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Gesellschaft

Der älteste Schwimmlehrer Deutschlands

Oxana Evdokimova
1. September 2019

Leopold Kuchwalek beweist, dass man auch im hohen Alter noch fit sein kann. Einmal pro Woche gibt der Berliner Rentner ehrenamtlich Schwimmunterricht. Und das mit großer Leidenschaft.

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Leopold Kuchwalek
Bild: DW/O. Evdokimova

Leopold Kuchwalek nähert sich langsam dem Schwimmbecken, beugt die Knie, atmet ein und springt schwungvoll ins Wasser. Mit dem Kopf voran. Es sieht zwar nicht besonders elegant aus, aber für einen 102-Jährigen ist es beeindruckend. Als Leopold Kuchwalek, der von allen Leo genannt wird, nach wenigen Sekunden wieder auftaucht, strahlt er. Wasser ist sein Element und Schwimmen seine große Leidenschaft.

Mit Geduld und Humor

"Ich war schon immer Wassersportler", erzählt Leo. Nach einem Herzinfarkt vor 17 Jahren muss er zwar kürzer treten und aufpassen, dass er sich nicht übernimmt. Aber einmal pro Woche unterrichtet er noch in einer Schwimmhalle in Berlin-Lichterfelde. Diesmal sind acht Kinder gekommen, im Alter von 6-8 Jahren.

Denis und Clara freuen sich auf ihren Schwimmunterricht. "102 Jahre, das ist sehr lang!", sagt Clara. Und Leonie ist ganz begeistert: "Ich finde es cool, dass wir so einen alten Lehrer haben!" Die Kinder springen nacheinander ins Schwimmbecken. Leo achtet auf ihre Bewegungen und korrigiert ein wenig ihre Schwimmhaltung. "Er hat viel Geduld mit uns und hilft uns gerne", sagt Denis. Als der 7-Jährige mit dem Schwimmkurs anfing, hatte er noch Angst vor dem Wasser. Leo gelang es, ihm diese Angst zu nehmen - vor allem mit Humor, der bei den Kleinen offenbar Wunder bewirken kann.

"Ich kann praktisch jeden Quatsch mitmachen. Wir haben Spaß. Ich bin noch nicht so alt und will noch ein bisschen älter werden", lacht Leo und geht wieder zum Beckenrand, um zu tauchen. Denis macht mit.  

Seit 35 Jahren Schwimmlehrer

Leopold Kuchwalek ist eigentlich gelernter Schlosser und hatte eine Installationsfirma in Berlin. Seine Prüfung zum Schwimmlehrer machte er 1984. Da war er schon in Rente und wusste mit der vielen Freizeit wenig anzufangen. Leo wollte etwas Sinnvolles tun und weil er sehr gern im Wasser ist, wandte er sich ans Rote Kreuz, um Schwimmlehrer zu werden. 

35 Jahre sind seither vergangen, und die Gelenke machen nicht mehr so mit wie früher. Dennoch bewältigt er seinen Alltag weitgehend selbstständig. Sein Haus hat er nach dem Kriegsende eigenhändig gebaut. Hier sprudelte es mal vor Leben, das merkt man an der fröhlichen Einrichtung. Bunte Tapeten, viele Bilder, Schwarz-Weiß-Fotos mit jungen, lachenden Gesichtern. Mitten im Wohnzimmer steht ein großer Esstisch. "Gestern habe ich Marmelade gekocht. Mit Pflaumen aus meinem Garten. Möchten Sie probieren?" Leo stellt die Kaffeetassen auf den Tisch und schneidet langsam ein Stück Kuchen ab. Er schafft das alles alleine. "Ich ziehe mich sogar noch selbst an."

Seine Selbstständigkeit ist ihm wichtig. Vor dem Gedanken ans Seniorenheim graust ihm. "Es ist sehr schön, zuhause zu sein. Solange ich noch mein Bett selbst so mache, wie ich will, bin ich zufrieden." 

"Ich habe mein Leben gelebt und geliebt"

Es gibt schon Momente, in denen sich Leo einsam fühlt. Seit vier Jahren lebt er alleine. Seit seine Frau Hildegard starb, seine große Liebe. "Sie war ein Goldstück. Mein Goldstück. Meine Hilde". Leo wird traurig, zeigt das Foto einer lächelnden Frau: "Ich werde sie nicht vergessen. Sie hat so viel für mich gemacht. Drei Kinder hat sie mir geboren. Unser erstes Kind ist leider im Babyalter gestorben. Das war im Krieg."

Leopold Kuchwalek
Bild: DW/O. Evdokimova

Mit 16 haben sie sich ineinander verliebt. 73 Jahre waren sie verheiratet. "Wir blieben uns bis zum Ende treu und das kann ich jedem empfehlen." Als Hildegard mit 95 starb, ging für ihn die Welt unter. Doch sein Ehrenamt als Schwimmlehrer und seine Kollegen retteten ihn aus der Depression. "Das Gefühl, dass jemand mich gebraucht hat, half mir auf die Beine." Er versucht seitdem, die Kraft aus den schönen Erinnerungen zu schöpfen. Seine beiden Kinder wohnen in der Nähe und helfen im Haushalt. "Ich habe mein Leben gelebt und geliebt. Trotz aller Schicksalsschläge."

Leo hat zwei Weltkriege überlebt. Als Hitler an die Macht kam, war er 16. Er wurde eingezogen und als Kraftradmelder an die Ostfront geschickt. Am Ende des Krieges kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, leistete im damaligen Stalingrad Zwangsarbeit beim Wiederaufbau der zerstörten Stadt. Er redet nicht gern über diese Zeit. "Seit dem Krieg hat mich nichts mehr erschüttert. Es war schlimm. Ich staune, dass auf der Welt immer noch gehadert wird. Wir brauchen keinen Krieg, und ich bin froh, dass wir in Deutschland Frieden haben."   

Vorbild für alle, die lang leben wollen 

Leopold Kuchwalek
Bild: DW/O. Evdokimova

Seit er 100 wurde, klingelt bei ihm häufig das Telefon. Journalisten aus aller Welt wollen herausfinden, wie man so lange lebt und dabei jung bleibt. Leo freut sich über den regen Besuch. "Sogar in Russland und Japan hat man schon über mich berichtet." Und er bewahrt alle Zeitungsartikel über sich auf.

Manchmal bekommt Leopold Kuchwalek auch Briefe. Internet hat er nicht. Menschen offenbaren ihm, wie sehr er sie inspiriert und motiviert, im Leben aktiv zu bleiben. Wenn er das liest, sagt er, werden seine Augen schon mal ein wenig feucht. Sein Rezept für ein langes Leben verrät er gern. Nicht rauchen, etwas für andere tun - und natürlich schwimmen.

Deswegen freut er sich schon auf den nächsten Donnerstag. Dann wird er wieder seine Sporttasche packen und mit dem Bus eine Stunde zur Schwimmhalle fahren, zweimal Umsteigen inklusive. Er freut sich auf seine Schüler und darauf, wieder ins Wasser zu springen. Mit dem Kopf voran. Solange es geht.