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Was wäre die Welt ohne Kunst?

Gaby Reucher (Interview)22. März 2016

Drei europäische Museen zeigen bedeutende Werke in einem "imaginären Museum" auf Zeit. Was aber wäre, wenn es danach gar keine Kunst mehr gäbe? Genau dieser Frage geht die Ausstellung in Frankfurt nach.

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Pressebilder Museum für Moderne Kunst Frankfurt - Das imaginäre Museum
Bild: Dora García

Über 80 bedeutende Werke aus den Sammlungen des Museums für Moderne Kunst Frankfurt (MMK), des Centre Pompidou in Paris und der Tate Liverpool sind jetzt in Frankfurt zu sehen. Die Idee der Kuratoren: Ein "imaginäres Museum" auf Zeit. Die Ausstellung zeigt Gemälde, Fotos, Objekte und Videoinstallationen aus den 1920er Jahren bis in die Gegenwart. Sie alle stehen für die Bedeutung der Kunst. Denn es könnte ja sein, dass die Kunst irgendwann einmal verschwindet. Wie Peter Gorschlüter, Kurator und stellvertretender Leiter des MMK, mit seinen Kollegen aus Paris und Liverpool auf diese Idee gekommen ist, erzählt er im DW Interview.

DW: Warum sprechen Sie von einer "imaginären Ausstellung", wenn sich drei Häuser mit realen Werken und Sammlungen zusammentun?

Peter Gorschlüter: Wenn man drei Sammlungen zusammenführt und sozusagen vom Ort löst, dann entsteht jeweils eine Art Metamuseum. Die Idee ist, das auch inhaltlich zu vertiefen. Wir wollten ein Zukunftsszenario entwerfen und den Besucher mit dieser Ausstellung auf eine Zeitreise führen. Die Zeitreise geht ins Jahr 2052, in der die Museen vor der Auslöschung stehen und die Kunst aus der Gesellschaft verschwindet. Und die einzige Möglichkeit, die Kunst zu bewahren ist, sie zu erinnern.

Das geht auf den Science-Fiction-Roman "Fahrenheit 451" von Ray Bradbury zurück, da sind es die Bücher, die verschwinden.

Fahrenheit 451 ist die Temperatur, bei der - wie behauptet wird - Papier Feuer fängt. Bradbury beschreibt ein Zukunftsszenario, in dem die Literatur aus der Gesellschaft verbannt ist und die Feuerwehr nicht mehr dazu da ist, Brände zu löschen, sondern Bücher zu verbrennen. Es gibt nur eine kleine Gruppe von Rebellen, die beginnen, diese Werke der Literatur auswendig zu lernen, um sie für zukünftige Generationen zu bewahren.

Raumaufnahme aus dem MMK 2 in Frankfurt
Acht Stationen führen durch die Bedeutung der KunstBild: VG Bild-Kunst, Bonn 2016 / Carlos Cruz-Diez, Physichromie 506, 1970, © ADAGP, Paris 2016 © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais. Foto/photo: Axel Schneider

Wir haben dieses Szenario genommen und uns die Fragen gestellt: Was wäre, wenn die Kunst tatsächlich aus der Gesellschaft verschwinden würde? Was würden wir vermissen, was würden wir verlieren? Welche Eigenschaften, welche Qualitäten, welche Potentiale hat die bildende Kunst?

Die Kunst ist auch heute bedroht

Sie haben als Grundlage einen Roman ausgewählt, der 1952, also nach dem 2. Weltkrieg entstanden ist. Haben Sie das Gefühl, dass wir heute auch an einem Punkt sind, wo Kunst in Vergessenheit geraten könnte, sei es durch politische Ereignisse oder - wie im Roman - durch die Massenmedien?

Die Entwicklung in den letzten Monaten könnte darauf hindeuten. Zunächst war es eigentlich konzipiert als ein Science-Fiction-Szenario. Die Ausstellung beginnt allerdings mit einer Fotografie des ungarischen Fotojournalisten Paul Almásy. Er hat 1942 den Louvre fotografiert, als das Museum evakuiert wurde vor dem drohenden Einmarsch der Nazis. Man hatte damals die Kunstwerke nicht komplett abgebaut, sondern sie aus den Rahmen genommen. Die Rahmen ließ man an den Wänden hängen, um dann später das Museum wieder originalgetreu einrichten zu können.

