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Weiße Weste erwünscht

6. Januar 2003

Im Juli soll Jean-Claude Trichet neuer Präsident der Europäischen Zentralbank werden. Doch vorher muss er in einem Gerichtsverfahren seine Unschuld im Credit-Lyonnais-Skandal unter Beweis stellen.

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Ein Mann mit AmbitionenBild: AP

Von ihm ist kein Wort zu hören: Er habe das Verfahren gegen ihn wegen des Zusammenbruchs der französischen Bank Credit Lyonnais bislang nicht kommentiert. Und dabei soll es bleiben, sagt Jean-Claude Trichet. Dabei dürften die Gerüchte, Frankreich könne von seinem Kandidaten für den Vorsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) abrücken, schwer an dem prinzipientreuen Bretonen nagen.

Chef der Banque de France

Die Vorwürfe wiegen in jedem Fall schwer: Trichet ist nicht nur Frankreichs oberster Geldhüter - seit 1993 steht er an der Spitze der Pariser Notenbank Banque de France. Der Politiker und Wirtschaftswissenschaftler Trichet will zudem im Juli 2003 Wim Duisenberg beerben. Der Niederländer möchte auch gerne zu seinem 68. Geburtstag am 9. Juli sein Amt als EZB-Präsident an seinen designierten Nachfolger abgeben. Doch der Mann aus Lyon muss vorher noch ein Gerichtsverfahren durchstehen, das am Montag (6. Januar 2003) beginnt.

Die Vorwürfe gegen Trichet in der zehn Jahre alten Credit-Lyonnais-Affäre, die sich zu einem der größten Finanzskandale Frankreichs auswuchs, beziehen sich auf seine Zeit als Leiter des französischen Schatzamtes. In dieser Funktion war er für Staatsunternehmen zuständig und damit auch für Credit Lyonnais. Die Bank konnte nur mit einem geschätzten Aufwand von rund 15 Milliarden Euro aus Steuergeldern gerettet werden. Trichet soll Bilanzmanipulationen zur Verschleierung von Verlusten abgesegnet und damit Falschinformationen an die Finanzmärkte zugelassen haben.

Neue Ermittlungen

Erst im April 2000 waren Ermittlungen gegen Trichet angelaufen, nachdem ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss ihn 1994 von einer Schuld freigesprochen hatte. Seit Beginn der Untersuchungen ist Trichet, der alle Vorwürfe bestreitet, noch misstrauischer und zurückhaltender geworden. In der Fachwelt genießt er zwar hohe Anerkennung, doch in der Öffentlichkeit gilt er als Bürokrat, der lieber die Inflation bekämpft als die Arbeitslosigkeit.

Sein Verdienst, die französische Notenbank vom Einfluss der Politik befreit zu haben und stets die Stabilität der Währung, ob früher beim Franc oder jetzt beim Euro, als oberstes Gebot hochzuhalten, brachte ihm auch viele Widersacher ein. Der Musterschüler eckte mit seinen puristischen Auffassungen immer wieder an, zeigte sich als Karrierebeamter mit der typischen Ausbildung an den Elite-Hochschulen des Landes, einschließlich Ingenieurstudium sowie Volkswirtschaftsabschluss, jedoch stets loyal. Als Leiter des Schatzamtes seit 1987 diente er allein fünf Premierministern, bevor er 1993 an die Spitze der Notenbank wechselte.

Paris will zu Trichet stehen

Internationales Format gewann Trichet als Präsident des Pariser Clubs bei den Umschuldungsverhandlungen westlicher Banken mit den Staaten der Dritten Welt und des damaligen Ostblocks. Wegen seiner Begeisterung für Literatur und Oper hatte ihn das Magazin L'Express einst den "kultiviertesten Beamten Frankreichs" genannt. Aus der französischen Regierung hatte es zuletzt geheißen, Paris wolle seine EZB-Kandidatur auch im Falle eines verzögerten Gerichtsverfahrens aufrecht erhalten. Die Regierung halte auch in einem solchen Fall an dem bald 60-jährigen Trichet fest, der kraft Amtes bereits im EZB-Zentralbankrat mit über die Leitzinsen in der Euro-Zone bestimmt.

Das Verfahren soll bis Mitte Februar dauern. Ein Urteil wird noch lange vor Juli erwartet. Doch für das angestrebte Amt des EZB-Präsidenten muss Trichet nun vor allem Glaubwürdigkeit unter Beweis stellen. Europas oberster Geldhüter in Frankfurt am Main muss allgemeiner Einschätzung nach eine absolut weiße Weste aufweisen. (kap)