Zahl der persönlichen Begegnungen und Kontakte wächst.

"Solange man sich nicht gegenseitig kennt, ist man schnell bereit, die Reaktion der anderen in Schemata und Stereotype einzuordnen. Wenn man genau weiß, was die andere Person bewegt, dann kommt man sich auch sehr viel näher, dann wird das oft menschlich verständlich."

An der Viadrina treibt die Berlinerin Gesine Schwan im Kleinen schon voran, was sie auch im Großen bald organisieren soll - einen intensiveren Austausch zwischen Deutschen und Polen. Der Bundesregierung ist das so wichtig, dass sie die Viadrina in eine Stiftung des öffentlichen Rechts umwandelt und mit 50 Millionen Euro fördert. Auch aus diesem Grund gibt Gesine Schwan ihr Amt nicht auf, sondern nimmt den neuen Posten bei der Bundesregierung zusätzlich an.

Das neue Amt ist wie das aller Koordinatoren dem Auswärtigen Amt zugeordnet. Einziger hauptamtlicher Koordinator ist für die deutsch-amerikanischen Beziehungen der SPD-Politiker Karsten Voigt. Der für Europafragen zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt, Hans Martin Bury, ist gleichzeitig Beauftragter für die deutsch-französischen Beziehungen. Nach der drastischen Verschlechterung der deutsch-polnischen Beziehungen in den letzten zwei Jahren setzt die Bundesregierung nun auf die in Polen beliebte Gesine Schwan als Sympathieträgerin.

Allerdings hat die neue Koordinatorin für die deutsch-polnischen Beziehungen noch kein fertiges Programm. Zuerst einmal will Gesine Schwan Gespräche mit dem Bundesaußenminister und ihrer polnischen Amtskollegin führen. Außerdem will sie sich einen Überblick über die unzähligen privaten Initiativen verschaffen, die sich um bessere Kontakte zwischen beiden Ländern bemühen. "Das sind viel mehr, als wir uns klarmachen", so Schwan. Trotzdem liege in den deutsch-polnischen Beziehungen noch vieles im Argen:

"Da gibt es vor allen Dingen aber die Asymmetrie, dass es die Polen in der Regel nicht gemütlich hatten mit den Deutschen, das ist nun mal so. Und umgekehrt die Deutschen sich einfach effektiv weniger interessieren für Polen als umgekehrt. Das ist ein ganz grundlegendes Problem. Da würde ich gerne mit dazu beitragen, dass das Interesse größer wird und sich damit auch das Problem des Selbstwertgefühls auf beiden Seiten besser austariert."

Die Sozialdemokratin Gesine Schwan, die in diesem Jahr von der SPD ins Rennen um das Amt des Bundespräsidenten geschickt wurde, ist für ihre direkte und offene Art bekannt. Deswegen gab sie auch offen zu, dass sie den neuen Posten erst nach längerem Zögern angenommen hat. Als Präsidentin der Universität Viadrina sei sie bereits jetzt ausgelastet. In einem Jahr will sie entscheiden, ob sich beide Posten miteinander vereinbaren lassen. Als Koordinatorin für die deutsch-polnischen Beziehungen werde sie keinem Thema ausweichen, auch nicht der strittigen Entschädigungsfrage, sagte Schwan. In Deutschland will sie vor allem stärkeres Interesse für Polen wecken. (TS)