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Sierens China: Gestillter Hunger

Frank Sieren, Peking12. Oktober 2015

Die internationalen Rohstoffkonzerne haben Chinas Rohstoffhunger überschätzt. Deswegen müssen manche Unternehmen nun mit Verlusten rechnen, meint DW-Kolumnist Frank Sieren.

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Chinesische Ölplattform im Ostchinesischem Meer, Foto: EPA
Bild: picture-alliance/dpa/dpaweb

Selbst im Falle Chinas funktionieren die linearen Grafiken nicht, bei denen der Konsum der Chinesen einfach eine Linie ist, die von links unten nach rechts oben geht. Gerade kanadische und australische Unternehmen haben Milliarden von Dollar zum Beispiel in die Erschließung von Gasfeldern gepumpt. Die Hoffnungen in den Abnehmer China waren auch nicht von der Hand zu weisen: Das Land ist bereits der größte Rohöl-Importeur und nach den USA der größte Öl-Konsument der Welt. Auch der Markt rund um das Erdgas sah mit zweistelligen Wachstumsraten beim Verbrauch in den vergangenen Jahren vielversprechend aus. Und das Erdgas ist die sauberere, günstige und in Massen vorhandene Alternative zum Erdöl.

Jetzt allerdings zeichnet sich ab, dass die westliche Industrie sich wohl verschätzt hat. China braucht weniger westliches Erdgas, als gedacht. Das könnte enorme Verluste für die Unternehmen bedeuten. Obwohl Chinas Wirtschaft dieses Jahr voraussichtlich um knapp sieben Prozent wächst, stagniert der Gasverbrauch. Deshalb sind die Importe von flüssigem Gas, kurz LNG genannt, in diesem Jahr bisher um dreieinhalb Prozent im Vergleich zum vergangenen Jahr gesunken. 2014 gab es noch ein Wachstum von ganzen zehn Prozent. Selbst in China wurde die Produktion dramatisch gedrosselt. Stieg diese 2013 noch um 11,5 Prozent, so waren es 2014 nur noch 6,9 Prozent. Insgesamt fördert China jetzt etwas mehr als 10 Milliarden Kubikmeter Erdgas selbst.

Sinkende Nachfrage, fallende Preise

Wegen der gesunkenen Nachfrage sind auch die Preise gefallen. Hat eine Million British Thermal Units, die Einheit, in der Erdgas oft angegeben wird, vergangenen Herbst noch mehr als vierzehn US-Dollar gekostet, so sind es jetzt weniger als acht Dollar. Laut Schätzungen von Citi Research könnten in drei Jahren schon 25 Millionen Tonnen zu viel Erdgas auf dem Markt sein – mehr als China in einem Jahr importiert. Bis zum Jahr 2025 hochgerechnet würde das bedeuten: Zweitdrittel des Gases, das gefördert wird, wird gar nicht gebraucht. Oder anders formuliert: Die „neue Normalität“, die chinesische Umschreibung des Endes des Turbo-Wachstums, ist auch in der Rohstoffindustrie angekommen. Nach Jahren doppelstelligen Wachstums wird auch Chinas Rohstoffhunger langsam aber sicher geordnete Bahnen annehmen.

Das ist nicht ungewöhnlich, sondern beruhigend normal. Dabei kamen verschiedene ungünstige Faktoren zusammen: Zum einen ist da die gegenwärtige Konjunkturflaute Chinas, die mit dem Umbau der Wirtschaft zu tun hat. Da könnte man ja noch hoffen, dass die Nachfrage wieder anzieht. Zweitens kommt hinzu, dass die Niedrigpreispolitik der arabischen Ölindustrie dazu führt, dass auch China lieber Öl als Gas kauft. Die Saudis und ihre Freunde wollen Fracking, das von den USA stark betriebenen wird, unrentabel machen. Dabei handelt es sich um eine relativ teure Methode, bei dem Erdgas mit Wasserdruck aus dem Gestein gepresst wird.

Globale Industrie muss sich anpassen

Der dritte Grund hat mit den Sanktionen des Westens gegen Russland zu tun. Sie zwingen Putin, für die Chinesen günstige Gasverträge abzuschließen. Schon vergangenes Jahr hat Peking einen Gas-Deal über 38 Millionen Kubikmeter Gas jährlich mit Russland geschlossen, der etwa zwanzig Prozent von Chinas Verbrauch decken kann. Weitere Verträge sind im Gespräch. Und viertens investiert Peking in die Erschließung arktischer Gasfelder. Allein für das Yamal-Projekt, an dem neben einem russischen und chinesischen Unternehmen auch ein französisches Unternehmen beteiligt ist, kommen Investitionen um die 12 Milliarden Dollar aus China. Die Anlage ist mit einer Kapazität von mehr als 16 Millionen Tonnen Gas geplant und soll in erster Stufe schon ab 2017 fördern.

Die Entwicklung auf dem Markt für brennbare Fossilien kann man stellvertretend für die momentane gesamte Entwicklung der chinesischen Wirtschaft sehen. Der Weltmarkt konnte sich in vielen Bereichen lange Jahre auf das chinesische Wachstum verlassen. Jährlich wurde im Reich der Mitte mehr gebaut, gefahren, gegessen und konsumiert. Die Nachfrage entsprach kaum dem Angebot. Nun fährt die Regierung die Wirtschaft herunter, baut ihre Strukturen um. Und die globale Industrie muss sich anpassen. Man sieht also, wie einfach eine Mischung von wirtschaftlichen Kartellen, geostrategischen Entscheidungen der Politik und der wirtschaftliche Umbau Chinas einen Strich durch die lineare Rechnung machen. Übrigens haben sich auch chinesische Unternehmen verrechnet: Die australische Arrow Energy Pty Ltd., ein Gemeinschaftsunternehmen der britischen Royal Dutch Shell und PetroChina, hat im vergangenen Jahr knapp eine Milliarde Euro verloren. Und das bei einer Investition von 1,6 Milliarden Euro.

DW-Kolumnist Frank Sieren lebt seit 20 Jahren in Peking.