US-Zinswende trifft die Verbraucher
1. Juli 2004Die amerikanische Notenbank Federal Reserve hob am Mittwoch (30.6.04) zum ersten Mal seit vier Jahren die Zinsen an. Der Zinssatz für Tagesgeld stieg um 25 Basispunkte auf 1,25 Prozent - und das ist erst der Anfang der steigenden Zinskurve, meinen Volkswirte. Sie sind sich einig, dass die Zeiten des billigen Geldes für die nächsten Jahre vorbei sind.
Für die amerikanischen Verbraucher, viele von ihnen hochverschuldet, sind diese Aussichten beunruhigend. Denn jede Umdrehung an der Zinsschraube macht die Abzahlung des Eigenheims und Ratenzahlungen für geleaste Autos teurer. Allein den Kreditkartengesellschaften schuldet der amerikanische Durchschnittshaushalt 12.000 Dollar - und genau hier, beim Plastikgeld, dürften sich die unangenehmen Folgen der steigenden Zinsen am schnellsten zeigen. Millionen von säumigen Schuldnern in den USA kennen bereits die ständigen Telefonanrufe professioneller Schulden-Eintreiber. Sie drohen den Schuldnern mit einer Klage, falls diese ihren Zahlungsverpflichtungen nicht nachkommen.
Gefürchtete Anrufe
Bei Anne Dillon zum Beispiel klingelte das Telefon zeitweise mehrmals am Tag: Das Familienhaus der Reiseagentin in einem Vorort San Diegos wollte abbezahlt werden, das Auto auch. Und das überzogene Budget der Kreditkarten. Von 50.000 Dollar Jahreseinkommen nach Steuern blieb nichts übrig, stattdessen stapelten sich unbezahlte Rechnungen. "Wir haben uns immer neue Kreditkarten besorgt, um weiter einkaufen zu können", sagt sie. "Ich habe mir eingeredet, dass wir die neuen Karten nur noch für Lebensmittel einsetzen würden - stattdessen aber kam eine Rechnung nach der anderen."
Irgendwann sammelten sich 18 Kreditkarten im Haushalt der Dillons. Gleichzeitig wuchs der Schuldenberg auf mehr als 57.000 Dollar und der Familie über den Kopf: Den Dillons blieb, wie immer mehr Amerikanern, nur der Offenbarungseid. Jeder 73. Haushalt musste im vergangenen Jahr Privatkonkurs anmelden.
Tabus fallen
Finanzberater werben längst ganz ungeniert mit dem einstigen Tabuthema "Schulden" um die wachsende Kundschaft. Schwindelerregende neun Billionen Dollar Schulden haben die Privathaushalte angehäuft, der größte Teil davon Hypotheken und damit zusammenhängende Großkredite. 12.000 Dollar durchschnittlich schuldet jeder Amerikaner allein den Kreditkarten-Firmen. Klettert der Leitzins, trifft es zuerst die Plastikgeld-Benutzer, schließlich geben die Banken die höheren Zinsen ohne lang zu fackeln an die Kundschaft weiter, und die muss für den Schuldendienst tiefer in die Tasche greifen.
Der Finanzexperte Curtis Arnold befürchtet ein böses Erwachen, denn die seiner Ansicht nach sorglosen Verbraucher glauben, Kreditkarten mit festgeschriebenem Zinssatz zu benutzen: "Der so genannte feste Zinssatz bedeutet schlicht, dass das Zinsniveau weniger häufig als bei anderen Karten variiert. Tatsächlich gibt es keine Kreditkarte mit festem Zinssatz in ganz Amerika, im Kleingedrucktem wird immer auf die Möglichkeit steigender Zinsen verwiesen."
Untere Einkommensklassen stark betroffen
Experten wie Arnold beziffern die unmittelbaren Zusatz-Kosten des steigenden Leitzinses für die Verbraucher durch höhere Raten bei Kreditkarten und Leasingverträgen auf stolze viereinhalb Milliarden Dollar. Dazu kommen wachsende Hypothekenschulden der Hausbesitzer. Volkswirt Mark Zandi von Economy.com spricht in Anspielung auf die Rekordpreise bei Heizöl und Benzin von einem "zweiten Ölschock" für die US-Konjunktur: "Der derzeitige Aufschwung wird sich davon nicht aufhalten lassen, aber das Wirtschaftswachstum ist nicht so stark wie es eigentlich sein sollte. In der nächsten Abschwungphase allerdings werden die Privatschulden ein wirkliches Problem - und mitverantwortlich für den Abschwung sein."
Die steigenden Zinsen, sagt Zandi, dürften vor allem Verbrauchern in den unteren Einkommensklassen die Luft abdrehen. Die bringen bereits heute zwischen einem Drittel und der Hälfte ihres Einkommens für den Schuldendienst auf - Tendenz steigend.