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Zwerge fällen Titelverteidiger

Wim Abbink26. Juni 2004

Einfallslos, lustlos, trostlos - so hat sich Frankreich von der Euro 2004 verabschiedet. Mit einer sehr kontrollierten Offensive schlug Griechenland als krasser Außenseiter den Titelverteidiger verdient mit 1:0.

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Bedrückter Zidane, euphorische GriechenBild: AP

Es gibt ein weiteres Kapitel des griechischen Fußball-Märchens. Otto Rehhagels griechische "Fußball-Götter" haben Titelverteidiger Frankreich sensationell vom Sockel gestürzt und erstmals das Halbfinale einer Europameisterschaft erreicht. Der Bremer Stürmer Angelos Charisteas erzielte vor 45.000 Zuschauern in Lissabon in der 65. Minute das Siegtor für die Hellenen. Gegen Tschechien oder Dänemark spielen die als krasser Außenseiter ins Turnier gestarteten Griechen am kommenden Donnerstag (29.06.2004) in Porto nun sogar um den Einzug ins Endspiel.

Laut Rehhagel ging es für die Griechen nach dem historischen Einzug ins Viertelfinale nur noch um den Spaß am Fußball. "Wir haben nichts zu verlieren und können gegen die beste Mannschaft der Welt locker aufspielen", sagte "Rehakles", wie der gestrenge Deutsche von den Hellenen genannt wird. Dementsprechend couragiert und respektlos war das Auftreten des Außenseiters, dem Rehhagel die bei Werder Bremen erprobte "kontrollierte Offensive" verordnet hatte. Griechenland bestimmte in der ersten Halbzeit das Spiel: mit läuferischem Einsatz, hartem Tackling und taktischem Geschick.

Rehhagel
Für die Griechen ist er auch mit neuer Frisur "König Otto" RehhagelBild: AP

Entzauberte Fußballkünstler

Torwart Fabien Barthez war der einzige Franzose in Normalform. Der Titelverteidiger spielte ohne Esprit und Raffinesse. Zidane, der durch seinen 14. Einsatz gemeinsam mit Lilian Thuram zum EM-Rekordspieler aufstieg, war ein Schatten seiner selbst. Thierry Henry, der in der ersten Halbzeit nur eine Kopfball-Chance hatte, wurde von Georgios Seitaridis an die Kette gelegt. Wie überhaupt die disziplinierte hellenische Verteidigung überraschend wenig Probleme hatte, die einst so gefürchtete Kreativ-Abteilung der Franzosen in Schach zu halten.

Die Fans waren von den erbärmlichen Darbietungen der entzauberten Fußball-Künstler derart enttäuscht, dass vor der Pause Pfiffe und - in Anspielung an das mitreißende erste Viertelfinale zwischen den Gastgebern und England - "Portugal"-Rufe ertönten. Das packte die Franzosen an der Ehre. In der zweiten Halbzeit schalteten sie einen Gang höher. Danach brannte es einige Male lichterloh im griechischen Strafraum, doch die in der Defensive sehr disziplinierten Hellenen hielten dem Druck stand - und das Tor fiel auf der anderen Seite.

Frankreich ausgeschieden
Neben Wut gab es auch Tränen im französischen FanblockBild: AP

Denkmal für Rehhagel

Zwei Bundesliga-Spieler waren maßgeblich an der entscheidenden Szene in der 65. Minute beteiligt. Wie ein Anfänger ließ sich Bixente Lizarazu (Bayern München) vom griechischen Kapitän Theodoris Zagorakis düpieren. Dessen exakte Flanke landete bei Angelos Charisteas (Werder Bremen), der per Kopfball unhaltbar für Barthez vollendete. In der Schlussphase wechselte der französische Trainer Jacques Santini mit Sylvain Wiltord, Louis Saha und Jérôme Rothen noch drei Offensivkräfte ein - doch der Sturmlauf kam zu spät, mehr als eine Kopfball-Chance durch Henry (87.) sprang nicht mehr heraus.

Nach dem Abpfiff spielten sich unbeschreibliche Jubelszenen im Lager der Griechen ab, die bei ihrer zweiten EM-Teilnahme erstmals zu den vier besten Mannschaften in Europa gehören. In Griechenland dürften sie Rehhagel jetzt endgültig ein Denkmal errichten. Schon durch den 2:1-Triumph gegen den Gastgeber und Halbfinalisten Portugal hatte "König Otto" einige Wochen vor dem Beginn der Olympischen Spiele in Athen eine riesige Euphorie entfacht.