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Lieferkettengesetz: Discounter Lidl in der Kritik

Pelin Ünker | Burak Ünveren
23. Mai 2024

Türkische Arbeiter des Landwirtschaftsunternehmens Agrobay werden in Deutschland eine Beschwerde gegen den Discounter Lidl einreichen. Grund: Ein möglicher Verstoß gegen das Lieferkettengesetz.

Eine Lidl-Filiale
Lidl ist der größte Discounter der WeltBild: Jelena Djukic Pejic/DW

Vor einigen Monaten berichteten Mitarbeitende des türkischen Landwirtschaftsunternehmens Agrobay über unrechtmäßige Entlassungen und unmenschliche Arbeitsbedingungen. Sie würden gemobbt und ihnen werde das Recht verweigert, auf die Toilette zu gehen, so ihre Aussagen. Für ihre Rechte gingen sie auf die Straße. Seit über acht Monaten protestieren die ehemaligen Mitarbeiter in der westtürkischen Metropole Izmir. Mitverantwortlich gemacht wird der deutsche Supermarktgigant Lidl. Nun bereiten sich die Arbeiter von Agrobay auf einen Rechtsstreit gegen den deutschen Konzern vor.

Lidl beendet die Zusammenarbeit

Bis vor kurzem gingen die Geschäfte zwischen Lidl und Agrobay unverändert weiter. Nun gab der deutsche Konzern bekannt, dass er diese Zusammenarbeit beendet habe. Auf eine Anfrage der DW antwortete das Unternehmen:

"Mit Rücksicht auf das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz nahmen wir vor einigen Monaten wegen einer Beschwerde über mögliche Verletzungen der geschützten gesetzlichen Positionen unserer Mitarbeiter bei unserem indirekten Lieferanten Agrobay Ermittlungen auf. Nach diesen Ermittlungen und umfassenden Diskussionen mit allen beteiligten Parteien haben wir uns entschieden, unsere geschäftliche Beziehung mit Agrobay zu beenden."

Eine Demonstration der Agrobay-Arbeiterinnen gegen schlechte Arbeitsbedingungen
Die Arbeitskräfte prangern seit acht Monaten unrechtmäßige Entlassungen und schlechte Arbeitsbedingungen an Bild: Anka

Aus Datenschutzgründen nannte der Konzern keine Details zu den Ermittlungen. Außerdem betonte Lidl die geringe Bedeutsamkeit der Zusammenarbeit mit Agrobay: "Aus der Türkei beziehen wir für Lidl in Deutschland außerhalb der Tomatensaison in Nord-/Mitteleuropa nur einen einstelligen prozentualen Anteil unserer Tomaten, davon wiederum nur einen kleinen Anteil vom Erzeuger Agrobay. Grundsätzlich beziehen wir, wenn möglich, Ware bevorzugt von regionalen Lieferanten. Im Frühling/Sommer ist der Anteil türkischer Tomaten im deutschen Sortiment daher noch einmal geringer."

Die seit 2002 aktive Firma Agrobay hat eine jährliche Anbaukapazität von 20.000 Tonnen und zählt damit zu einem der größten Hersteller im landwirtschaftlichen Bereich der Türkei. Die Firma exportiert auch nach England, Spanien, Schweden, die Niederlande und Russland.

"Beendigung der Zusammenarbeit löst das Problem nicht"

Im Gespräch mit der DW bestätigt Umut Kocagöz, Präsident der Landwirtschaftsgewerkschaft Tarım-Sen, dass Lidl die Zusammenarbeit mit Agrobay Mitte April beendet habe. Man habe versucht, mit den Anwälten von Agrobay Gespräche zu führen, bisher sei das aber nicht möglich gewesen, so Kocagöz. Weiter erklärte der Gewerkschafter, die EU-Parlamentarierin Özlem Alev Demirel habe ein Schreiben an Lidl geschickt, das möglicherweise Einfluss auf die Entscheidung gehabt habe, den Handel einzustellen.

Dem gegenüber erklärt das Unternehmen, es habe die Geschäftsbeziehung mit Agrobay ausgesetzt, bevor dieses Schreiben eingetroffen sei: "Die Aufarbeitung von potenziellen Verstößen gegen die Bestimmungen unseres Code of Conduct sowie die Verletzung von Menschenrechten oder umweltbezogenen Pflichten erfolgt bei Lidl nach klaren Leitlinien und Prozessen. Wir prüfen kontinuierlich und systematisch potenzielle menschenrechtliche, soziale und umweltbezogene Risiken in unseren Lieferketten. Ziel ist es, diese Risiken zu erfassen und zu minimieren. Die Verfahrensordnung regelt den Ablauf der Hinweisbearbeitung bei Lidl. Sofern im Rahmen der Hinweisbearbeitung Verletzungen festgestellt werden, bemühen wir uns um fallindividuell angemessene Abhilfemaßnahmen. Außerdem prüfen wir im Anschluss ob Präventionsmaßnahmen erforderlich sind, um solche Verletzungen zukünftig zu vermeiden."

