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Architektur

Afrika: Neues Bauen zwischen Savanne und Megalopolis

Sven Ahnert
6. April 2021

Von Nigeria bis Senegal: Erstmals stellt ein Architekturführer die Vielfalt des Bauens in 49 Ländern von Subsahara-Afrika vor.

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Die weiße Moschee in Bobo Dioulasso besteht aus vielen Türmen, deren Fassaden von Rohren perforiert sind, die wie Stacheln aussehen.
Moschee in Bobo Dioulasso in Burkina FasoBild: Issouf Sanogo/AFP/Getty Images

Wie eine Fata Morgana oder eine Kulisse aus einem Fantasy-Film erscheint die aus Lehm gebaute Zentralmoschee von Djenné im westafrikanischen Mali. Man könnte sich vorstellen, dass Antonio Gaudí hier Inspiration zu seinem Kathedralbau Sagrada Familia in Barcelona gefunden hat. In Bobo-Dioulasso, der zweitgrößten Stadt im westafrikanischen Staat Burkina-Faso, erinnern die Lehmtürme der Moschee an stachelige Speerspitzen. Zwei von zahllosen beeindruckenden Bauwerken aus dem Fundus traditioneller Architektur südlich der Sahara in Afrika, die Philipp Meuser in den Bann gezogen haben. Mehrere Arbeitsreisen führten den Berliner Architekten und Verleger unter anderem nach Burkina Faso und Mali. In Bamako, der Hauptstadt von Mali, arbeitet sein Architektur-Büro derzeit an einem Sicherheitskonzept für die dortige deutsche Botschaft, einem schlichten Zweckbau. Während seiner Aufenthalte in West-Afrika entdeckte Meuser den Reichtum und die Originalität afrikanischer Architektur, die bis dato in der Fachliteratur kaum Erwähnung fanden. Dieses Manko wurde zum Zündfunken seiner verlegerischen Großtat: eine subsaharische Architektur-Enzyklopädie in sieben Bänden mit überwiegend einheimischen Autorinnen und Autoren, die Afrikas Architekturszene aus eigener Anschauung kennen. So wurde aus der kühnen Idee eines Berliner Architekten ein vielstimmiges, authentisches Gesamtkunstwerk, das 850 Gebäude dokumentiert.

"Maison du Peuple" in Ouagadougou
"Maison du Peuple" in OuagadougouBild: Philipp Meuser

Hommage an die Vielfalt der Architektur Westafrikas

Ruanda: Das "Bauhaus" von Afrika

"Die größte Herausforderung bei diesem Buchprojekt war, dass wir die Ausgewogenheit berücksichtigen. Wir sitzen in Europa. Wir betrachten die Region aus Europa. Wir haben bei weitem nicht jeden Ort besuchen können. Das ging nicht. Wir waren darauf angewiesen, dass uns viele Experten unterstützen", sagte Meuser im DW-Interview. In einem umfangreichen Einleitungs-Essay analysiert der Architekt zunächst die Grundformen afrikanischer Architekturen. Traditionell betrachtet ist die Architektur im subsaharischen Teil Afrikas an archaische Bauformen angelehnt, die als Schutz gegen Witterung, Kälte und wilde Tiere gedacht waren. Ein typisches Merkmal sind beispielsweise große, ausladende Dächer, die einen Überstand haben, der gegen Starkregen schützen soll. Elementar ist auch, besonders in West-Afrika, eine Architektur, die mit Lehm arbeitet, besonders in regenarmen Regionen.

Von der Strohhütte zur Moderne

Immer noch wird in Europa die Lehm-, Stroh- oder die Rund-Hütte als Grundmotiv des Bauens in Afrika angenommen. In der Phase kolonialer Architektur, in der die verschiedenen europäischen Kolonialmächte wie Frankreich oder Großbritannien zahlreiche Verwaltungsbauten errichteten, glichen viele Metropolen Städten westlichen Zuschnitts. Klassizistische Bauten, gotische Kirchen und ländliche Wohnhäuser waren meist eine Kopie europäischer Baukultur.

Spuren kolonialer Architektur

Ab den 1960er-Jahren entwickelte sich dann im Zuge der Unabhängigkeit der sogenannte Tropical Modernism, der die klimatischen Verhältnisse in Formen architektonischer Offenheit zum Ausdruck brachte und  sich an der gestalterischen Askese der Nachkriegsmoderne in Europa orientierte. Neben der historischen Dimension richtet sich der Blick in die nahe Zukunft, die besonders von ökologischen Fragen und der Zuwanderung in die Metropolen geprägt ist. In den nächsten 30 Jahren wird sich die urbane Bevölkerung einiger afrikanischer Metropolen Prognosen zufolge nahezu verdoppeln, wie in Meusers Architekturführer nachzulesen ist. Mehr als 400 Millionen Menschen würden dann in die Städte strömen. Trotzdem ist das Stadtbild von Metropolen wie Lagos, Bamako oder Luanda eher flach gehalten, ohne markante Hochhaus-Silhouetten. "Die Städte im subsaharischen Afrika sind meist eine Ansammlung von vielen Nachbarschaften, von Dörfern. Wobei ich das jetzt gar nicht bewertend beschreiben möchte: Es ist die Gemeinschaft von Häusern, die nicht in die Höhe gewachsen, sondern die in der Fläche geblieben sind."

