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Politik

Als Journalist undercover im BAMF

6. Juni 2018

Schlampig und korrupt, so sehen viele derzeit das BAMF und dessen Mitarbeiter. Der Journalist Abdullah Khan hat als Sachbearbeiter in der Behörde gearbeitet. Der DW erzählt er, warum er sich vorkam wie am Fließband.

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BILD-Reporter Abdullah Khan hat 2016 für vier Monate undercover als Sachbearbeiter beim BAMF gearbeitet
Bild: BILD/Stefanie Herbst

DW: Sie sind eigentlich Journalist. Von Februar bis Mai 2016 haben Sie im Bundesministerium für Migration und Flüchtlinge (BAMF) gearbeitet. Wie kam es dazu?

Abdullah Khan: Die Flüchtlingsbewegung hat mich insgesamt sehr interessiert. Ich bin als Journalist für "Bild" einen Teil der Balkanroute mit diesen Menschen gegangen und kam dabei auf die Idee. Denn alle Flüchtlinge, die nach Deutschland kommen, landen beim BAMF, weil sie dort ihre Asylanträge stellen werden. Über Zeitungsanzeigen hat die Behörde Mitarbeiter gesucht und so habe ich mich beworben. Ich hab dann bei "Bild" gekündigt und bin als Sachbearbeiter ins BAMF. Von der Bewerbung bis zur Einstellung hat es drei Monate gedauert.

Und das ging so einfach? Sie waren ja ohne Vorerfahrung auf dem Gebiet.

Das ging tatsächlich ziemlich einfach. Ich glaube, ich habe ein paar Grundvoraussetzungen erfüllt, ich spreche zum Beispiel vier Sprachen. Allerdings wurden zu der Zeit 3000 Mitarbeiter gesucht und da nimmt man wahrscheinlich jeden, bei dem man denkt, das wird der schon hinkriegen, auch ohne Vorerfahrung.

Wie sah Ihre Ausbildung aus? Was haben Sie gelernt?

Als ich geschult wurde, war die Länge der Schulung von zehn Wochen auf zehn Arbeitstage heruntergesetzt worden. Wir haben eine kurze Einweisung in das Datensystem bekommen und in die einzelnen Schritte, die wir mit dem Antragsteller durchgehen müssen. Das war alles. Das war ein absoluter Crashkurs. Bis heute weiß ich tatsächlich nicht, was ich die Antragsteller habe unterschreiben lassen. Das waren viele Seiten Belehrung, die mir aber niemand erläutert hat.

Infografik Anzahl der Asylanträge in Deutschland 1990 - 2017

Sie waren kein Entscheider, der Asylanträge bewilligt oder abgelehnt hat, sondern Sachbearbeiter. Was genau war Ihr Job?

Zu mir sind die Leute gekommen, die einen Erst- oder Folgeantrag auf Asyl stellen wollten. Bei mir haben die Asylsuchenden ihre Fragebögen, die sie vorher mit einem Dolmetscher ausgefüllt haben, abgegeben und ich habe diese persönlichen Daten ins Computersystem eingetippt. Ich habe erste Aufenthaltsgestattungen ausgestellt und Belehrungen unterschreiben lassen.

"Ich habe mich bemüht, so schnell wie möglich zu arbeiten"

2016 war das Rekordjahr: Fast 750.000 Anträge auf Asyl wurden gestellt. War das Arbeiten im BAMF zu der Zeit so schlimm, wie ich es mir vorstelle?

Ich hab mir auch vorgestellt, dass ich wie im Akkord arbeiten muss. Es kam aber auch vor, dass wir tagelang nicht arbeiten konnten, weil das Computersystem nicht funktionierte oder uns keine neuen Akten gebracht wurden. Durch diese behördeninternen Fehler konnten wir teilweise gar nichts machen.

Ich war auch für die Zustellung von Bescheiden zuständig, in denen stand, ob der Asylsuchende bleiben darf oder nicht. Wenn ich morgens in mein Büro kam, standen da schon gelbe Postkisten voll mit Bescheiden. Ich habe dann angefangen, die abzuarbeiten und war mit der ersten Kiste noch nicht fertig, als schon die nächsten beiden kamen. Das war schon extrem viel.