Verstoß gegen das Lieferkettengesetz?

Der Vorwurf der Gewerkschaft: Trotz der aufgedeckten Rechtsverletzungen beendete der Konzern die Zusammenarbeit mit Agrobay nicht rechtzeitig, wodurch er gegen das neue deutsche Lieferkettengesetz verstieß.

Die entlassenen Arbeiter mit ihren Schildern: "Unser Gewerkschaftsrecht kann nicht verhindert werden" und "Agrobay, gib uns unsere Rechte”
Die entlassenen Arbeiter mit ihren Schildern: "Unser Gewerkschaftsrecht kann nicht verhindert werden" und "Agrobay, gib uns unsere Rechte”Bild: Anka

Verstöße gegen das Gesetz können mit Bußgeldern von bis zu 800.000 Euro bestraft werden. Laut den Finanzzahlen für 2022-2023 ist Lidl einer der größten Discounter der Welt mit mehr als 12.200 Filialen in 31 Ländern weltweit und einem Umsatz von 114,8 Milliarden Euro. Daher ist das Unternehmen für Agrobay ein Prestige-Partner und wichtige Referenz-Quelle.

Im Rahmen des Gesetzes hätte Deutschland die Rechte dieser Arbeiter schützen können, habe dies aber nicht getan, beklagen sich die Betroffenen seit Monaten. Das seit Januar 2023 geltende Gesetz schreibt deutschen Unternehmen ab einer bestimmten Größe vor, in ihren Lieferketten sowohl im In- als auch im Ausland Menschenrechte und Umweltvorschriften zu berücksichtigen. Dies hat eigentlich Folgen für die türkischen Unternehmen, die mit Deutschland Handel betreiben - also auch für Agrobay.

Schwere Vorwürfe gegen Lidl

In den vergangenen Monaten führten die früheren Arbeiter Gespräche mit Lidl. "Seit etwa zwei Monaten sind wir im Gespräch mit Lidl. Uns wurde gesagt, dass wir eine Abfindung bekommen würden, falls wir unseren Kampf aufgeben würden. Die Geschäfte mit Agrobay würden dann auch weiterlaufen. Dann gab es eine Unterbrechung unserer Gespräche. Man habe seine Meinung zur Abfindung geändert. Am Ende sagte Lidl uns, dass die geschäftlichen Beziehungen beendet worden seien", so Kocagöz. Lidl habe außerdem die Forderung der Arbeiter abgelehnt, die Beendigung der Zusammenarbeit vor der Presse anzukündigen, so Kocagöz.

Die Verantwortlichen von Lidl weisen diese Behauptung zurück. Das Unternehmen erklärte gegenüber der DW, Lidl stehe seit mehr als sechs Monaten im Dialog mit der Gewerkschaft Tarım-Sen. Weiter heißt es: "Der Behauptung, dass Lidl den Gewerkschaftsmitgliedern eine Abfindung für die Beendigung der Proteste geboten hätte, widersprechen wir entschieden. Hierbei handelt es sich um eine falsche Information. Dieses Vorgehen entspricht grundsätzlich nicht der Haltung von Lidl und wurde auch in diesem Fall nie durchgeführt. Wir haben die Interessen der Gewerkschaft gegenüber Agrobay zu jedem Zeitpunkt unterstützt und sind daher auch nach Bekanntwerden der Vorwürfe sofort tätig geworden. Wir haben uns dabei zu jedem Zeitpunkt um eine für alle Betroffenen zufriedenstellende Lösung bemüht.“

Agrobay hat vor einigen Monaten die ehemaligen Mitarbeiter verklagt, die vor dem deutschen Konsulat protestierten. Grund: sie hätten "die Handelsbeziehungen mit Deutschland beschädigt". Das Gerichtsverfahren läuft noch. Deutschland ist der wichtigste Handelspartner der Türkei und das wichtigste Zielland für türkische Exporte.

Dieser Artikel wurde um die ausführliche Stellungnahme von Lidl ergänzt sowie korrigiert. Ursprünglich hieß es, dass Agrobay einer der wichtigsten Lieferanten für Lidl sei und Lidl einen Großteil seiner Tomaten aus der Türkei von Agrobay erhält. Das ist jedoch laut Lidl falsch. Tatsächlich ist es nur ein geringer Teil. Wir bitten, den Fehler zu entschuldigen. 

DW Mitarbeiter l Burak Ünveren, DW-Journalist
Burak Ünveren Redakteur. Themenschwerpunkte: Türkische Außenpolitik, Deutsch-Türkische Beziehungen.