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Libanon Tribunal

12. Juli 2011

Das UN-Sondertribunal verlangt die Auslieferung von vier Angeklagten, die verdächtigt werden, den libanesischen Premierminister Rafik Hariri ermordet zu haben. Die Hisbollah weigert sich, dieser Forderung nachzukommen.

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Männer im Anzug stehen vor einer Flagge (Bild: IRNA)
Neue libanesische RegierungBild: IRNA

"Ich nehme jedes Mal zu, wenn meine Mutter denkt, dass ein Krieg kommt", erzählt eine junge Lehrerin. Seit 2005 der frühere Premierminister Rafik Hariri ermordet wurde, kommt der Libanon einfach nicht zur Ruhe. Wie die Mutter der jungen Frau, horten Menschen immer wieder aufs Neue orientalische Süßigkeiten wie Baklava, Halva und Schokokekse und verschließen ihre War Doors, die dicken Eisentüren, die im Fall des Falles standhalten sollen. Bleibt der Krieg aus, werden die Kekse trotzdem gegessen und das Leben geht weiter. Bis zur nächsten Auseinandersetzung.

Im Januar hat ihre Mutter das letzte Mal Vorräte gekauft: Die Kabinettsmitglieder der Hisbollah traten zurück, um die Regierung von Premierminister Saad Hariri, dem Sohn des ermordeten ehemaligen Ministerpräsidenten Rafik Hariri, zu Fall zu bringen. Grund war das UN-Sondertribunal, das 2009 eingesetzt wurde, um den Mord an Hariri Senior aufzudecken. Die Ermittlungen hatten damals Mitglieder der Hisbollah und ihre schwer bewaffneten Milizen in Verdacht gebracht. Ein Vermittlungsversuch von Syrien und Saudi Arabien zwischen Saad Hariri und der Hisbollah war letztlich gescheitert und die Hisbollah trat zurück, um die Bildung einer neuen Regierung zu erzwingen, die mehrheitlich gegen das UN-Tribunal sein sollte.

Verhärtete Fronten

Mann spricht in einem Mikro vor einem Plakat mit dem Bild seines Vaters. (Bild: AP Photo/Hussein Malla)
Saad Hariri, Sohn des ermordeten Premierministers Rafik HaririBild: AP

Im Januar kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Anhängern Saad Hariris und dessen neuem Premierminister Najib Mikati, der von der Hisbollah unterstützt wird. Man befürchtete einen neuen Bürgerkrieg. Mikati steht seit seinem Amtsantritt vor einer schweren Aufgabe: Er soll einen Konsens zwischen der Hisbollah und Saad Hariri finden. Die Hisbollah wehrt sich mit allen Mitteln gegen die Anklage und spricht von einem politischen Tribunal, während Saad Hariri und seine Anhänger der Hisbollah vorwerfen, aus Angst vor dem Tribunal das politische Leben im Libanon lahm zu legen. Die Fronten verhärten sich zunehmend. Mikatis Versuche, eine Regierung der nationalen Einheit zu schaffen, dauerten Monate – und scheiterten letztlich: Erst im Juni ist es ihm gelungen, ein neues Kabinett zu bilden. In diesem haben Hisbollah und ihre Verbündeten die Mehrheit, während Saad Hariri und seine Anhänger die Opposition stellen, die sich auf ein Comeback in den Parlamentswahlen 2013 vorbereitet.

Tribunal mit Tunnelblick

"Das eigentliche Problem, das Hisbollah mit dem Tribunal hat, ist nicht, dass seine eigenen Mitglieder angeklagt werden", sagt der Journalist Omar Nashabe von der Zeitung Al-Akhbar, die gute Kontakte zu Hisbollah hat. Vielmehr gehe das Tribunal völlig einseitig vor: "Niemand hat je versucht, Israel zu besuchen oder israelische Beamte als Zeugen zu laden", sagt Nashabe, der dem Tribunal einen Tunnelblick vorwirft. "Das Tribunal ist ganz klar nur gegen die Hisbollah, Syrien und den Iran gerichtet."

Syrien und der Iran unterstützen Hisbollah, finanziell und durch Waffenlieferungen als Stellvertreter im Krieg gegen Israel. Zunächst wurde Syrien am Mord an Hariri beschuldigt: "Rafik Hariri wollte nicht mehr die syrische Politik ausführen und musste dafür sterben", sagt Nadim Gemayel, ein Parlamentarier der christlichen Kataeb-Partei, die mit Saad Hariris Partei Al-Mustaqbal alliiert ist. Tatsächlich hat Syrien jahrzehntelang die Politik seines Nachbarlandes gelenkt und mitbestimmt. Der libanesische Premierminister konnte seine Geschäfte nicht ohne die Zustimmung von Damaskus führen. Gleich nach seinem Mord 2005, haben Massendemonstrationen Syrien gezwungen, seine Truppen aus dem Libanon abzuziehen. Damit verlor die Hisbollah einen wichtigen Protektor im eigenen Land.

