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100 Gesichter des jungen Europa

Andrea Kasiske2. September 2013

Wie sieht sie aus, die Jugend Europas? Was wünschen sich die jungen Menschen und wovor haben sie Angst? In Berlin zeigen 100 Fotoporträts aus sieben Ländern Unterschiede und Ähnlichkeiten.

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Fotoausstellung "I am not afraid of anything", Portraits von Europäischen jungen Menschen im Museum für Europäische Kulturen in Berlin: Zwei Besucherinnen vor der Fotowand in der Ausstellung; Copyright: Andrea Kasiske***ACHTUNG: Das Bild darf ausschließlich im Rahmen einer Berichterstattung (über Edgar Zippel) genutzt werden***
Edgar ZippelBild: Andrea Kasiske

Er könnte ein Schiedsrichter sein: Schwarze Kniestrümpfe, schwarze knielange Hose und Sportjacke. Ein kräftiger junger Mann, dunkle Haare, fleischiges Gesicht. Den Körper zum Gehen gewandt, schaut er leicht skeptisch und doch entspannt in die Kamera. Er heißt Daniel, ist 1989 geboren und sieht eindeutig älter aus. "Schüler" sagt die Bildunterschrift. Mehr erfahren wir erst mal nicht. Der Fotograf Edgar Zippel lässt bewusst offen, aus welchem Land die hundert jungen Leute zwischen 18 und 24 stammen, die er in fünf Jahren porträtiert hat. In Moldawien, Polen, Island, Großbritannien, Portugal, Italien und Deutschland.

Ist Daniel ein Osteuropäer? Oder vielleicht doch eher Isländer? Als Betrachter ist man mit seinen eigenen Vorurteilen konfrontiert, denn der Hintergrund der Bilder verrät nicht viel. Man zieht seine Rückschlüsse aus der Kleidung, dem Gesicht, dem Namen - und ist dann doch überrascht, dass Maria, die Frau in Rodeo-Hose und mit Cowboyhut, aus Deutschland stammt. Das verrät der Katalog, der die Bilder geografisch zuordnet.

Junge Europäer heute

Die Ausstellung im Berliner Museum Europäischer Kulturen steht in der Tradition ethnografischer Bildersammlungen. Quer durch soziale Schichten und Berufe ist ein "Archiv" der Jugend in Europa zu Beginn des 21. Jahrhunderts entstanden. Wie sehen junge Menschen heute aus? Wie stellen sie sich dar? Gibt es signifikante regionale Unterschiede? Es überrascht kaum, dass vieles sich ähnelt. Globale Freizeit-Dresscodes sind in Moldawien genauso angesagt wie in Portugal, Fischer tragen überall die gleiche Berufskleidung. Und der Londoner Bankangestellte Karim könnte aus jeder größeren Stadt aus Europa kommen. Ein smarter, dunkelhaariger Typ im anthrazitfarbenen Anzug, das Handy im Anschlag, lässig an einen glänzenden dunklen Wagen gelehnt.

Fotoausstellung "I am not afraid of anything", Portraits von Europäischen jungen Menschen im Museum für Europäische Kulturen in Berlin: Junge, blonde Verkäuferin in Supermarkt, mit grellen Farben, Querformat; Copyright: Andrea Kasiske*** (Foto eines Fotos von Edgar Zippel).
Marý, Schülerin in Reykjavik, jobbt in einem Supermarkt.Bild: Andrea Kasiske

Obwohl Kleidungscodes und Statussymbole immer ähnlicher werden, vermeidet die Ausstellung Stereotype. Was fasziniert, ist die Individualität der Gesichter: sie blicken den Betrachter direkt an - meist äußerst entspannt. Dass bei dieser Altersgruppe noch so vieles offen und ungeklärt ist, hat den Fotografen besonders interessiert: "Ich glaube, dass man aus den Gesichtern wahnsinnig viel herauslesen kann", sagt er. Manches hat sich darin auch schon eingeschrieben. Der tägliche Überlebenskampf von Miguel zum Beispiel. Der Akkordeonspieler aus Lissabon sitzt mit seinem Hund auf der Straße. Die Stirn in Falten, den Blick nach innen gerichtet.

