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Ökonomische Probleme und religiöse Akzente

S.Jusupchanowa/J. Wyschemirskaja/Andreas Hartmann21. Oktober 2002

Islamistische Organisationen verstärken ihre Tätigkeit in Zentralasien. Sie verstehen es, die Unzufriedenheit der Bevölkerung für ihre Ziele zu nutzen.

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In Zentralasien finden islamische Devotionalien steigendes InteresseBild: AP

In den zentralasiatischen Republiken Kirgisistan, Kasachstan und Usbekistan wurde der Islam, im Unterschied zu den meisten arabischen Regionen, als weniger strenger Volksislam ausgelegt. Dies war die einzige Form, in der die Religion unter sowjetischer Herrschaft bestehen konnte. Doch inzwischen verstärken radikal islamische Organisationen wie "Hisb-ut-Tahrir" in Kirgisistan und Kasachstan oder die "Islamische Bewegung Usbekistans" in Usbekistan ihre Aktivitäten.

Islam arabischer Prägung

Ihre Ideologie "trägt deutlich arabische Akzente, zum Beispiel antijüdische Akzente, die nie in Zentralasien eine Rolle gespielt haben", erklärt Uwe Halbach, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stiftung Wissenschaft und Forschung in Berlin. Daher glaubt der im Exil lebende usbekische Politiker und Literaturwissenschaftler Muhammad Salih nicht an einen dauerhaften Erfolg der "Hisb-ut-Tahir". "Ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung Zentralasiens ihre Idee niemals verinnerlichen wird."

Radikale Opposition

Dass die Zahl der Anhänger der "Hisb-ut-Tahrir" in Kirgisistan im vergangenen Jahr deutlich zunahm, hängt jedoch weniger mit ihren religiösen Zielen, sondern mit der Frustration der Bevölkerung über die postsowjetischen Regime zusammen. "Hisb-ut-Tahrir" hat Erfolg, "weil sie es versteht, der Frustration der Bevölkerung gegen die Regime und den sozial-ökonomischen Problemen religiöse Akzente zu verleihen", sagt Halbach. "Hisb-ut-Tahrir" ist nicht nur eine religiöse Bewegung, sie übt auch radikal Kritik an der Regierung.

Damit füllt sie ein Vakuum, dass durch das Verbot der demokratischen Oppositionsparteien entstand. Könnte die demokratische Opposition legal arbeiten, hätten nach Salihs Ansicht islamistische Ideen, die der Mentalität in Zentralasien fremd sind, keinen Platz.

Hoher Frauenanteil

Die regierungsfeindliche Haltung von "Hisb-ut-Tahrir" erklärt auch den hohen Zuspruch der weiblichen Bevölkerung. Frauen hatten in Zeiten der Sowjet-Regierung Zugang zu Hochschulbildung und akademischen Berufen, doch nach dem Wegbrechen der sowjetischen Herrschaft waren es die Frauen, die zuerst arbeitslos wurden. Radikale Ideen des Islams werden daher eher von jungen Frauen vertreten. Die älteren Generationen, die eine kostenlose Hochschulausbildung genossen hatten, lehnen in der Regel Radikalismus ab.

Versteckte Waffenlager

Bislang beschränkt sich "Hisb-ut-Tahrir" auf Propaganda und führt im Unterschied zur "Islamischen Bewegung Usbekistans" keinen bewaffneten Kampf. Im September wurden jedoch im Süden Kirgisistans mehrere Verstecke mit Waffenlagern entdeckt. Der Nationale Sicherheitsdienst der Republik erklärte, die Verstecke seien von "Hisb-ut-Tahrir" eingerichtet worden. Doch ob die Waffen tatsächlich der Bewegung gehören, oder ob die Regierung einen Grund für ein hartes Vorgehen sucht, ist derzeit nicht klar. Für die Regierungen in den ehemaligen Sowjetrepubliken Zentralasiens gilt jede Bewegung als terroristisch, die sich regierungsfeindlich gibt, unabhängig, ob militante Aktionen verübt werden. "Man muss immer mit Vorsicht behandeln, was die Regierungen melden", warnt Halbach. Bisher konnten "Hisb-ut-Tahrir" nämlich keine terroristischen Aktivitäten nachgewiesen werden.

Halbach sieht eine Zukunft für die islamischen Bewegungen, so lange sie es verstehen "die Frustrationen auszubeuten" und die Unzufriedenheit der Bevölkerung für ihre religiöse Ideologie einzuspannen. Denn die Bevölkerung ist nicht unbedingt von der religiösen Ideologie der bewegungen begeistert, sondern "imponiert von der Zivilcourage gegen die Regierung."