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Weit gekommen

Dörthe Keilholz6. November 2008

Wahlnacht in Amerika: Vor dem Weißen Haus knallen die Sektkorken. Washingtons Bewohner feiern ausgelassen den Wahlsieg Barack Obamas. Auch in der afroamerikanischen Shiloh Baptist Church kochen die Emotionen hoch.

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Bild: DW

"Es ist ein Wunder. Es ist wahrhaftig ein Wunder", sagt Para Perry. Die zierliche schwarze Frau strahlt über das ganze Gesicht, während dicke Freudentränen ihr über die Wangen kullern. "Das hier sind die Vereinigten Staaten von Amerika und endlich, endlich können wir vielleicht alle eine Nation werden."

Perrys Blick wandert zur Großleinwand, die den schlichten Altar der Shiloh Baptist Church verdeckt. Rund 250 Gemeindemitglieder haben über Stunden hinweg die Wahlberichterstattung des lokalen Fernsehsenders ABC News verfolgt. Dort steht es jetzt schwarz auf weiß: "Barack Obama - projected winner".

Der längste Wahlkampf der amerikanischen Geschichte ist vorbei. Menschen liegen sich jubelnd in den Armen. Statt wie sonst "Amen" und "Hallelujah", schallen rhythmische Yes-we-can-Rufe durch die heiligen Hallen. Auf vielen T-Shirts, Blusen und Jacketts prangt der runde Ich-habe-gewählt-Aufkleber mit dem roten Kreuz rechts unten. Stundenlang haben die meisten vor den Wahllokalen angestanden um ihre Stimme abzugeben. Es hat sich gelohnt!

Etwas woran vor Kurzem noch kaum jemand zu träumen wagte, ist wahr geworden: Amerika hat seinen ersten afroamerikanischen Präsidenten gewählt. Immer wieder wurde von allen Seiten betont, dass Rasse in diesem Wahlkampf keine Rolle spielen sollte. Dennoch, für das schwarze Amerika ist es von besonderer Bedeutung, dass Barack Obama "einer von ihnen" ist.

"Wenn Du schwarz bist, dann verschwinde!"

"Don’t you let nobody turn you round", singt die Gemeinde voller Inbrunst in dieser Nacht. Lass Dich von niemand aufhalten. Das Lied gehörte zum Repertoire der afroamerikanischen Freiheitsbewegung der 70er und erlangte Berühmtheit als es in Selma, Alabama, am 7. März 1965 gesungen wurde. An diesem Tag, besser bekannt als "Bloody Sunday", schlugen Polizisten eine friedliche Demonstration schwarzer Freiheitsrechtler brutal nieder.

Die lange Geschichte der Unterdrückung und Ungerechtigkeit ist vielleicht einer der Gründe, warum überwältigende 95 Prozent der afroamerikanischen Wähler Barack Obama ihre Stimme gegeben haben. Auch der 70-jährige Edward Washington hat sich für den demokratischen Präsidentschaftskandidaten entschieden, allerdings nicht weil Obama schwarz ist, sagt er, sondern weil ihn sein politisches Konzept überzeugt habe.

Dabei ist die Erinnerung an Zeiten, in denen die Hautfarbe eine entscheidende Rolle spielte – je weißer desto besser – noch immer frisch: "Damals hieß es: "Wenn Du schwarz bist, dann verschwinde, wenn Du braun bist, kannst Du bleiben", erzählt Washington. "Das vergisst man nicht so schnell."

Auch wenn solche Bemerkungen schon lange nicht mehr salonfähig sind in den USA: Amerikas schwarzer Bevölkerungsanteil wird auch heute noch in vielerlei Hinsicht benachteiligt. Schwarze Amerikaner werden zum Beispiel nach wie vor schlechter bezahlt als Weiße. Im Schnitt verdienen sie 25 Prozent weniger.

Der neue, alte Traum: Ein vereintes Amerika

Für Reverend Wallace Charles Smith, langjähriger Pastor der Shiloh Baptist Church, bedeutet Obamas Wahlsieg Hoffnung, vor allem für das schwarze Amerika. "Bruder Barack Obama hat es geschafft," sagt er: "Er ist ein Vorbild für diese Nation und die Welt. Er ist der lebende Beweis, dass Afroamerikaner genauso klug und talentiert sind, wie alle anderen auch."

Neben Hoffnung verkörpert Obama für viele Gemeindemitglieder eine Chance. Eine Chance, die Zukunftsutopie wahr werden zu lassen, die Martin Luther King bereits 1963 in seiner berühmten "I have a dream" (Ich habe einen Traum) Rede formuliert hat, nämlich: Amerika zusammen zu führen und endlich "eine Nation zu werden".

"Wir sind so weit gekommen", stimmt der Gospelchor der Shiloh Gemeinde zum Abschluss der Wahlnacht an. Wie weit, bringt die 46jährige Anita C. Jordan auf den Punkt, wenn sie erzählt, was ein afroamerikanischer Präsident für die Zukunft des Landes bedeutet: "Es bedeutet, dass jedes Kind davon träumen kann, Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika zu werden, auch schwarze Kinder."