Fasten im Selbstversuch
3. April 2012Ich tue es auch. Kein Alkohol, kein Kuchen, keine Schokolade. 45 Tage lang. Bis zum Ostersonntag. Zwischenzeitlich habe ich auch das Essen eingestellt. Keine Panik: Niemand wird hier mit Details aus dem Magen-Darm-Trakt behelligt. Aber wer an einem schönen Frühlingstag plötzlich aufhört zu essen, der muss etwas tun, was nicht schön ist: abführen und ein wenig nachhelfen.
Der zweite Fastentag war eine Katastrophe: Kopfschmerzen ohne Ende. Ich wollte abbrechen, hatte wohl nicht genug getrunken. Also, die ersten 48 Stunden waren nicht so schön. Aber dann folgten sechs grandiose Tage.
Keine Stressphasen, bitte
Ich hatte vorher alles eingekauft: ein wenig Saft, diverse Teesorten, Brühe. Somit entfällt während der Fastentage vieles, was sonst Zeit frisst: Einkaufen, Essen machen, Abwaschen. Plötzlich hatte ich viel Zeit. Normalerweise greife ich nach dem Aufstehen als erstes zum iPad, jetzt habe ich mich einfach mal in den Erker gesetzt, die Fenster aufgerissen und den blauen Frühlings-Himmel genossen.
Ich rede hier vom Heilfasten. Etwas, was vor mir Millionen Menschen gemacht haben, machen und machen werden. Mit unterschiedlichen Erfahrungen. Ums Heilfasten rankt sich eine regelrechte Industrie: Ratgeber-Bücher, Heilfasten-Kliniken und so weiter. Aber auch die empfehlen, vor dem Heilfasten mit einem Arzt zu reden. Kinder, Schwangere, Krebskranke und andere sollten nicht fasten, sagen viele Mediziner. Ich möchte dem nicht widersprechen. Ich kann nur sagen: Mir haben diese Tage geholfen, mein Leben oder zumindest meine Konsumgewohnheiten zu ändern.
Hungernder Körper mit kreativen Ausschüttungen
Tag 3: Den echten Asketen des Heilfastens reicht Wasser. Mir nicht. Ich habe mir auch Säfte und Brühe gegönnt. Eine Pause mit einem frisch gepressten Gemüsesaft im neuen Veganer-Cafe um die Ecke muss drin sein. Auch so ein Mega-Trend vor allem in Berlin: vegan, organic, raw.
Jetzt empfehlen ja alle, man solle sich ein wenig Zeit nehmen beim Fasten. Das wollte ich auch so machen. Ich wollte mich auch auf Weniges konzentrieren. Prompt kam ein Großauftrag rein: eine längere politische Radiosendung. Als freier Journalist sage ich nicht Nein, wenn mich eine Aufgabe reizt. Aber ist so ein 12-Minuten-Stück in einer Fasten-Phase zu packen (mit mehreren anderen Projekten parallel)? Ich habe dennoch zugesagt.
Der fastende Körper ist so vergeistigt, dass ich mir am nächsten Morgen zwischen 6 und 8 Uhr ein komplexes Dossier aus dem Archiv zu Gemüte geführt habe. Dann habe ich mich an den Rechner gesetzt und ein vierseitiges Exposé in die Tasten gehackt. Drei Stunden. Dann diverse Interviewanfragen rausgeschickt, und so ging es weiter.
An jenem Tag habe ich wie im Rausch fast 15 Stunden gearbeitet, überwiegend kreativ, ohne größere Pause. Bis 20.30 Uhr. So etwas gelingt mir nicht oft. Es war der siebte Fastentag - mit einem extremen Output.
Wann fahre ich mit dem Rad gegen ein parkendes Auto?
Während all der Tage dachte ich: Wann klappe ich zusammen? Gibt es einen Rückschlag? Breche ich während eines Interviews zusammen? Rede ich Unfug? Rieche ich? Vergisst ein Hungernder das Mikro anzumachen? Stellt er die wichtigste Frage nicht? All dies war nicht der Fall. Ich war klar im Kopf an meinem achten Fastentag, an dem ich die Interviews im Bundestag führte.
Am neunten und zehnten Tag habe ich das Fasten gebrochen, aber nur ganz wenig gegessen. Seitdem sind drei Wochen vergangen. Ostern rückt näher, somit das Ende der Fastenzeit. Von mir aus könnte sie noch länger währen. Anders als womöglich zu erwarten, giere ich nicht nach deutschen Klassikern wie Schweinebraten oder Bratwurst. Ich freue mich auch nicht über alle Maßen auf das erste Bier. In meinem Kopf ist offenbar ein Schalter umgesprungen. Mein Essverhalten hat sich insgesamt verändert: kleinere Portionen, ohne dass mir was fehlt. Ich liebe jetzt mein Müsli, den frischen Pilz, die Scheibe Rettich. Ich vermisse das alles nicht - die Kohlenhydratbomben, das Bier, den Wein. Seit dem Ende des extremen Fastens habe ich kaum Fleisch gegessen. Ich mag nicht mehr.
Woran das liegt, sollen die Mediziner entscheiden. Ein Erklärungsansatz: Mein Körper will die Endorphin-Ausschüttung fortschreiben, die ich während des Fastens erlebt habe. Mein neurologisches System wirkt wie umgepolt. Weniger ist mehr. Reduktion löst Glücksgefühle aus. Diese Erfahrung hat sich in mein Hirn eingebrannt.
Fastenzeit hat Konjunktur
Dieses Loblied aufs Fasten in der Fastenzeit ist also keine Selbstkasteiung und auch kein Zynismus gegenüber jenen, die hungern, weil es nicht genug zu essen gibt. Eher ist es der Selbsterhaltungstrieb in einer Gesellschaft, die im Überfluss lebt. Seit ich faste, fühle ich mich körperlich besser. Ich habe mir neue Laufschuhe gekauft und dehne meine Jogging-Runden peu à peu aus. In den sechs Wochen seit Aschermittwoch habe ich sechs Kilogramm abgenommen.
Ich habe bewusst in der Fastenzeit gefastet. Und ich bin da nicht allein. Wer sich umhört: Wir sind viele und werden womöglich immer mehr - auch angesichts der Zivilisationskrankheiten in der westlichen Welt. Der eine lässt Alkohol weg, die andere Fleisch, der dritte Zuckrig-Süßes.
Die Fastenzeit, eine 2000 Jahre alte christliche Tradition, passt offenbar in die Moderne. Auch wenn ich nicht davon ausgegangen bin, dass ich Erleuchtungen haben würde - und sie auch nicht hatte, ist mir doch noch mal bewusster geworden, dass die Weltreligionen einiges in ihrer DNA haben, das helfen kann. Mir zumindest hat es geholfen, mal den Reset-Button zu drücken. Ich boote mich. Mal schauen, wie lange das hält.