1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen

Albanien: Bleierne Last der Bestechlichkeit

28. Mai 2003

Albanien ist wie ein weißer Fleck auf der Landkarte Europas: Jahrzehntelang abgeschottet, dringen auch heute noch kaum Nachrichten nach draußen. Schon gar keine guten.

https://p.dw.com/p/3gvr
Albanien ist arm - aber reich an krimineller PhantasieBild: AP

Bei einem Glas albanischem Rotwein erzählt Mero Baze von der Mafia. Vom gewaltsamen Tod eines Unternehmers im Stahlgeschäft – "er war für albanische Verhältnisse ehrlich". Von einer Verwicklung albanischer Minister in die dubiosen Geschäfte der Clans – "die Mehrheit der Regierung wird von den drei größten Mafiagruppen kontrolliert". Plötzlich unterbricht ein Piepen den Chefredakteur der Tageszeitung "TemA" in seinem Redefluss. Baze schaut auf sein Handy, er hat eine Textnachricht empfangen: "Dein Grab ist schon geschaufelt", kündigt der unbekannte Absender an.

Mit Worten gegen den Filz

Ob er bei der Polizei Anzeige erstatten wird? Baze lächelt über diese Frage. "Die Polizei ist eng mit der Regierung und diesen Gruppen verbunden", erläutert der Zeitungsgründer. 15 solcher Nachrichten hat er in drei Tagen bekommen. Auf seinen Wagen wurde geschossen. Doch seine Waffe ist das gedruckte Wort. Die Einschüsse in seinem Mercedes entdeckte Baze, nachdem "TemA" zwielichtige Geschäfte des Finanzministers und seines Chauffeurs mit 300.000 US-Dollar Gewinn thematisiert hatte. "Danach habe ich geschrieben: Sie sollen klagen", erzählt Baze vom Alltag in Tirana.

Zum Zusehen verdammt

Der höchste EU-Vertreter in Albaniens Hauptstadt, Lutz Salzmann,s ieht die Lage ähnlich kritisch. "Das Hauptproblem bleibt die Unfähigkeit oder vielleicht der Unwille, das Organisierte Verbrechen kraftvoll zu bekämpfen", sagt Salzmann. Mehrfach schon haben die Innen- und Justizminister der 15 EU-Staaten in diesem Jahr über Korruption, Drogen- und Menschenhandel auf dem Balkan beraten. Die Union hilft Albanien beim Bau moderner Gefängnisse, der Ausbildung von Polizisten, Richtern und Staatsanwälten. Doch Ergebnisse stellen sich - wenn überhaupt - nur sehr allmählich ein. Zwar destabilisiere die Mafia das Land nicht mehr, meint Staatspräsident Alfred Moisiu. Aber die Reaktion der Clans auf den Kampf gegen das Verbrechen sei heftiger geworden: "Wenn man jemandem die Kehle zudrückt, werden seine Bewegungen stärker." Albanien brauche deshalb europäische Hilfe, betont Moisiu, ein allseits als integer anerkannter Ex-General. Ein Dutzend der 360 Richter im Land sei wegen Fehlverhaltens bestraft worden. Die mit Unterstützung der EU eingerichtete Schule für Staatsanwälte, könne gar nicht schnell genug für gut ausgebildeten Nachwuchs sorgen.

Resignation und Aktionismus

In einem Land, wo ein Lehrer monatlich 120 Euro verdient und ein Polizist kaum mehr Gehalt bekommt, bleiben Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft ein Problem. "Die Korruption tötet die Hoffnung", sagt der Schriftsteller und oppositionelle Parlamentsabgeordnete Besnik Mustafaj. Viele Wissenschaftler hätten das Land verlassen, ebenso die allermeisten Investoren aus dem nahen Italien. Daheim gebliebene Intellektuelle wie der Direktor des albanischen Medieninstituts, Remzi Lani, klagen: "Wir wollen nicht als Problem gesehen werden, wir möchten als Land gesehen werden." Bei vielen Älteren scheint sich Resignation breit zu machen, eine Haltung wie in der bleiernen Zeit des Diktators Enver Hodscha. Junge Leute, die Hodschas Regime und seine strenge Abschirmung von der Außenwelt nicht mehr bewusst miterlebten, haben indes eine Initiativeg egen Albaniens mafiöse Verstrickungen gestartet. "Wir wollen alles ändern", sagt auch die junge Polizeischülerin Daniela Hoxhallari über die Motive angehender Ordnungshüter, "wir wollen gegen die Kriminalität vorgehen und etwas tun für dieses Land."

Regierung im Sumpf

Alles ändern, das wollte auch die Demokratische Partei mit dem Entwurf eines Gesetzes, das nach deutschem Vorbild die Immunität der Abgeordneten für Ermittlungen in Sachen Korruption und Organisierter Kriminalität vorbeugend aufheben sollte. Die Sozialisten von Regierungschef Fatos Nano wiesen den Entwurf dieser Tage mit ihrer Mehrheit geschlossen ab. In Nano sieht der Oppositionsführer, Ex-Präsident Sali Berisha, denn auch die zentrale Figur der Verflechtungen mit der Unterwelt:"Er ist der Vordenker und Architekt." Die EU-Innenminister werden sich zweifellos noch häufiger mit dem Problem Albanien beschäftigen. (dpa/arn)