Und die Arbeit wird ja auch nie weniger. Es war wie am Fließband. Immer weiter stempeln, stempeln, stempeln. Ohne genau zu wissen, was man da eigentlich tut. Dazu diese Massen an Akten und die Massen an Leuten jeden Tag. Das werde ich nie vergessen.

Wie war die Stimmung bei den Kollegen unter diesem Arbeitsdruck?

Infografik Asylanträge pro BAMF-Mitarbeiter DE

Meine Erfahrung ist, dass die Mitarbeiter im BAMF ihr Möglichstes tun. Die jetzige Krise sollte nicht auf den Schultern der Mitarbeiter ausgetragen werden, die tun, was sie tun sollen. Die Stimmung war natürlich durch die viele Arbeit angespannt. Trotzdem habe ich großen Respekt davor gehabt, wie geduldig meine Kollegen mit den Antragstellern umgegangen sind. Es war aber auch immer wieder mühsam, wenn ein Antragsteller vor einem sitzt und ganz offensichtlich lügt, zum Beispiel sein Alter betreffend. Das erzeugt dann Stress.

Was haben Sie denn gemacht, wenn Sie glaubten, dass jemand lügt?

Das ist immer eine schwierige Situation. Ich hatte mal einen Antragsteller, der aussah als sei er 50, aber behauptet hat, er sei 24. Seine Begründung war: Er sei Schauspieler, und Schauspieler sähen aufgrund ihrer Arbeit immer älter aus als sie sind. In solchen Fällen tippt man in die Akte einen Vermerk und weist darauf hin, dass das Alter wahrscheinlich nicht stimmt. Und dann muss man hoffen, dass die Entscheider die Sache nochmal prüfen.

Wurden Sie explizit angehalten, möglichst schnell zu arbeiten?

Nicht so direkt. Aber schon während der Schulung wurde uns gesagt, wie viele Minuten man für den jeweiligen Arbeitsschritt benötigen sollte. Es gab Listen, in die jeder wöchentlich eintragen musste, wie viele Akten er bearbeitet hat - solche Kleinigkeiten, die den Druck erhöhen.

Manipulation leicht gemacht

Wenn Sie hätten pfuschen wollen, hätten Sie das machen können?

Ja, klar. Das wäre auch total einfach gewesen. Jeder Sachbearbeiter hat Zugriff auf das Datensystem. Darin steht, wie alt der Flüchtling ist, woher er kommt, was die Gründe für die Flucht waren. Selbst ich als einfacher Sachbearbeiter hätte eintragen können, was ich möchte. Mir hat aber in den vier Monaten, die ich da war niemand das Angebot gemacht, gegen Geld Akten zu fälschen.

Das BAMF ist 2016 kritisiert worden, weil es mit dem Bearbeiten der Anträge nicht hinterher kam. Ist das eine gerechte Kritik gewesen?

Da muss man vorsichtig sein. In Bezug auf die Mitarbeiter finde ich nicht. Aber die Politik hätte die Behörde in den Jahren vorher schon stabilisieren und aufbauen müssen. Das wurde nicht gemacht. Ich war 2016 dort, jetzt sind zwei weitere Jahre vergangen und es hat sich nichts verändert. Wenn man über Jahre nicht genau hinschaut, wo bei einer Behörde die Fehler liegen, wo soll das denn hinführen?

Wie ging Ihre Zeit dort zu Ende?

Irgendwann haben sich alle Arbeitsabläufe nur noch wiederholt, sodass ich meine Recherche abschließen konnte. Ich habe dann einfach gekündigt und meine Reportage für "Bild" geschrieben. Bevor die veröffentlicht wurde, habe ich ein paar Kollegen vorgewarnt, was da kommen wird. Ich war sehr überrascht über deren Reaktion: "Wie spannend! Endlich geht mal jemand an die Öffentlichkeit und berichtet darüber, was wir hier machen."

Abdullah Khan ist Reporter beim deutschen Boulevardblatt "Bild".

Das Gespräch führte Julia Vergin.

DW Mitarbeiterportrait | Julia Vergin
Julia Vergin Teamleiterin in der Wissenschaftsredaktion mit besonderem Interesse für Psychologie und Gesundheit.