Offenes Geheimnis

Obwohl die Untersuchungen eigentlich geheim sein sollten, ist es längst an die Öffentlichkeit gesickert, dass mittlerweile die Hisbollah des Mordes an Hariri beschuldigt wird. Zyniker sagen, das liege daran, dass es niemand mit Syrien aufnehmen wolle. Vertrauliche Informationen seien an die Presse gelangt, darunter auch an das deutsche Magazin "Der Spiegel" und die französische Zeitung "Le Monde". Das kritisiert Journalist Nashabe scharf: "Das müssen Insider im Tribunal weitergegeben haben."

Am 08. Juli hat das UN-Tribunal die Namen von vier Angeklagten an die libanesische Justiz übergeben. Auch diese hätten geheim bleiben sollen. In den libanesischen Medien wurden unlängst vier Namen genannt, darunter der eines führenden Mitglieds der Hisbollah.

Dass die Männer gefunden und ausgeliefert werden, glaubt allerdings kaum jemand. Es ist nicht einmal klar, ob sie sich überhaupt im Libanon aufhalten oder schon längst ins Ausland abgesetzt haben. Prompt meldete sich Hisbollahs Führer Hassan Nasrallah zu Wort: Die vier Männer seien ehrenwerte Männer, die die Hisbollah auf keinen Fall an die Justiz liefern werde. Er warf dem Tribunal vor, ein amerikanisch-israelisches Komplott gegen die Hisbollah zu sein, als Rache für den Krieg, den Israel 2006 gegen die Hisbollah führte – und verlor. Denn Israels erklärtes Ziel, die Hisbollah zu vernichten, misslang damals.

Werden die Angeklagten nicht ausgeliefert, wird es möglicherweise zu einer Verhandlung in deren Abwesenheit kommen. "Wenn der Libanon aufhört mit dem Tribunal zu kooperieren, so wie die Hisbollah es will, dann schadet das vor allem der Anklage, also der Hisbollah selbst", sagt Mohamad Chatah, ein politischer Berater von Saad Hariri. Schließlich könne die Hisbollah dann nicht ihre Unschuld beweisen, fügt er hinzu.

Unsicherheitsfaktor Syrien

Premierminister Mikati hat sich klar dafür ausgesprochen, dass er die Arbeit des Tribunals unterstützen wird. Allerdings nur so lange sie keine Gefahr für die innere Sicherheit des Landes darstellt. Es sieht aber so aus, als ob die Gefahr einer Eskalation bestünde: "Anfang des Jahres sind Hisbollahmitglieder in Beirut einmarschiert", so Nadim Gemayel, und das könne wieder vorkommen. Zwar waren die schwarz gekleideten Männer unbewaffnet, doch er ist sich sicher, dass die Hisbollah sich auch mit Waffengewalt gegen das Tribunal wehren würde. Das bestätigt auch Journalist Nashabe: "Natürlich wird sich die Hisbollah mit allen Mitteln verteidigen." Er allerdings ist zuversichtlich, dass die Lage erstmal ruhig bleiben wird.

Gemayel ist weniger zuversichtlich, vor allem wenn es um die Entwicklungen in Syrien geht: "Ich schließe nicht aus, dass die Hisbollah eingreifen könnte, um ihren Alliierten Syrien zu unterstützen." Sollte Bashar al-Assads Regime tatsächlich fallen, könne es sogar sein, dass die Hisbollah versuche, mit Waffengewalt die libanesische Regierung völlig an sich zu reißen. "Alles ist möglich." Die Hisbollah habe die Waffengewalt, die jederzeit benutzt werden könne.

Alles ist möglich. Deshalb liegen derweilen die Vorräte an Baklava, Halva und Keksen bei vielen Libanesen weiterhin im Schrank.

Mann im dunklen Anzug mit grauer Krawatte. (Bild: Assaad Ahmad/AP/dapd)
Der libanesische Ministerpräsident Najib MikatiBild: AP
Ein Imam mit Bart und einer schwarzen Kopfbedeckung. (Foto:Al-Manar TV via APTN/AP/dapd)
Hisbollah-Chef Hassan NasrallahBild: dapd
Brennende Autoreifen und ein rennender Mann. (Bild: EPA/WAEL HAMZEH)
Gewaltsame Proteste nach dem Rücktritt der HisbollahBild: picture-alliance/dpa

Autorin: Naomi Conrad
Redaktion: Lina Hoffmann/Katrin Ogunsade