Spiel mit dem Zufall

Zippel hat sich die Länder selbst ausgesucht, in denen er fotografieren wollte. Manche, wie Rumänien, kannte er schon, in anderen war er zum ersten Mal. "Dann lasse ich mich erst mal überraschen", erzählt der Fotograf. Er ist einfach auf die Leute zugegangen. Und erstaunlicherweise ließen sich die meisten jungen Leute gerne fotografieren. Bei Ana, einer Polizistin aus Lissabon, musste er allerdings seinen ganzen Charme einsetzen, bis sie ihr Namensschild abnahm. Und sich dann lässig cool, mit den Daumen am Uniformgürtel, ablichten ließ.

Davide *1992, Italien © Staatliche Museen zu Berlin/ Museum Europäischer Kulturen/ Edgar Zippel Museum Europäischer Kulturen "I'm not afraid of anything". Porträts junger Europäer Fotografien von Edgar Zippel Fotograf: Edgar Zippel Copyright: Museum Europäischer Kulturen
Davide aus ItalienBild: Staatliche Museen zu Berlin/ Museum Europäischer Kulturen/ Edgar Zippel

Nicht alle Fotos sind Zufallsbilder, Zippel hat mit Hilfe von Assistenten und Freunden ganz gezielt nach bestimmten Berufen und Situationen gesucht, die mit dem Land in Verbindung stehen.

Die Motorroller sind in Italien so typisch wie Cappuccino. "Vor meinem inneren Auge entstand das Bild einer jungen Italienerin, auf einem Zweirad, eventuell mit Telefonino am Ohr." Das reale Pendant fand er in einem Bergdorf in Sardinien. Mehr als nur eine Scooterin sauste dort an ihm vorbei. Das war am Sonntag. Bis er sich zum Foto entschlossen hatte, war es dann Montag und von den jungen Leuten nichts mehr zu sehen. Dieses Foto ist, wie so viele andere, nicht entstanden. Es erwies sich oft als einfacher, spontane Bilder zu machen als die im Kopf gedachten zu "finden".

Fotoausstellung "I am not afraid of anything", Portraits von Europäischen jungen Menschen im Museum für Europäische Kulturen in Berlin: Orthodoxer Mönch, Kopf, Querformat Andrea Kasiske hat ein Foto von Edgar Zippel fotografiert.
Orufire, orthodoxer Mönch aus RumänienBild: Andrea Kasiske

Der Fotograf hat den Porträtierten nicht nur ins Gesicht geblickt, er hat sie auch befragt: Was willst du machen? Worauf freust du dich? Wovor hast du Angst? Ihre Antworten kann man in der Ausstellung nachlesen. Trotz aller Unterschiede ähneln sich die Wünsche der jungen Europäer. Beruf und Familie stehen ganz oben. Interessanter sind die Ängste: Orufire, ein orthodoxer Mönch aus Rumänien mit schwarzem Bart und klarem, selbstbewusstem Blick, fürchtet sich vor dem "Jüngsten Gericht". Mattia, Schäfer aus Italien, sorgt sich, dass er seine Träume nicht verwirklichen kann. Eine Sorge, die er mit vielen anderen teilt.

Keine Angst vor nichts

"Ich habe Angst vor einem verschwendeten Leben", hat eine polnische Grundschullehrerin dem Fotografen anvertraut. Mit Anfang zwanzig eine erstaunliche Aussage. Auch verwunderlich, wie viele der jungen Leute positiv in die Zukunft schauen. Gleich mehrere äußern "I am not afraid of anything" – "Ich habe vor nichts Angst". Auch Daniel, der sportliche Schüler aus Rumänien, sagt das. Aus diesem Satz und den Gesichtern spricht eine Kraft, die man den jungen Europäern, besonders jenen aus den "Krisenländern", nicht zugetraut hätte. Auch wenn viele Bilder schon vor drei, vier Jahren entstanden sind: das ist nicht die "lost generation", von der jetzt überall gesprochen wird. Und das macht Hoffnung, auch den erwachsenen Europäern.