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Herlinde Koelbl sucht die Nähe

Gero Schließ
10. März 2017

Das Spiel ist ein weltweiter Klassiker: "Stille Post“. Es geht um: Hören und Verstehen. In ihrer Ausstellung in Berlin wolle sie zeigen, wie nah sich Menschen dabei kommen, erzählt die Fotografin im DW-Interview.

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Ein Mann flüstert einem Mädchen etwas ins Ohr. Die Fotografin Herlinde Koelbl hat den intimen Moment mit der Kamera festgehalten. Foto: H. Koebl
Bild: H. Koebl

Hören, verstehen, weitersagen – so funktioniert das beliebte Kinderspiel "Stille Post". Nicht anders die Kommunikation von Mensch zu Mensch - zwischen Alt und Jung, Schwarz und Weiß, Mann und Frau. Für ihr Fotoprojekt "Stille Post. Hören und Verstehen" hat die Münchener Fotografin Herlinde Koelbl die intimen Momente des Flüsterns und Lauschens mit der Kamera festgehalten. Zu sehen sind ihre Bilder im Berliner Museum für Kommunikation.

Die Fotografin brachte 28 ungleiche Paare im Studio zusammen: Frauen, Männer und Kinder aus 16 Nationen, fünf verschiedenen Kontinenten und jeden Alters, darunter auch Prominente wie etwa die Schauspielerin Sunnyi Melles, der Barbesitzer Charles Schumann oder die Moderatorin Amelie Fried. Sie alle flüstern einander Botschaften zu. Dabei versteht jeder etwas anderes. Jeder entscheidet für sich, wie er das Gehörte interpretiert und weitergibt. Und wie er oder sie reagiert - mit Gespanntheit, ernster Miene oder befreitem Lachen.

Wenn die Mücke zum Elefanten wird

Bei den Besuchern weckt der Spiele-Klassiker "Stille Post" Erinnerungen an die eigene Kindheit. Eine ausgedachte Botschaft wird von Mund zu Ohr flüsternd weitergegeben und am Ende laut ausgesprochen. Informationsfetzen bleiben dabei auf der Strecke. Worte und ihr Sinn wandeln sich. Am Ende bleibt oft nur Heiterkeit. Das Spiel zeigt, wozu Kommunikation bisweilen führt: Missverständnisse und Gerüchte entstehen. "Aus einer Mücke wird", wie ein deutsches Sprichwort sagt, auch schon mal "ein Elefant". 

Frage: Frau Koelbl, Sie haben Menschen beim Flüstern und Horchen fotografiert. Da geht es sehr vertraulich zu. Worum geht es Ihnen?

Herlinde Koelbl: Es sind 28 Menschen aus 16 Nationen beteiligt: Deutsche, Asylsuchende, Menschen aus Irland, Australien, Mauritius, Togo und vielen anderen Ländern. Auch einer aus Bayern (lacht). Es ging mir um Kommunikation. Es ging darum, zu zeigen, wie Nähe entsteht. Und wie kann man Nähe zulassen und was entsteht dann daraus? Es gibt in Deutschland ja das Sprichwort: Dem anderen sein Ohr schenken. Das heißt, wir erlauben dem anderen, uns sehr nahe zu kommen. Wir schenken dem anderen etwas, aber der andere schenkt uns auch etwas. Weil er uns etwas erzählt und gibt. Dadurch entsteht etwas Neues.

Stille Post hat etwas Verbindendes

Ein Mann flüstert einer lachenden Frau etwas ins Ohr. Foto: Herlinde Koelbl
Stille Post macht SpaßBild: Herlinde Koelbl

Wollten Sie mir Ihrer Kamera auch herausfinden, was sich die fotografierten Menschen erzählten?

Was die Menschen einander erzählen, bleibt ihr Geheimnis. Ich habe auch gesagt, ich will das gar nicht wissen. Und dadurch, dass es ihr Geheimnis ist, bleibt es etwas Besonderes, etwas Verbindendes. Etwas, was nur zwischen den beiden ist.

Menschen aus 16 Nationen wirkten mit. Warum haben Sie ihr Fotoprojekt so breit, so interkulturell aufgestellt?

