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Al-Jazeera auf dem Balkan

4. März 2011

In Sarajevo will der arabische Fernsehsender Al-Jazeera ein neues Quartier aufschlagen. Der Sender könnte zum Marktführer in der Region avancieren. Medienexperten diskutieren, ob das gut oder schlecht ist für den Balkan.

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Logo Al-Jazeera (Foto: AP Graphics)
Nachrichten nun auch in südslawischen SprachenBild: AP Graphics

Al-Jazeera will expandieren und hat für seine neuen Pläne ein Auge auf den Balkan geworfen. In der Hauptstadt Bosnien-Herzegowinas, in Sarajevo, soll bald ein neuer Sitz des arabischen Fernsehsenders entstehen. Der Sender will von dort aus auch die Nachbarländer Kroatien und Serbien erreichen - in den Sprachen der Region, auf Bosnisch, Kroatisch und Serbisch.

Dafür will Al-Jazeera rund zehn Millionen Euro allein im ersten Jahr investieren. Schlüsselpositionen sind bereits mit einigen namhaften Journalisten aus den Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien besetzt. Damit zeige Al-Jazeera Balkans - wie sich der Sender nennen will - eindeutig, dass er eine Führungsposition auf dem regionalen Medienmarkt beanspruche, meint Edhem Foco, ein bosnischer Geschäftsmann und islamischer Aktivist, der das Mediengeschäft vermittelt hat.

Foco zufolge beruht die Erweiterung des Senders auf den Balkan auf einer ausschließlich geschäftlichen Entscheidung der Unternehmensleitung in Katar. Sich auf dem südosteuropäischen Markt niederzulassen, sei relativ günstig und einfach gewesen, sagt Foco. "Diese Gegend sehnt sich förmlich nach einem unparteiischen Fernsehen, das weder von der nationalen Politik noch vom Staatshaushalt abhängt", meint Foco. Den Vorwurf, dass politische Interessen hinter dieser Expansionsentscheidung stecken könnten, weist Foco zurück.

Politische oder kommerzielle Interessen?

Fernsehapparat (Foto: Fotalia/Spectraldesign)
Unabhängige Medien sind auf dem Balkan MangelwareBild: Fotolia/Spectral-Design

Nenad Pejic von Radio Free Europe ist anderer Meinung. "Falls politische Absichten dahinter stecken, dann wird man auf fruchtbaren Boden stoßen", sagt Pejic. Bosnien sei ethnisch in die drei dort lebenden Bevölkerungsgruppen geteilt: bosnische Muslime, Kroaten und Serben. Die politischen Vertreter der drei Volksgruppen seien auch mehr als 15 Jahre nach dem Bosnien-Krieg stark nationalistisch geprägt. Demzufolge sei die Lage im Land auch ziemlich angespannt, es herrsche eine radikale Stimmung. "Dies ist ein guter Ausgangspunkt für jedes ideologische Programm", meint Pejic. Wenn Al-Jazeera denn eines habe.

Boro Kontic, der Leiter des "Media-Zentrum" in Sarajevo, eines Aus- und Fortbildungszentrums für Journalisten, vermutet allerdings reine Geschäftsinteressen hinter dem Vorhaben von Al-Jazeera, sich in Sarajevo niederzulassen. "Ein privates Medienunternehmen siedelt sich einfach in einem neuen Sendegebiet an und versucht, sein Programm in den Sprachen des Landes und der Region zu senden", sagte Kontic. Das Programm entspreche den üblichen professionellen Standards, die Al-Jazeera auch für sein englischsprachiges Programm anlege.

Günstiger Ausgangspunkt

Logo Radio Free Europe
Radio Free Europe ist ein beliebter Radiosender auf dem Balkan

Oliver Vujovic von der Medienorganisation SEEMO stimmt dieser Meinung zu. "Ich glaube, sie wollen ihr Geschäft auch auf Europa ausdehnen. Und der Balkan ist ein guter Ausgangspunkt, um ernsthafte Aktivitäten in Europa zu starten", sagt Vujovic. Sicherlich komme die große Anzahl an Muslimen auf dem Balkan dem Expansionsvorhaben entgegen, meint Vujovic. Al-Jazeera könne vermutlich spezielle Nachrichten anbieten, die besonders die Muslime interessieren.

Edhem Foco widerspricht dieser Ansicht. Er meint nicht, dass die Bosniaken ihre kulturelle und religiöse Verbindung mit der arabischen Welt nutzen müssten oder wollten. Es sei unmöglich, dass sich Al-Jazeera nur an eine ethnische Gemeinschaft richte, denn alle Menschen in der Region seien sicherlich an dem Programm von Al-Jazeera Balkans interessiert, sagte Foco der Deutschen Welle.

"Der Grund ist ein ganz praktischer: Alle sprechen im Grunde die gleiche Sprache. Es gibt ziemlich viele gemeinsame Bezugspunkte, und es ist notwendig, sich so aufzustellen, dass so viele Zuschauer wie möglich erreicht werden."

Al-Jazeera werde in den kommenden Monaten auch einen Nachrichtensender auf Türkisch in der Türkei starten. Al-Jazeera Turk soll der Sender heißen und nicht nur die Türkei abdecken, sondern bis nach China senden. "Aber sie beabsichtigen weder das Osmanische Reich noch eine Groß-Türkei aufzubauen", sagt Foco und erteilt damit Befürchtungen einer beabsichtigten Islamisierung Europas eine Absage.

Einflussverlust westlicher Medien

Die Vorbereitungen für den Sendebeginn von Al-Jazeera in Sarajevo laufen auf Hochtouren. Einige westliche Medien ziehen sich unterdessen aus dieser Region zurück - wie beispielsweise die BBC. Ihr Schwerpunkt war der Hörfunk und nicht wie bei Al-Jazeera das Fernsehen. Nenad Pejic von Radio Free Europe glaubt, dass das Fernsehprojekt von Al-Jazeera große Marktanteile gewinnen werde. Es sei das erste dieser Art, das sich in den Sprachen der Region an die Zuschauer wende. Darüber hinaus werde viel Geld in dieses Projekt investiert.

Dies bestätigt auch Edhem Foco. In den kommenden Jahren seien 70 bis 80 Millionen Euro Direktinvestitionen geplant. Im Vergleich dazu beträgt der Etat von ganz Radio Free Europe für alle Programme circa 90 Millionen US-Dollar (etwa 65 Millionen Euro). Davon entfallen auf den Balkan 3,5 Millionen Dollar. Das stehe in keinem Verhältnis. "Daher glaube ich, dass sich der Einfluss der westlichen Medien auf dem Balkan verringern wird", sagt Nenad Pejic.

Autorinnen: Zorica Ilic/ Mirjana Dikic

Redaktion: Nicole Scherschun