Helmut Schnatz war noch ein Kind, als der Krieg zu Ende ging. Während sein Vater als Soldat für die Wehrmacht in Italien kämpfte, saß Helmut im März 1945 mit US-Soldaten zu Hause am Küchentisch.
Helmut Schnatz war noch ein Kind, als der Krieg zu Ende ging. Während sein Vater als Soldat für die Wehrmacht in Italien kämpfte, saß Helmut im März 1945 mit US-Soldaten zu Hause am Küchentisch.
Kaum waren im März 1945 US-Soldaten in der Stadt Boppard einmarschiert, saßen drei von ihnen im Haus von Familie Schnatz und aßen zusammen mit Helmut und seiner Schwester Erbsensuppe. Seine Mutter hatte sie im Keller eines Hotels gekocht. Vater Schnatz war als Soldat in Italien.
Boppard liegt am Rhein, und einmal sah der 12-jährige Helmut durchs Fenster, wie Amerikaner mit Gewehren auf deutsche Soldaten am anderen Flussufer zielten. Dort „lief eine breite Blutspur die Ufermauer herunter“, erzählt Schnatz. Da schickte ihn einer der US-Soldaten in seinem Haus mit den Worten weg: „Nothing for children“, nichts für Kinder.
Heute ist Helmut Schnatz 82 Jahre alt und erinnert sich. Als Kind war er in der Hitlerjugend und sang antisemitische Lieder – sie hätten sich dabei nichts gedacht, sagt er. Und zu Beginn des Krieges betete er abends sogar, dass die Deutschen den Krieg gewinnen. Doch im Frühjahr 1945 hoffte Helmut Schnatz nur noch: „Es soll vorbei sein!“
Im Juli 1945 kehrte Helmuts Vater aus Italien zurück, aber er durfte erst mal nicht in seinem alten Beruf arbeiten, weil er Mitglied in der NSDAP gewesen war. Stattdessen wurde er „entnazifiziert“ und musste zwei Jahre lang Trümmer wegräumen. Helmut ging im Herbst 1945 zum ersten Mal seit mehr als einem Jahr wieder in die Schule, nachmittags spielten seine Freunde und er mit Munition, die sie in den Trümmern fanden.
Später wurde Helmut Schnatz Geschichts- und Deutschlehrer. Er wollte seine Schüler zum Nachdenken anregen, mit Fragen wie: Was ist Gewaltherrschaft? Was sind freie Bürger? Der Krieg und besonders die Bomben, die so viele Städte zerstörten, ließen Schnatz nie los. Er arbeitete wissenschaftlich zum Thema und veröffentlichte sogar ein Buch darüber. Seinen Schülern aber hat er von dieser Zeit nicht viel erzählt, denn er meint: „Die Kenntnisse über Auschwitz sind wichtiger als meine Erfahrungen vom Luftkrieg.“
Glossar
Wehrmacht(f., nur Singular) – die Armee Hitlers im Zweiten Weltkrieg
US- – Abkürzung für: United States; nordamerikanisch
ein|marschieren – als Soldat in eine Stadt oder ein Land kommen und sie/es besetzen
Gewehr, -e (n.) – eine lange Waffe, mit der man schießen kann
auf jemanden zielen – eine Waffe auf jemanden richten
Hitlerjugend (f., nur Singular) – die Jugendorganisation der Nationalsozialisten
antisemitisch – feindlich gegenüber Juden (Substantiv: der Antisemitismus)
sich nichts dabei denken – sich keine Gedanken oder Sorgen über etwas machen
zu Beginn – am Anfang
Frühjahr (n., nur Singular) – der Frühling; eine Jahreszeit
zurück|kehren – zurückkommen; wiederkommen
NSDAP (f., nur Singular)– Abkürzung für: Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei; die Partei Adolf Hitlers
jemanden entnazifizieren – prüfen, ob jemand ein Nazi war, und die Person eventuell bestrafen (Substantiv: die Entnazifizierung)
Trümmer (m., nur Plural) – hier: Teile von kaputten und zerstörten Gebäuden
etwas weg|räumen – etwas an einen anderen Ort bringen und so für Ordnung sorgen
Munition (f., nur Singular) – Material zum Schießen für Waffen
etwas lässt jemanden nicht los – jemand kann etwas nicht vergessen
zu etwas an|regen – dafür sorgen, dass etwas passiert
Luftkrieg, -e (m.) – der Krieg, der mit Flugzeugen geführt wird
Fragen zum Text
1. Welche Aussage steht im Text?
a) Die Stadt Boppard war fast ganz zerstört, als die Amerikaner kamen.
b) Kurz vor Kriegsende kämpften dort amerikanische gegen deutsche Soldaten.
c) Am Ende des Krieges mussten auch kleine Jungen wie Helmut Schnatz mitkämpfen.
2. Was steht nicht im Text?
a) Helmut wünschte sich, dass der Krieg bald aufhört.
b) Helmuts Vater arbeitete nach dem Krieg sofort wieder in seinem alten Beruf.
c) Amerikanische Soldaten lebten eine Zeit lang bei Helmuts Familie.
3. Was sagt Helmut Schnatz?
a) Als Kind wollte er bis zum Ende des Krieges, dass die Nazis ihn gewinnen.
b) Seine eigene Geschichte findet er nicht so wichtig wie die Geschichte von Auschwitz.
c) Er hat sich nichts dabei gedacht, als seine Freunde und er mit Munition spielten.
4. Im Jahr 1945 …
a) in der Stadt marschierten Soldaten ein.
b) Soldaten einmarschierten in der Stadt.
c) marschierten Soldaten in der Stadt ein.
5. Die Erinnerungen an den Bombenkrieg …
a) haben ihn nie losgelassen.
b) haben nie los ihn gelassen.
c) haben nie ihn losgelassen.
Arbeitsauftrag
Was wisst ihr über das Kriegsende 1945? War eure Heimat auch vom Krieg betroffen? Versucht herauszufinden, wie eure Großeltern und Urgroßeltern das Kriegsende erlebt haben, und schreibt es auf.