Ich wollte ganz bewusst zeigen, wie nah wir uns alle sind. Andererseits fragen wir aber auch: Wer ist uns fremd, was ist uns fremd? Ist ein Fremder ein Ossi oder Wessi, ist ein Fremder aus einer anderen sozialen Schicht? In meinen Fotografien kann man oft nicht sehen, wer der Fremde ist. Aber so soll es auch sein. Es geht darum, sich auf den Menschen selber einzulassen und nicht in Abwehrstellung zu gehen und zu sagen: Er ist der Fremde.

Was hat Sie an der Situation der Stillen Post, an diesem Flüstern und Lauschen, besonders interessiert? Warum haben Sie diese Konstellation gewählt?

Als Kind habe ich oft Stille Post gespielt und war neugierig, was am Ende entstand. Hier war ich auch neugierig, aber nicht auf die Worte, sondern darauf, was aus einer Beziehung entsteht. Und ich fand es deswegen so treffend, weil wir in dieser Konstellation einander ganz nah kommen müssen. Das Ohr ist ja ein empfindliches, intimes Organ. Wir müssen den Fremden nah an uns ranlassen. Von beiden Seiten braucht es eine Überwindung.

Inwieweit schöpfen Sie da aus eigenen Erfahrungen?

Amelie Fried flüstert einem Mann etwas ins Ohr. Foto: H. Koebl
Amelie Fried flüstertBild: H. Koebl

Ich erlebe oft, wie es ist, wenn wir uns verloren fühlen, die Sprache eines Landes nicht sprechen, nicht zurecht kommen: Wie werden wir dann behandelt, wenn wir der Fremde sind? Wir empfinden es als wohltuend, wenn Menschen uns helfen und freundlich behandeln. Das ist immer ein Miteinander. Und das war mir wichtig. Deswegen auch diese vielen Nationen.

Auf einem der Bilder sehe ich eine junge Inderin, die ein bisschen distanzierter wirkt als andere. Haben Ihre Protagonisten unterschiedlich auf die Nähe reagiert, die Sie im Studio ja arrangiert haben?

Bei manchen hat das "Nähe zulassen" länger gedauert als bei anderen. Da muss man Geduld haben. Und natürlich gibt es in den verschiedenen Kulturen Unterschiede. Die junge Inderin ist wahrscheinlich etwas vorsichtiger. Ihr Ausdruck im Gesicht ist nicht skeptisch, aber einfach wach. Während andere das Flüstern sehr genießen und sogar laut lachen.

Das Thema Zusammenkommen über Kulturen und Grenzen hinweg scheint Sie sehr zu anzutreiben. Sie haben im Auswärtigen Amtzusätzlich eine Ausstellung über die Situation der Flüchtlinge. Was macht Sie da so unruhig und künstlerisch produktiv?

Mein erstes Buch war "Das deutsche Wohnzimmer", wo ich Menschen aus allen sozialen Schichten in Wohnzimmern dargestellt habe. Auch da ging es mir schon um Beziehungen. Auch um Lebensraum und Lebenssituationen. Wie lebt der Mensch, was ist sein Leben, was ist sein Sein? Hier ist es nicht anderes.

Positiver Blick auf Deutschland

Flüstern mit der Fotografin: Herlinde Koelbl bei der Pressekonferenz im Berliner Museum für Kommunikation. (c) DW/G. Schließ
Flüstern mit der Fotografin: Herlinde Koelbl bei der Pressekonferenz im Berliner Museum für Kommunikation.Bild: DW/G. Schließ

In der Ausstellung im Auswärtigen Amt zeigen Sie ziemlich krass die Lager-Realität der Flüchtlinge. Hier in dieser Ausstellung sehen wir nur gelungene Beispiele für Annäherung. Ist das nicht ein geschönter, politisch korrekter Blick auf die Wirklichkeit in Deutschland?

Nein, das ist kein geschönter Blick. Das ist ein positiver Blick - dass etwas möglich ist, von dem viele vielleicht gar nicht denken, dass es geht. Das ist ein Vorbild und zeigt: Wenn wir den Menschen als Menschen sehen, und nicht als Masse, kann etwas Positives entstehen.

Herlinde Koelbl arbeitet seit mehr als 40 Jahren als Fotografin und Dokumentarfilmerin. Ihr größtes und bekanntestes Langzeitprojekt ist "Spuren der Macht", in dem sie unter anderem die Politiker Gerhard Schröder und Angela Merkel porträtierte. Mit der Fotografin sprach Gero Schließ.

Die Ausstellung "Stille Post. Hören und Verstehen" ist noch bis zum 11. Juni 2017 im Museum für Kommunikation in Berlin zu sehen.