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Von der Konjunkturlokomotive zum Bremser

Karl Zawadzky20. Februar 2009

Wenn andere Volkswirtschaften husten, bekommt der Exportweltmeister Lungenentzündung. Deutschland ist wegen seiner hohen Abhängigkeit vom Export von der weltweiten Wirtschaftskrise stärker betroffen als andere Länder.

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In der weltweiten Wirtschaftskrise zeigt sich die Kehrseite der großen Exporterfolge. Seit dem Jahr 2003 ist Deutschland Exportweltmeister. Die deutsche Industrie hat als Konjunkturlokomotive die Wirtschaft in der Europäischen Union gezogen. Doch plötzlich sitzt die deutsche Wirtschaft im Bremserhäuschen; die Wirtschaftsleistung ist hier zu Lande stärker eingebrochen als in den anderen großen europäischen Volkswirtschaften.

DW-Experte Karl Zawadzky, Deutsches Programm, Wirtschaft (Quelle: DW)
DW-Experte Karl Zawadzky, Deutsches Programm, WirtschaftBild: DW

Im letzten Quartal des vergangenen Jahres nahm das Bruttoinlandsprodukt – die Summe aller hergestellten Güter und erbrachten Dienstleistungen – in der Europäischen Union um 1,5 Prozent ab. In Deutschland, der größten Volkswirtschaft in der EU, betrug der Rückgang 2,1 Prozent. Der Grund für die überdurchschnittlich stark ausgeprägte Konjunkturflaute liegt in der hohen Exportabhängigkeit der deutschen Wirtschaft.

Abhängig vom Export wie kein anderer

Annähernd 45 Prozent steuert der Export zum deutschen Bruttoinlandsprodukt bei; in China liegt die Exportquote deutlich unterhalb von 40 Prozent, in Japan bei 16 Prozent, in den USA bei acht Prozent. Die deutsche Exportquote ist weltweit die höchste und bedeutet: Kein anderes Land ist so sehr von der Ausfuhr abhängig. Fast jeder zweite Arbeitnehmer findet Beschäftigung und Einkommen in der Exportwirtschaft.

Wenn die Weltwirtschaft brummt, ist das wunderbar. Dann profitiert Deutschland in besonderer Weise vom globalen Boom. Denn Deutschland liefert, was die Welt braucht: Autos, Maschinen, Elektroartikel, Chemieprodukte, Arzneimittel, Airbus-Flugzeuge, Ingenieurleistungen, Luxusartikel, Nahrungs- und Genussmittel – und das immer in höchster Qualität bei pünktlicher Lieferung und bestem Service. In vielen Branchen ist Deutschland Weltmarktführer. Im vergangenen Jahr sind bei einem Bruttoinlandsprodukt von rund 2 500 Milliarden Euro 993 Milliarden Euro mit der Ausfuhr von Waren und Dienstleistungen verdient worden. Kein anderes Land hat mehr exportiert.

Die Abwärtsspirale dreht sich

Alle hatten sich schon darauf eingestellt, in diesem Jahr beim Export die magische Zahl von 1 000 Milliarden Euro zu knacken. Daraus wird nun nichts. Denn seit dem Herbst letzten Jahres läuft die Ausfuhr im Rückwärtsgang. Zum Beispiel im November ging der Export um knapp elf Prozent zurück, im Dezember um weitere fast vier Prozent. Die Abwärtsspirale dreht sich weiter; niemand weiß, wann sie zum Stillstand kommt.

Die beiden Konjunkturprogramme der Bundesregierung, mit denen die inländische Nachfrage bei den Investitionen und beim privaten Verbrauch angekurbelt werden soll, können nur einen Teil dessen ausgleichen, was durch den Rückgang der Nachfrage aus dem Ausland eingebüßt wird. Das gilt nicht nur für Deutschland, aber wegen der starken Exportabhängigkeit für Deutschland in besonderem Maße. Zum Beispiel wurden im Januar 2008 in der gesamten EU 38 000 Lastkraftwagen bestellt, im November nur noch 600. Das ist weniger, als einer der beiden deutschen Hersteller an einem Tag produzieren kann.

Bedrohlich ist der Einbruch des deutschen Exports, weil wichtige Branchen in weit überdurchschnittlichem Ausmaß davon abhängen. Zum Beispiel hat der Maschinenbau einen Exportanteil von 76 Prozent, bei Walzwerksausrüstungen, Textil- und Bergbaumaschinen sind es sogar 90 Prozent. Ähnlich verhält es sich mit der Autoindustrie. Von den 5,5 Millionen Autos, die im vergangenen Jahr in Deutschland gebaut wurden, gingen 4,1 Millionen in den Export. Die Chemieindustrie arbeitet zu 75 Prozent für die Ausfuhr, die Stahlindustrie zu 40 Prozent. Hinzu kommen indirekte Effekte. Zum Beispiel ist die Stahlproduktion regelrecht eingebrochen, weil bei der exportabhängigen Autoindustrie in vielen Betrieben die Arbeit ruht. Wenn nämlich die deutsche Autoindustrie weniger exportiert, werden weniger Bleche und wird weniger Stahl für Motorblöcke, Achsen und Getriebe benötigt. So frisst sich die Krise von einer Branche zur nächsten durch.

Deutschland ist mehr getroffen als andere

Da ein Ende der globalen Wirtschaftskrise nicht absehbar ist, wird der Welthandel im laufenden Jahr erstmals seit Jahrzehnten schrumpfen. Das bedeutet, dass sich die deutsche Exportindustrie auf einen Rückgang einstellt, wie es ihn noch nie gegeben hat. Die Autoindustrie wird davon in besonderem Maße betroffen sein, denn sie kämpft nicht nur gegen die Konjunkturkrise an, sondern sie leidet weltweit auch noch unter Überkapazitäten. Ohne Zweifel: Die deutsche Wirtschaft befindet sich noch mehr als die Weltwirtschaft insgesamt in einer äußerst schwierigen Phase. Die große Exportstärke erweist sich in dieser Situation als ein gefährlicher Schwachpunkt.

Die inländische Nachfrage, die über viele Jahre vernachlässigt worden ist, kann trotz der Konjunkturprogramme die Einbußen beim Export nicht ausgleichen. Also bleibt nichts anderes als der Versuch, mit Kurzarbeit und Weiterbildung der Arbeitnehmer eine Brücke zum nächsten Aufschwung zu bauen, mit öffentlichen Ausgaben die Infrastruktur und das Bildungswesen zu verbessern, also die Zeit der Rezession für eine Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Wenn dann wieder richtig Geld verdient wird, sollten die Arbeitnehmer und Sozialleistungsempfänger stärker vom Aufschwung profitieren, damit die extreme Exportabhängigkeit durch eine höhere inländische Nachfrage verringert wird. Deutschland würde resistenter gegen die Schwankungen des Weltmarktes.