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Politik

Wir machen weiter mit Europa

Barbara Wesel
29. September 2017

Die EU-Regierungschefs wollen die Basis für eine digitale Zukunft in Europa legen. Gleichzeitig sollen die Reformvorschläge des französischen Präsidenten weiterentwickelt werden. Angela Merkel zeigt sich entspannt.

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EU-Gipfel in Estland, Tallinn | Digital Summit | Angela Merkel
Bild: Getty Images/AFP/I. Znotins

Kein Politiker wurde in Tallinn so intensiv beobachtet wie Angela Merkel. Würde sie nach ihrem schlechten Wahlergebnis angeschlagen wirken, würden über ihrem Haupt schon die Geier kreisen? Aber die Bundeskanzlerin wirkte präsent und entspannt wie immer. Man wolle die von Präsident Macron vorgeschlagenen Reformen jetzt diskutieren, eine Mehrheit in der EU sei dazu bereit. Und mehr noch: "Wir wollen dafür konzentrierter und intensiver zusammen arbeiten als früher". Das heißt, Merkel und andere wollen bei bestimmten Themen hier mehr Tempo sehen - keine  defensive Reaktion der Kanzlerin. Man müsse die Pause ohne große Krisen nutzen, um Europa voran zu bringen.

Estland Tallinn EU-Gipfel Digital Summit 29.09.2017
Emmanuel Macron im Kollegenkreis: Da geht's langBild: picture-alliance/dpa/Belga/B. Doppagne

Innerhalb von zwei Wochen soll Ratspräsident Donald Tusk einen Fahrplan vorlegen, in welchen Schritten man das Bündel von Vorschlägen bearbeiten kann, die Macron Anfang der Woche seinen EU-Kollegen präsentiert hatte. Und dieser Termin war bewusst schon zwei Tage nach der Bundestagswahl angesetzt worden, um noch vor den Koalitionsverhandlungen in Berlin Pflöcke einzuschlagen. Tusk sprach spöttisch vom Euro-Vision-Contest. Aber er wird jetzt schnell ausarbeiten müssen, wie die Visionen umgesetzt werden könnten.

Die Bundeskanzlerin wiederum lobt die Initiative des französischen Präsidenten: Besonders die Migration sei für viele EU-Partner weiter ein wichtiges Thema; Frankreich wolle sich da an den Lasten beteiligen, das sei sehr willkommen. Und was heiklere Fragen wie die Reform der Eurozone angeht, darüber müsse man länger diskutieren und andere EU-Länder mitnehmen, sagt Angela Merkel. Abgesehen davon will sie das Thema auch in die Koalitionsgespräche einbringen. Die Kanzlerin weiß, dass aus dieser europäischen Debatte Konflikte zu Hause erst später entstehen werden. 

Macron will die digitale Revolution für Europa

Der französische Präsident selbst hielt sich mit weiteren Kommentaren zur Aufnahme seiner Reformvorschläge bei den Kollegen in Tallinn zurück. Er widmete sich nach diesem Gipfeltreffen zum Thema "digitaler Rückstand in Europa" vor allem den Plänen, die EU hier voran zu treiben. Um solche Vorhaben zu finanzieren, verwies Macron erneut auf die Idee einer Steuer für digitale Dienste, wie sie von den vier großen EU-Ländern in Tallinn eingebracht wurde. Aber das ist nicht unstrittig: Irland, das seine Wirtschaftserfolge aus seiner Position als Niedrig-Steuerland bezieht, hat bereits heftig protestiert.

Facebook Europa Zentrale Dublin Irland
Facebook-Europazentrale in Dublin: Irland will nicht auf Steuereinnahmen verzichtenBild: picture-alliance/dpa

Emmanuel Macron aber entwickelt beim Digital-Thema Leidenschaft: "Wir brauchen (dafür) einen ambitionierten Fahrplan in Europa". Die Bundeskanzlerin hat in ihm jetzt wieder einen Partner in der EU, der deutsch-französische Motor in der EU ist wieder angesprungen. Daraus werden für Merkel Konflikte entstehen, aber noch größer dürfte die Erleichterung sein, dass sie in der Rolle als "Führerin der freien Welt", die sie nie gewollt hat, jetzt nicht mehr alleine ist. 

Ein Blick in die Zukunft

"Wir sind in der digitalen Entwicklung nicht Weltspitze", sagt die Bundeskanzler nüchtern nach dem Treffen, das von den estnischen Gastgebern mit viel Engagement vorbereitet worden war. Sie sind die digitalen Musterknaben in Europa, weit vorn bei der digitalisierten Verwaltung, bei der Förderung von Startup-Unternehmen und beim notwendigen Mentalitätswandel in der Bevölkerung. Angela Merkel bestätigt dem Thema höchste Dringlichkeit, "wir müssen schnell den digitalen Binnenmarkt " umsetzen.

Estland - Digital Gipfel in Talinn
Enigma: Ansprechpartner für autistische KinderBild: DW/B. Wesel

Ein Blick in die Ausstellungsräume der Industrie zeigt, wie stürmisch die Entwicklungen voran gehen. Gezeigt werden das gänzlich fahrerlose Auto von Audi, für die Fabriken der Zukunft präzisere und schnellere Steuerungstechnologie von Nokia und Bosch und eine Kooperation des finnischen Telekom-Konzerns Telia mit Ericsson, um etwa unter Tage arbeitende Bergbaugeräte von der Oberfläche aus steuern können. All diesen Projekten liegt der 5G-Standard zu Grunde, dessen Einführung in Europa erst für 2019 geplant ist.

Dass die Nutzung von Robotern nicht nur "Vernichtung von Arbeitskräften" bedeutet, zeigt das pan-europäische Enigma- Projekt, das einen mit künstlicher Intelligenz ausgerüsteten kleinen Roboter zur Therapie für stark autistische Kinder einsetzt. Sie finden es leichter, mit dem in seinen Reaktionen berechenbaren Roboter zu interagieren, als mit realen Menschen. Eine Art wie sie lernen können, Emotionen zu deuten und zu verstehen.

Und schließlich der Brexit

An Enigma sind übrigens auch zwei britische Universitäten beteiligt. Wie und ob sie an solchen Projekten nach dem Brexit noch mitarbeiten werden, müssen die Verhandlungen noch ergeben. Angela Merkel zeigte sich in Tallinn nach einen Zweiergespräch mit der britischen Premierministerin konziliant. Mays Rede in Florenz sei konstruktiv gewesen. Trotzdem blieben noch offene Fragen, und die Regierungschefs würden dem Votum von Verhandlungsführer Michel Barnier folgen.

Der aber hatte am Donnerstag nach der letzten Gesprächsrunde den Daumen schon quasi gesenkt. Das Europaparlament wird in der kommenden Woche feststellen, dass die Fortschritte nicht ausreichen, um zu Phase II der Gespräche überzugehen. Und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker sprach von einem "Wunder", das nötig wäre, um noch beim Oktobergipfel die nächste Phase zu beschließen. Und was die von den Briten gewünschte Übergangsphase angeht, so würde man in Berlin gern wissen, wohin die eigentlich führen soll. Aber das weiß die Regierung in London selbst noch nicht genau.