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Politik

Verändert der Islam Deutschland?

Nina Haase | Sumi Somaskanda
7. Juli 2017

Rund vier Millionen Muslime leben in Deutschland - Tendenz steigend. Wie verändert der Islam das Land? Nina Haase und Sumi Somaskanda haben im Rheinland mit liberalen und konservativen Muslimen gesprochen.

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DW Sommerreise Nina Haase Teil 4 in Köln
Bild: DW/N. Haase & S. Somaskanda

Uns war von Anfang an klar, dass die Debatte um den Islam eins der schwierigsten Themen dieser Sommereise werden würde. Schon bevor wir Köln erreichen, erleben wir intensive Diskussionen rund um den Islam - und um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehört. Ob in der betreffenden Region die Zahl der Muslime hoch ist oder nicht, spielt dabei keine Rolle. Religion des Friedens und der Toleranz, oder eine Ideologie, in deren Namen Gewalt und Hass verbreitet werden – die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Frauen mit Kopftuch auf deutschen Straßen sind für einige Deutsche personifizierter Ausdruck der hier gelebten Religionsfreiheit. Für andere wiederum ist das Kopftuch Symbol der Unterdrückung.

Etwa vier Millionen Muslime leben in Deutschland - davon rund 1,4 Millionen im Bundesland Nordrhein-Westfalen. Sie vertreten ein breites Spektrum des Islam. In Köln, der größten Stadt von NRW, hat die neue Zentralmoschee der Ditib-Gemeinde erst vor wenigen Wochen ihre Tore geöffnet. Das gigantische Gebäude aus Glas und Sandstein, das mehr als tausend Betenden Raum bietet, ist im ottomanisch-türkischen Stil gebaut - und höchst beeindruckend mit seinem 55 Meter hohen Minarett.

Einfluss des türkischen Präsidenten?

DW Sommerreise Nina Haase Teil 4 in Köln
Zentralmoschee der Ditib-GemeindeBild: DW/N. Haase & S. Somaskanda

Die Bauzeit betrug fast zehn Jahre - vor allem wegen der Proteste. Bei Vertretern der christlichen Kirchen sträubten sich die Haare im Nacken angesichts der Vorstellung, Kölns berühmter Dom müsste sich die Skyline der Stadt mit Minaretten teilen. Türkische Religionsführer wetterten gegen die Sandfarbe. Und: Je mehr sich das politische Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und der Türkei verschlechterte, desto lauter wurde die Kritik am Verband hinter der Moschee - Ditib. Ditib, die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V., ist ein in Deutschland tätiges Organ des türkischen Staates - für Kritiker der verlängerte Arm des türkischen Präsidenten Erdogan.

Wer also nach dem Islam in Deutschland fragt, der ist schnell bei den deutsch-türkischen Beziehungen insgesamt. Ditib nimmt für sich in Anspruch, 70 Prozent der hier lebenden Muslime zu vertreten. Das ändert sich aber gerade- nicht zuletzt wegen der vielen Flüchtlinge aus muslimischen Ländern. Und so erleben auch wir diese Woche die Bandbreite des in Deutschland gelebten Islams. 

Vorurteile auf allen Seiten

Youssef El Ouadoudi ist Statistikprofessor und -berater in Köln. Er kam vor 18 Jahren aus Marokko nach Deutschland. Er sei "kulturell" Muslim, lebe aber die Religion nicht, sagt er. El Ouadoudi und seine deutsche Frau Katharina haben einen gemeinsamen Sohn. Er beobachtet, wie die öffentliche und die politische Debatte rund um den Islam zunehmend giftiger wird - und geprägt von Vorurteilen auf allen Seiten.

DW Sommerreise Nina Haase Teil 4 in Köln
Youssef El Ouadoudi mit seiner FamilieBild: DW/N. Haase & S. Somaskanda

"Das Problem mit Religion ist, dass jede Religion glaubt, die einzig richtige zu sein", sagt er. "Außerdem bringen die Menschen die Religion mit anderen Dingen in Verbindung. Zum Beispiel denken viele, dass alle schwarzhaarigen Männer automatisch Muslime sind. Wenn ich dann die Muslime als Feindbild habe, dann wird auch der Schwarzhaarige zum Feindbild - unabhängig davon, ob man ihn kennt oder nicht." Das wirke sich dann auf das Zusammenleben aus - ganz unabhängig von der Religion.

Muslimische Gemeinde gespalten

El Ouadoudi lebt in Köln-Kalk. Das Viertel ist geprägt von marokkanischen Geschäften, Cafés, Moscheen. Hier sei der Islam ziemlich konservativ, sagt El Ouadoudi. Die muslimische Gemeinde sei in sich gespalten. Das verhindere einen konstruktiven Diskurs.

"Es gibt kaum Kontakt zwischen liberalen und konservativen Muslimen. Sie reden aneinander vorbei, wenn sie überhaupt miteinander reden", sagt er. "Die beste Lösung wäre, man würde erst in Kontakt kommen und dann innerhalb der verschiedenen Ausprägungen des Islam eine echte Diskussion beginnen, die uns auch wirklich zu einem Ergebnis bringt."

Tendenz zur Radikalisierung steigend

Konservative Muslime sagen uns, auch sie seien bereit für den Dialog. Aber die Angst vor Radikalisierung und die steigende Zahl der gewaltbereiten jungen Muslime führt in Deutschland zu Misstrauen gegenüber dem konservativen Islam. Nach Aussagen des "Violence Prevention Network" ist die Zahl der ultrakonservativen gewaltbereiten Salafisten von 300 im Jahr 2015 auf etwa 500 im Jahr 2016 gestiegen - alleine in Nordrhein-Westfalen. Die Dunkelziffer liege noch viel höher, sagt uns Roman Friedrich im DW-Interview

In Bonn-Bad Godesberg besuchen wir die Al-Ansar-Moschee. Abdelkader Ezaim, der Imam, erzählt uns, dass diese Tendenzen den konservativen Muslimen, die einfach ihren Glauben leben wollen, schwer zusetzten. "Es gibt viele negative Bilder über viele schlechte Dinge, die passieren. Viele Muslime benehmen sich hier tatsächlich nicht gut. Darauf reagieren einige mit der Annahme, dass alle Muslime so seien und dass der Islam so ist." 

Mehr inner-muslimischen Dialog

Wir beobachten: Der dringend nötige inner-muslimische Dialog findet nicht ausreichend statt. Beim halbjährlichen Picknick des Liberal-Islamischen Bunds (LIB) erzählt uns Annika Mehmeti, eine der Leiterinnen, dass sie oft von jungen Muslimen angesprochen werde. Sie suchen Rat, was denn nun erlaubt ist innerhalb der Grenzen des Islam - und was nicht: Homosexualität, oder etwa einen christlichen festen Freund zu haben, zum Beispiel.

In der öffentlichen Debatte in Deutschland dominiere die ultrakonservative Auslegung des Islam, sagt Mehmeti. "Das ist schade, dass immer nur die Extremisten wahrgenommen werden." Auch wegen der vielen Flüchtlinge, die hierhergekommen sind, müsste die Debatte viel nuancierter ablaufen als momentan. Eine Aussage aber will Mehmeti nicht mehr hören: "Dass der Islam und Muslime nicht zu Deutschland gehören! Ich glaube, das muss man sich wirklich nicht mehr anhören."