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Versammlungsrecht gefährdet?

Wolfgang Dick9. Februar 2015

Zum zweiten Mal innerhalb weniger Wochen ist eine Demonstration in Sachsen verboten worden. Wird das besonders geschützte Grundrecht der Versammlungsfreiheit aufgeweicht?

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Demonstranten protestieren in Leipzig (Foto: REUTERS/Hannibal Hanschke)
Bild: Reuters/H. Hanschke

Anhänger des Pegida-Ablegers in Leipzig wollten an diesem Montag wieder gegen die vermeintliche Islamisierung des Abendlandes demonstrieren. Diese Kundgebung wurde untersagt. Die Stadt Leipzig begründete ihr Verbot damit, dass nicht genügend Polizeikräfte zur Verfügung stehen würden, um die Pegida-Anhänger und ihre Gegner zu schützen und Gewalt zu verhindern. Ein Mangel an Polizeikräften verhindert die Ausübung eines Grundrechts? Einen Vorwand vermuten die Demonstranten. Von einer "Kapitulation des Rechtsstaates" spricht der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt.

Tatsache ist: Die Pegida-Bewegung bringt viele Politiker des Bundeslandes Sachsen seit Wochen in Verlegenheit. Sie müssen erklären, warum vor allem die sächsischen Städte Leipzig und Dresden wirken, als wären sie der Hort einiger ausländerfeindlicher Radikaler. Den Makel dieser Demonstranten wäre man gerne los. Ein Verbot könnte helfen. Der Verweis auf fehlende Polizeikräfte könnte noch wochenlang das geschützte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit aushebeln, denn Demonstrationen dürfen dann verboten werden, wenn die Polizei die Sicherheit und Ordnung während einer Demonstration nicht gewährleisten kann.

Verschwörungstheorien sind nicht haltbar

Doch Verschwörungstheorien und der Verdacht auf Aushöhlung des Demonstrationsrechts in Deutschland erweisen sich bei näherem Hinsehen als haltlos. "Eine Aushöhlung des Demonstrationsrechts in Deutschland sehe ich absolut nicht", bestätigt zum Beispiel Daniel Schily vom Verein "Mehr Demokratie!" und der ehemalige Verfassungsrichter Hans-Jürgen Papier erklärt: "Ein Versammlungsverbot ist nur ausnahmsweise zulässig". Solche Ausnahmen müssten stets sehr gut begründet werden und seien nicht beliebig oft anwendbar.

Der frühere Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier (Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa)
Hans-Jürgen Papier sieht die Versammlungsfreiheit nicht in GefahrBild: picture-alliance/dpa

Im Zuge von Polizeireformen sind tatsächlich tausende Stellen bei der Polizei abgebaut worden. Aber in der Vergangenheit gelang es der Polizei in Sachsen stets, sich Unterstützung zu holen. Sie forderte einfach ausreichend Bereitschaftspolizisten aus anderen Bundesländern an. Das hat bisher funktioniert. Nur für diesen Montag sind zur gleichen Zeit in Sachsen wie im übrigen Bundesgebiet so viele Demonstrationen angemeldet, dass es zu einem Engpass kam. Statt 31 der angeforderten Hundertschaften standen nur noch acht zur Verfügung.

2000 Polizisten waren nicht genug

Leipzigs Oberbürgermeister Jung verweist jetzt auf die Risikoabschätzung der Polizei. Diese besagt, dass die angemeldete Demonstration nicht mit nur 800 Polizisten abgesichert werden könne. Bei der letzten Pegida-Demo in Leipzig waren über 2000 Polizisten im Einsatz. Es hätte sich gezeigt, dass selbst diese Anzahl nicht ausgereicht hätte, um Ausschreitungen zwischen Pegida-Anhängern und Gegendemonstranten zu verhindern, argumentiert Leipzigs Oberbürgermeister Burkhard Jung. Die Ablehnung der Demonstration stelle also keine Willkür dar.

Jede angemeldete Demonstration in Deutschland muss stets von der örtlichen Versammlungsbehörde geprüft werden. Dabei zählt als Zulassungs-Kriterium nicht, ob die Demonstration politisch in die Landschaft passt, sondern lediglich, ob sie keine verfassungsfeindlichen Aktionen beinhaltet. Öffentlich vorgetragene Meinungen - selbst wenn sie sehr seltsam erscheinen mögen - sind von der Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Verfassung gedeckt.

Polizisten durchsuchen einen am Boden liegenden Teilnehmer einer Kundgebung gegen die islamkritische Bewegung (Foto: Sebastian Willnow/dpa)
Die Polizei soll Demonstrationen und deren Teilnehmer schützenBild: picture-alliance/dpa/S. Willnow

Klage vor Verwaltungsgericht steht Demonstranten frei

Daher fürchten Beobachter der Entwicklung bei den Parteien in Sachsen, dass es bei einem wiederholten Demoverbot zu einer Klage vor dem zuständigen Verwaltungsgericht kommen wird. Denn diese Klagemöglichkeit gegen ein Versammlungsverbot steht jedem abgelehnten Demonstrationswilligen in Deutschland zu. Die Realität zeigt: Etliche Verwaltungsgerichte haben Demonstrationen schließlich doch noch erlaubt. Noch im Herbst 2014 gestattete das Verwaltungsgericht Hannover eine Hooligan-Demo, obwohl sie zuvor von der Versammlungsbehörde untersagt worden war. Solange diese Klagemöglichkeiten bestehen, sehen Verfassungsrechtler keine Aushöhlung der Versammlungsfreiheit.

Zudem gilt die nunmehr gehäufte Ablehnung von Demonstrationen in Sachsen als besondere Landesangelegenheit, die sich nicht einfach auf andere Bundesländer übertragen lässt. "In Sachsen scheinen Polizei, Innenministerium und Politiker ihre Interessenskämpfe auszutragen", vermutet Daniel Schily vom Verein "Mehr Demokratie". Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich bereits im Januar deutlich eingeschaltet. Sie will das Recht auf Versammlungsfreiheit schützen. Notfalls - so die Kanzlerin - sollten mehr Bundespolizisten bereitgestellt werden, um Demonstrationen zu ermöglichen.