Der Bahnhof in Dakar erinnert an die Kolonialzeit. Davor steht eine Skulptur auf einem weißen Sockel.
Der Bahnhof in Dakar erinnert an die KolonialzeitBild: robertharding/picture alliance

Chinesische Reißbrettarchitektur

Frauen balancieren Wäsche auf ihrem Kopf und gehen an dem ehemaligen Bankgebäude in Bissau vorbei: einem flachen Bau, der durch fünf Bögen über den Fensteröffnungen strukturiert ist.
Anklänge an die Moderne: ehemaliges Bankgebäude in Bissau, Hauptstadt von Guinea-BissauBild: Adil Dalbai

Auffällig in der afrikanischen Architektur der letzten Jahrzehnte ist auch das Engagement Chinas. In vielen afrikanischen Staaten sind chinesische Bauprojekte realisiert worden oder befinden sich noch in der Planung. Neben zahlreichen Sportarenen entstanden unter der Federführung chinesischer Baufirmen ganze Städte, Eisenbahnverbindungen und Flughäfen. Viele dieser Bauten könnten auch in China oder Nord-Korea stehen, und gleichen nicht selten einem notgelandeten UFO. Diese nicht ganz uneigennützigen Infrastrukturhilfen werden mit Rohstofflieferungen und Schürfrechten abgegolten. Philipp Meuser sieht darin ganz unverhohlen eine neue Form des Kolonialismus.

Kilamba - Hochhausstadt aus chinesischer Hand 

Das eindrücklichste Beispiel für eine chinesische Großinvestition ist für Meuser der Wohnungsbau in Kilamba, einer Satellitenstadt, 30 km südlich von Luanda in Angola gelegen. "Auf Luftbildern ist zu erkennen, dass es sich um eine Retorten-Stadt handelt: Die einzelnen Stadtviertel werden eigentlich nur dadurch unterschieden, dass sie unterschiedliche Farben an den Fassaden haben. Teilweise sind die Häuser zehngeschossig. Eine Stadt-Typologie wie ein Fremdkörper." Für einen Staat wie Angola ist so ein Großprojekt für 500.000 Menschen ein willkommenes Prestigevorhaben, das wirtschaftliche Attraktivität signalisiert und Investoren einladen soll. Afrikanisch ist an dieser Immobilie eigentlich nur die geographische Lage, nicht die Inspiration.

Kilamba in Angola besteht aus farbigen Hochhäusern, die dicht gedrängt stehen.
Kilamba - eine von Chinesen geplante Reißbrettstadt in AngolaBild: cc by sa Santa Martha

Öko-Kubus: Nachhaltiges Marktgebäude in Addis Abeba

Neben diesen gesichtslosen Reißbrett-Häusern chinesischer Bauingenieure gibt es auch beeindruckende Bauprojekte, die lokale Traditionen mit nachhaltigen Konzepten verbinden. Die Lideta Mercato ist ein überdachtes Markt-Gebäude des spanischen Architekten Xavier Vilalta im äthiopischen Addis Abeba. Der Bau besteht aus einem weißen Kubus, der quadratische Öffnungen in seiner Fassade aufweist. Wie der Schlund eines riesigen Wals fasziniert der Eingang, der in ein verschlungenes Treppenlabyrinth hineinzieht. Auf dem Dach sind große Solaranlagen installiert, eine Regenwassernutzungsanlage macht das Gebäude zu einem ökologisch ambitionierten Selbstversorger.

Mix aus Tradition und Innovation

Bis auf wenige spektakuläre Bauten, wie die äthiopische Lideta Mercata, ist die Überzahl subsaharischer Bauprojekte mehr an grundsätzlichen Fragestellungen interessiert. Viel Aufmerksamkeit erregte der aus Burkina Faso stammende Architekt Francis Kéré mit seinem Operndorf-Projekt in Laongo. Das von Christoph Schlingensief initiierte Bau- und Kulturprojekt gilt bis heute als Vorbild für die afrikanische Architekturszene. Es verbindet bewährte Baukonzepte wie durchlässige Fassaden und hervorragende Dachkonstruktionen, die eine natürliche Ventilation erlauben. Bemerkenswert an diesem Projekt ist auch die Grundidee, Bewohner des Dorfes in elementare Bauvorgänge mit einzubeziehen.

Kinder laufen aus einem Gebäude im Operndorf von Francis Kéré, das aus Lehm gebaut ist.
Nachhaltiges Projekt in Burkina Faso: das Operndorf, erbaut von Francis KéréBild: Erik-Jan Ouwerkerk

Herausforderung Slum

Neben dem Bau von nachhaltigen, einfach strukturierten Wohnhäusern, ist die Neugestaltung der von riesigen Slums dominierten Megacities wie Lagos ein zentrales Thema subsaharischer Architektur. Markant ist ein Projekt floßartiger Bauten in der Bucht von Lagos. Federführend ist dabei der nigerianische Architekt Kunlé Adeyemi, der mit seiner Makoko Floating School ein zwar gescheitertes, aber dennoch wegweisendes Schulbau-Projekt entwickelt hat. Die dreieckig konzipierten schwimmenden Basishäuser bestehen aus recyceltem Material und verfügen über ein eigenes Abwassersystem. Mit so einem Bautyp könnte der Stadtteil Makoko von einem Slum in ein ökologisch nachhaltiges, lebenswertes Quartier verwandelt werden. Das ist noch Zukunftsmusik, aber ein wichtiger Trend aktueller und lebensnotwendiger Architektur auf der subsaharischen Landkarte.

Die schwimmende Schule in Lagos liegt in einer Lagune. Wie ein Zelt erhebt sich eine Holzkonstruktion, die auf Planken befestigt ist.
Schwimmende Schule in LagosBild: Reuters/A. Akinleye

Philipp Meuser, Adil Dalbai (Hg.): Sub-Saharan Africa: Architectural Guide. Sieben Bände, 3412 Seiten Dom Publishers, Berlin