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Der heimliche Atomausstieg

8. Oktober 2011

Mehr als ein halbes Jahr nach der Katastrophe im japanischen Fukushima ist Europa gespalten, wie es mit der Kernkraft umgehen soll. Doch unter der Oberfläche kristallisiert sich ein neuer Konsens heraus.

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Luftaufnahme vom explodierten Atomkraftwerk in Fukushima (Foto: AP)
Das explodierte Atomkraftwerk in FukushimaBild: dapd

Als die schwarz-gelbe Bundesregierung als Konsequenz aus der Fukushima-Katastrophe den Atomausstieg beschloss, fühlten sich auch die Grünen im Europaparlament bestätigt. Ihre Fraktionsvorsitzende Rebecca Harms nannte die Atomkraft "eine Hochrisikotechnologie, die überflüssig gemacht werden muss und überflüssig gemacht werden kann." Doch der CDU-Europaabgeordnete Herbert Reul steht der Energiewende seiner Berliner Parteifreunde nach wie vor "außerordentlich kritisch gegenüber." Er sei "zu schnell und überstürzt" gewesen, und man habe die Auswirkungen in puncto Preise, Versorgungssicherheit und Netzausbau zu wenig bedacht, sagt Reul, der Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie ist.

Paris sieht keinen Grund für eine Wende

Reul vor Europaflagge (Foto: Reul)
Europapolitiker Reul: deutscher Atomausstieg war "überstürzt"Bild: Büro Herbert Reul MdEP

Doch während der Ausstieg für Deutschland gar nicht schnell genug gehen kann, hält zum Beispiel Frankreich an der Atomkraft fest, jedenfalls auf Regierungsebene. Was Energieminister Eric Besson im März in Brüssel sagte, gilt für Paris bis heute. "Wir sind bei der Kernkraft an der Spitze des Fortschritts. Wir sind bei der Transparenz an der Spitze, und wir sind und bleiben an der Spitze bei nuklearer Sicherheit."

Kernkraft als Klimafaktor

Die Kernkraftbefürworter in Europa bekommen auch indirekte Schützenhilfe von EU-Klimaschutzkommissarin Connie Hedegaard. Sie befürchtet, dass Atomkraftwerke durch Kohlekraftwerke ersetzt werden. Für das Klima wäre damit nichts gewonnen, im Gegenteil. Ein offenes Plädoyer für die Kernkraft muss sich die Kommission zwar verkneifen, weil das Sache der Einzelstaaten ist. Aber von einem schnellen Ausstieg hält Hedegaard jedenfalls nichts. "Wir können es drehen und wenden, wie wir wollen, wir haben 143 Kernkraftwerke in Europa. Egal, was wir machen, die Kernkraft wird uns noch eine ganze Weile erhalten bleiben, und worauf es ankommt, ist, die Sicherheitsfragen zu klären."

Bock zum Gärtner gemacht?

Oettinger gestikuliert vor vielsprachigem Schriftzug der Kommission (Foto: AP/dapd)
EU-Kommissar Oettinger: letztlich wenig EingriffsrechteBild: dapd

Worauf sich die gesamte EU schließlich einigen konnte, waren europaweite Stresstests für Atomkraftwerke. Die werden gerade durchgeführt. Die Grünen befürchten, die Tests seien wenig aussagekräftig, weil es die Kernkraftstaaten und die Betreiber selbst sind, die die Prüfungen durchführen. Doch der CDU-Europaabgeordnete Reul sieht das anders. Alle Beteiligten, ob Mitgliedsstaaten oder Unternehmen, müssten ein Interesse an einer ordnungsgemäßen Durchführung haben. Sonst "wird es ja für diejenigen, die Kernkraft betreiben wollen, ein Bumerang werden."

Zahnlose Kommission

Eines muss allerdings auch die Kommission einräumen. Da die Einzelstaaten selbst entscheiden können, welche Energieträger sie nutzen, hat die Kommission auch kaum eine Handhabe gegen unsichere Kraftwerke. Marlene Holzner, Sprecherin von Energiekommissar Oettinger, gibt zu: "Rechtlich können wir den Bau eines Kernkraftwerks nicht stoppen, selbst wenn wir es für unsicher halten." Der Bau würde aber wohl in diesem Fall trotzdem scheitern, aber an fehlender Finanzierung, glaubt Holzner.

Die stille Revolution

Karte mit möglichen Solar- und Windkraftwerken in Nordafrika und Transportwegen nach Europa (DW-Grafik)
Desertec-Projekt: Energiesicherung und politische Stabilisierung Nordafrikas

Doch die Folgen von Fukushima in Europa gehen weit über die Frage der Sicherheit von Kernkraftwerken hinaus. Oft wenig beachtet, hat in der Bevölkerung ein Umdenken weg von der Kernkraft eingesetzt. In Frankreich etwa ist eine Mehrheit inzwischen für den Ausstieg. Energiekommissar Oettinger treibt außerdem den Bau europäischer Netze voran. Und das hat viel mit erneuerbaren Energien zu tun. Windenergie aus dem Norden in den Süden, Sonnenenergie aus dem Süden in den Norden, das ist die Idee.

Hoffnungen auf Wüstenstrom

Das alles fällt nun zusammen mit den politischen Umwälzungen in Nordafrika. Mit Sonnenenergie aus der Sahara, dem sogenannten Desertec-Projekt, will die EU mehrere Ziele gleichzeitig erreichen: Nordafrika zu stabilisieren, einen Beitrag zur Energiesicherung Europas zu leisten und das Klima zu schützen. Der Niederländer Paul van Son ist Chef von Desertec. "Es gibt langfristig keine anderen Optionen für die Bevölkerung dort und teilweise auch für Europa. So viele langfristige Optionen für Energie haben wir nicht." Das Desertec-Projekt gab es auch schon vor Fukushima, die europäischen Netzausbaupläne ebenfalls. Doch durch den japanischen Atomunfall haben die Alternativen zur Kernkraft in Europa einen deutlichen neuen Schub erhalten.

Autor: Christoph Hasselbach

Redaktion: Gero Rueter