Die Bedrohung der Kunst ist auch heute nicht aus der Welt. Man braucht nur zu gucken, was zum Beispiel der sogenannte "IS" in Syrien oder Irak an Kunstwerken zerstört. Oder wenn zum Beispiel der iranische Staatspräsident nach Italien kommt, und die italienische Regierung dann ihre antiken Skulpturen in Kisten einpackt, um ihn nicht zu provozieren. Bis hin zu Wirtschaftsprüfern, die nahelegen, dass man Museen schließen soll. Wie hier in Deutschland, in Leverkusen. Das sind vielleicht Ereignisse, die nicht zusammenhängen, aber doch ein gewisses Stimmungsbild geben.

Pressebilder Museum für Moderne Kunst Frankfurt - Das imaginäre Museum
Auch der KünstlerAllan McCollum zeigt leere Rahmen als Symbol für verschwundene KunstBild: Allan McCollum Photo © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais Foto/photo: Axel Schneider

Folgen Sie in der Ausstellung denn dem Dystopie-Gedanken, dass die eigentliche Kunst auf Dauer verdrängt oder zerstört wird?

Das Szenario geht schon von dieser Dystopie aus. Man soll sich auf dieses Gedankenexperiment einlassen: Was wäre, wenn die Kunst tatsächlich verschwinden würde und wie könnte man sie in Erinnerung behalten oder personifizieren? Bei einem Buch ist das ja relativ einfach, man lernt den Text auswendig. Aber wie erinnert man eigentlich eine Skulptur, ein Bild, eine Videoinstallation, das ist natürlich viel komplexer. Es ist ein kollektives Experiment, auf das wir auch noch keine konkreten Antworten haben. Die Besucherinnen und Besucher sind dazu aufgefordert, uns bei diesem Experiment zu unterstützen.

Eine Homage an die Kunst

Sie haben sich aber im Vorfeld dieser Ausstellung ja schon Gedanken über den Wert der Kunst gemacht. Haben Sie denn für sich die Antwort gefunden, warum Kunst so wichtig ist, dass man sie bewahren sollte?

Die Ausstellung versucht, ein paar Antworten zu geben. Sie ist als Parcours durch acht Kapitel aufgebaut - und jedes Kapitel ist einer Eigenschaft der Kunst gewidmet. Zum Beispiel der Transformation des Alltäglichen. Das heißt, dass Dinge des Alltags aus unserer Realität durch andere Formen, Materialien oder Größen verändert werden und so in den Bereich unserer Vorstellung übertragen werden. Oder dass uns Kunstwerke Reisen durch Raum und Zeit vermitteln können. Dass wir nicht mehr körperlich und materiell gebunden sind an einen Ort oder eine Zeit, sondern uns in unserer Vorstellung auf Reisen begeben.

Da gibt es zum Beispiel die Videoinstallation von Dan Graham mit dem Titel "Present Continuous Past(s)". Man betritt einen Raum, der an zwei Wänden verspiegelt ist. In dem Raum befinden sich ein Überwachungsmonitor und eine Überwachungskamera, die die Besucher aufzeichnet. Das wird aber erst acht Sekunden zeitverzögert auf dem Monitor wiedergeben. So erlebt man sich selbst in seiner unmittelbaren Vergangenheit. Diese acht Kapitel beschreiben jeweils ein Potential der Kunst. Letztendlich ist die Ausstellung auch als Homage an die Kunst zu sehen und nicht als Abgesang.

Eine Frau steht in einem verspiegelten Raum
Dan Grahams Reise in die jüngste VergangenheitBild: Dan Graham © Centre Pompidou, MNAM-CCI, Dist. RMN-Grand Palais, Foto/photo: Philippe Migeat

Sie entwickeln das Szenario der verschwindenden Kunst aber auch in der Ausstellung selbst. Wie funktioniert das?

Am Ende der Ausstellung wird die Kunst tatsächlich verschwinden. Die Ausstellung wird dann noch einmal eröffnet, aber die Werke werden nicht mehr da sein. Sie werden ersetzt durch Personen, die sich an die Werke erinnern. Auf unserer Webseite können sich Besucherinnen und Besucher jeglichen Alters und jeglicher Herkunft bewerben, um ein Kunstwerk aus der Ausstellung zu personifizieren und dann an diesem Abschlusswochenende, dem 10. und 11. September, live in der Ausstellung zu verkörpern. Man wird dann durch die Ausstellung gehen und anstelle der Bilder und Objekte Menschen begegnen, die sich erinnern und einem erzählen können, was dort war.

Das Interview führte Gaby Reucher

Die Ausstellung "Das imaginäre Museum" ist vom 24. März bis zum 4. September im MMK 2 in Frankfurt zu sehen.